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Winckelmann, Johann Joachim; Uhde-Bernays, Hermann [Editor]
J. J. Winckelmanns kleine Schriften und Briefe (Band 1): Kleine Schriften zur Geschichte der Kunst des Altertums — Leipzig, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.6830#0166
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ÜBER GEGENSTÄNDE DER ALTEN KUNST

heit, aber er hat sie nicht gebildet, so wenig wie die
Grazie seiner Werke. Denn da er nur das Außer-
ordentliche und das Schwere in der Kunst suchte, so
setzte er diesem das Gefällige nach, weil es mehr
in Empfindung als in Wissenschaft besteht, und um
diese allenthalben zu zeigen, wurde er übertrieben.
Seine liegenden Statuen auf den Grabmalen in der
großherzoglichen Kapelle zu St. Lorenzo in Florenz
haben eine so ungewöhnliche Lage, daß das Leben
sich Gewalt antun müßte, sich also liegend zu er-
halten, und eben durch diese gekünstelte Lage ist er
aus dem Wohlstande der Natur und des Orts, für
welchen er arbeitete, gegangen. Seine Schüler folg-
ten ihm, und da sie ihn in der Wissenschaft nicht
erreichten und ihren Werken auch dieser Wert fehlte,
so wird der Mangel der Grazie, da der Verstand nicht
beschäftigt ist, hier noch merklicher und anstößiger.
Wie wenig Guglielmo della Porta, der Beste aus die-
ser Schule, die Grazie und das Altertum begriffen hat,
sieht man unter andern an dem Farnesischen Stier,
an welchem die Dirke bis auf den Gürtel von seiner
Hand ist. Giovanni Bologna, Algardi und Fiamingo
sind große Künstler, aber unter den Alten, auch in
dem Teile der Kunst, wovon wir reden.
Endlich erschien Lorenzo Bernini in der Welt, ein
Mann von großem Talent und Geiste, dem aber die
Grazie nicht einmal im Traume erschienen ist. Er
wollte alle Teile der Kunst umfassen, war Maler,
Baumeister und Bildhauer und suchte, als dieser, vor-
nehmlich ein Original zu werden. Im achtzehnten
Jahre machte er den Apoll und die Daphne, ein

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