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VON DER EMPFINDUNG DES SCHÖNEN

Augen haben, pflegt kein Verlangen zu erwecken.
Es lebt noch ein bekannter Maler Nie. Ricciolini,
ein geborner Römer und ein Mann von großem
Talente und Wissenschaft, auch außer seiner Kunst,
welcher vor ein paar Jahren, und allererst im sieb-
zigsten Jahre seines Alters, die Statuen in der Villa
Borghese zum ersten Male sah. Derselbe hat die
Baukunst aus dem Grunde studiert, und dennoch hat
er eines der schönsten Denkmale, nämlich das Grab
der Cacilia Metella, des Crassus Frau, nicht gesehen,
obgleich er, als ein Liebhaber der Jagd, weit und breit
außer Rom umhergestreift ist. Daher sind aus be-
sagten Ursachen, außer dem Giulio Romano, we-
nig berühmte Künstler von gebornen Römern auf-
gestanden. Die meisten, welche in Rom ihren Ruhm
erlangt haben, sowohl Maler als Bildhauer und Bau-
meister, waren Fremde, und es tut sich auch gegen-
wärtig kein Römer in der Kunst hervor. Dieser Er-
fahrung zufolge nenne ich ein Vorurteil, geborne
Römer zu Zeichnern der Gemälde einer Galerie in
Deutschland mit großen Kosten verschrieben zu
haben, wo man geschicktere Künstler hätte finden
können.

Bei angehender Jugend ist diese Fähigkeit, wie eine
jede Neigung, in dunkle und verworrene Rührungen
eingehüllt und meldet sich wie ein fliegendes Jucken
in der Haut, dessen eigentlichen Ort man im Kratzen
nicht treffen kann. Sie ist in wohlgebildeten Knaben
eher, als in andern zu suchen, weil wir insgemein
denken, wie wir gemacht sind, in der Bildung aber
weniger, als im Wesen und in der Gemütsart: ein

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