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Kommentare zu S. 236-425
Leuten, die überhaupt nicht erregt sind; begreiflicherweise - sie sind verzückt, nur ihr Publikum nicht.“ Der hier
genannte Theodoros ist Theodoros von Gadara (1. Jh. v. Chr.), ein jüngerer Rivale Apollodors und Lehrer des
Tiberius auf Rhodos. - W. korrigiert in diesem langen Einschub stillschweigend die Verschreibung von Parenthyros
(Parenthyrsis) in den Gedanckem Lessing hatte am Schluß des „Eaokoon“ (Kap. XXIX) ausführlich diesen von
Pseudo-Longin überlieferten Stilausdruck der Rhetorik behandelt und gemeint, dieser Begriff lasse sich nicht auf
die bildende Kunst anwenden, weil die Malerei das höchste Pathos nicht kenne. W. geht wie meist nicht direkt auf
Lessing ein, wiederholt aber seine Meinung, daß sich dieser Begriff doch auch auf die Kunst anwenden lasse {„das
tadelhafte an dem Ausdrucke der mehresten neueren Künstler“). Dazu bereits Rehm, in: KS S. 343 zu 43,38.
315,30 o Ttapa npsnov ... K£xprp Lies: 6 ttapa Ttpeitov oder Ttapa oxqpa övpccp KEXpqpsvoc; („einer, der unziemlich
oder unangemessen den Thyrsos gebraucht“, d. h. einer, der unzeitig in bacchische Begeisterung gerät). W.s
Umschreibung des Begriffs ttapsvövpcov ist zutreffend. Abzulehnen ist allerdings der im Folgenden hergestellte
alleinige Bezug auf die tragische Bühne: Denn der Thyrsos und das mit diesem verbundene Element des
Dionysischen ist der klassischen Komödie ebenso eigen wie der Tragödie.
315,32-33 socco dignis cothurno incedit: „Einer, der in Sachen, die (nur) des ,soccus‘ würdig sind, auf dem
Kothurn einherschreitet“. ,Soccus‘, der in der Komödie getragene Schuh, und Kothurn sind metonymische
Bezeichnungen für den Stil der Komödie bzw. der Tragödie (vgl. Hör. ars 80; 89-91).
315,34 von den Auslegern des Longin: W. benutzte 1t. Reg. 3, GK2, die Ausgabe: Dionysii Longini De Sublimitate
commentarius, Ceteraque, quae reperiripotuere. Jacobus Tollius e quinque codd. mss. enendavit, & Fr. Robortelli,
Fr. Porti, Gabrielis de Petra, Gerhard! Langbaenii, &Tanaquilli Fabri, notis integris suas subjecit, novamque
versionem suam Eatinam, & Gallicam Boilavii, cum ejusdem, ac Dacierii, suisque notis Gallicis accidit, Traiecti
ad Rhenum 1694; vgl. dazu Kochs, Winckelmanns Studien S. 91, 183.
Ausleger des Eongin sind Jakob Tollius, Nicolas Boileau-Despreaux, Francesco Roborteldlo, Franciscus Portus,
Gabriel de Petra, Gerard Eangbaine, Tannequy Fe Fevre, Andre Dacier, die Komm, zu ttapsvövpcroc; sind von G.
Eangbaine und T. Fe Fevre verfaßt.
Pseudo-Eongin bei W.: Nachlaß Paris vol. 62 p. 47, 47v; vol. 63 p. 66v-68, 141v; vol. 65 p. 80v; vol. 69 p. 72; vol.
72 p. 12v; vol. 72 p. 13v; Nachlaß Hamburg N IV 82 p. 15a.
Lit.: Roberti Rosati, Winckelmann, Longino e il kairos, in: Ocnus 3, 1995 S. 189-186.
317,1 Comici: nach dem (wie hier) lat. comicus heißt der Darsteller komischer Rollen bis ins 18. Jh. Komikus,
erst im 19. Jh. ersetzt durch ,Komiker‘. FWb I S. 359.
