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DAS Andenken eines großen Mannes lebendig
erhalten ist die vorzügliche Aufgabe derer, die
einem Volke als Hüter des kulturellen Erbgutes zur
Seite zu stehen berufen sind. Dieses Wort scheint
nicht viel mehr als eine Binsenwahrheit, aber viel-
leicht gerade deshalb ist seine Befolgung wie seine
Auslegung in einer merkwürdig gegensätzlichen Art
Schwankungen unterworfen, deren objektive Beob-
achtung im Hinblick auf die veränderte oder gleich-
bleibende Stellungnahme aufeinanderfolgender Ge-
nerationen eine höchst reizvolle Sonderart sozialer
Historiographie bildet. Je größer und gefestigter die
Persönlichkeit, je mächtiger ihr Einfluß auf uns, um
so weniger klar, ja anekdotischer gezeichnet — auch
dies ein scheinbarer Widerspruch — zumeist ihr Bild,
dessen sich die Nation erfreut. Und da zeigt sich
oftmals in einer überraschenden Weise, daß die durch-
aus historische, den Menschen nur aus seiner eigenen
Umgebung und aus den Zeitumständen, in welchen
er gelebt hat, erklärende Betrachtung Irrtümer sach-
licher Natur durch die Jahrhunderte mit fortschleppt,
deren Umbildung zur glaubhaften und allmählich
sanktionierten Tradition gerade den ursprünglichen
Absichten der historischen Methode zuwiderläuft.
So sehr nun auf der einen Seite darauf geachtet wer-
den muß, daß eine allzu lebhafte Phantasie im Wett-
bewerbe mit dem Ehrgeiz, einen eigenen Homer
zu besitzen, nicht eine unbewußte Fälschung begehe,
welche die geschichtliche Wahrheit zur Sensation
des Romans erniedrigt, ebensosehr muß auf der an-
dern Seite nachdrücklich auf das Recht gepocht wer-
den, das uns Lebenden zusteht, und mit dem wir

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