317,6 in Karls le Brun Abhandlung von den Leidenschaften: Charles Fe Brun (Paris 1619-1690), Maler und
Ornamentzeichner, ging 1642 mit Poussin nach Italien, zeichnete dort (bis 1645) nach der Antike, Raffael,
A. Carracci, Reni, P. da Cortona; 1648 Mitbegründer der frz. Kunstakademie, seit 1668 deren Direktor; als
akademischer Theoretiker von großem Einfluß auf den europäischen Klassizismus. Im Sendschreiben Gedanken
nennt W. den Künstler neben Reni einen von denen, „welche das Antique vornemlich studiret“ und „einerley
Gesichtszüge in vielen Werken widerholet“ (= KS S. 76), in der Erläuterung rühmt er dagegen dessen Deckenbilder
zur Geschichte Eudwigs XIV in Versailles als „ das Höchste in der dichterischen Mahlerey, was nach dem Rubens
ausgeführt worden“ (= KS S. 136). Die von W. hier erwähnte Schrift Fe Bruns, Conference de Monsieur Fe
Brun sur l’expression generale et particuliere, Paris 1698, ist aus akademischen Vorlesungen hervorgegangen und
diente der praktischen Unterweisung des Historienmaler-Nachwuchses in Physiognomie. Neben W. warfen auch
andere Klassizisten wie Caylus und Mengs Fe Brun eine Überbewertung des Gefühlsausdrucks in der Malerei
vor, da nach ihrer Auffassung die „Expression [...] die Schönheit der Form“ nicht beeinträchtigen durfte (Mengs,
Opere I, Bassano 1793 S. 121).
Bei W.: Nachlaß Paris vol. 62 p. 55-56v, Tibal S. 110 (Exzerpt aus Bernard Lepicie, Vie des premiers peintres du Roi, depuis M. le Brun
jusqu'ä... present, Paris, 1752).
Lit.: Henry Jouin, Charles le Brun et arts sous Louis XIV, Paris 1889; Michel Gareau, Lydia Beauvais, Charles Le Brun, Premier Peintre des
Rois Louis XIV, Paris 1992; Julien Philipe, Charles Le Brun. L’Expression des passions et autres Conferences. Correspondance, Maisonneuve
et Larose 1994; Jennifer Montagu, The Expression of the Passions. The Origin and Influence of Charles Le Brun‘s „Conference sur
l’expression generale et particulieres, New Haven, London 1994.
317,8-10 wie Diogenes lebete; ich mache es, sagte er, wie die Musici: Diogenes Eaertios, 6,35: Mipsicösi sAsys
tovc; xopoSiScicKciXovc; Kcd ydp ekeivovc; vitep rövov EvSiöövai evekoc tov tovc; Xoutovc; capaoOat rov itpocnjKovroc;
rövov. In: Diogenes Eaertios, Vitae Philosophorum, ed. Marcovich I S. 396. („Er behauptete, die Chorleiter zu
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Leuten, die überhaupt nicht erregt sind; begreiflicherweise - sie sind verzückt, nur ihr Publikum nicht.“ Der hier
genannte Theodoros ist Theodoros von Gadara (1. Jh. v. Chr.), ein jüngerer Rivale Apollodors und Lehrer des
Tiberius auf Rhodos. - W. korrigiert in diesem langen Einschub stillschweigend die Verschreibung von Parenthyros
(Parenthyrsis) in den Gedanckem Lessing hatte am Schluß des „Eaokoon“ (Kap. XXIX) ausführlich diesen von
Pseudo-Longin überlieferten Stilausdruck der Rhetorik behandelt und gemeint, dieser Begriff lasse sich nicht auf
die bildende Kunst anwenden, weil die Malerei das höchste Pathos nicht kenne. W. geht wie meist nicht direkt auf
Lessing ein, wiederholt aber seine Meinung, daß sich dieser Begriff doch auch auf die Kunst anwenden lasse {„das
tadelhafte an dem Ausdrucke der mehresten neueren Künstler“). Dazu bereits Rehm, in: KS S. 343 zu 43,38.
315,30 o Ttapa npsnov ... K£xprp Lies: 6 ttapa Ttpeitov oder Ttapa oxqpa övpccp KEXpqpsvoc; („einer, der unziemlich
oder unangemessen den Thyrsos gebraucht“, d. h. einer, der unzeitig in bacchische Begeisterung gerät). W.s
Umschreibung des Begriffs ttapsvövpcov ist zutreffend. Abzulehnen ist allerdings der im Folgenden hergestellte
alleinige Bezug auf die tragische Bühne: Denn der Thyrsos und das mit diesem verbundene Element des
Dionysischen ist der klassischen Komödie ebenso eigen wie der Tragödie.
315,32-33 socco dignis cothurno incedit: „Einer, der in Sachen, die (nur) des ,soccus‘ würdig sind, auf dem
Kothurn einherschreitet“. ,Soccus‘, der in der Komödie getragene Schuh, und Kothurn sind metonymische
Bezeichnungen für den Stil der Komödie bzw. der Tragödie (vgl. Hör. ars 80; 89-91).
315,34 von den Auslegern des Longin: W. benutzte 1t. Reg. 3, GK2, die Ausgabe: Dionysii Longini De Sublimitate
commentarius, Ceteraque, quae reperiripotuere. Jacobus Tollius e quinque codd. mss. enendavit, & Fr. Robortelli,
Fr. Porti, Gabrielis de Petra, Gerhard! Langbaenii, &Tanaquilli Fabri, notis integris suas subjecit, novamque
versionem suam Eatinam, & Gallicam Boilavii, cum ejusdem, ac Dacierii, suisque notis Gallicis accidit, Traiecti
ad Rhenum 1694; vgl. dazu Kochs, Winckelmanns Studien S. 91, 183.
Ausleger des Eongin sind Jakob Tollius, Nicolas Boileau-Despreaux, Francesco Roborteldlo, Franciscus Portus,
Gabriel de Petra, Gerard Eangbaine, Tannequy Fe Fevre, Andre Dacier, die Komm, zu ttapsvövpcroc; sind von G.
Eangbaine und T. Fe Fevre verfaßt.
Pseudo-Eongin bei W.: Nachlaß Paris vol. 62 p. 47, 47v; vol. 63 p. 66v-68, 141v; vol. 65 p. 80v; vol. 69 p. 72; vol.
72 p. 12v; vol. 72 p. 13v; Nachlaß Hamburg N IV 82 p. 15a.
Lit.: Roberti Rosati, Winckelmann, Longino e il kairos, in: Ocnus 3, 1995 S. 189-186.
317,1 Comici: nach dem (wie hier) lat. comicus heißt der Darsteller komischer Rollen bis ins 18. Jh. Komikus,
erst im 19. Jh. ersetzt durch ,Komiker‘. FWb I S. 359.
317,6 in Karls le Brun Abhandlung von den Leidenschaften: Charles Fe Brun (Paris 1619-1690), Maler und
Ornamentzeichner, ging 1642 mit Poussin nach Italien, zeichnete dort (bis 1645) nach der Antike, Raffael,
A. Carracci, Reni, P. da Cortona; 1648 Mitbegründer der frz. Kunstakademie, seit 1668 deren Direktor; als
akademischer Theoretiker von großem Einfluß auf den europäischen Klassizismus. Im Sendschreiben Gedanken
nennt W. den Künstler neben Reni einen von denen, „welche das Antique vornemlich studiret“ und „einerley
Gesichtszüge in vielen Werken widerholet“ (= KS S. 76), in der Erläuterung rühmt er dagegen dessen Deckenbilder
zur Geschichte Eudwigs XIV in Versailles als „ das Höchste in der dichterischen Mahlerey, was nach dem Rubens
ausgeführt worden“ (= KS S. 136). Die von W. hier erwähnte Schrift Fe Bruns, Conference de Monsieur Fe
Brun sur l’expression generale et particuliere, Paris 1698, ist aus akademischen Vorlesungen hervorgegangen und
diente der praktischen Unterweisung des Historienmaler-Nachwuchses in Physiognomie. Neben W. warfen auch
andere Klassizisten wie Caylus und Mengs Fe Brun eine Überbewertung des Gefühlsausdrucks in der Malerei
vor, da nach ihrer Auffassung die „Expression [...] die Schönheit der Form“ nicht beeinträchtigen durfte (Mengs,
Opere I, Bassano 1793 S. 121).
Bei W.: Nachlaß Paris vol. 62 p. 55-56v, Tibal S. 110 (Exzerpt aus Bernard Lepicie, Vie des premiers peintres du Roi, depuis M. le Brun
jusqu'ä... present, Paris, 1752).
Lit.: Henry Jouin, Charles le Brun et arts sous Louis XIV, Paris 1889; Michel Gareau, Lydia Beauvais, Charles Le Brun, Premier Peintre des
Rois Louis XIV, Paris 1992; Julien Philipe, Charles Le Brun. L’Expression des passions et autres Conferences. Correspondance, Maisonneuve
et Larose 1994; Jennifer Montagu, The Expression of the Passions. The Origin and Influence of Charles Le Brun‘s „Conference sur
l’expression generale et particulieres, New Haven, London 1994.
317,8-10 wie Diogenes lebete; ich mache es, sagte er, wie die Musici: Diogenes Eaertios, 6,35: Mipsicösi sAsys
tovc; xopoSiScicKciXovc; Kcd ydp ekeivovc; vitep rövov EvSiöövai evekoc tov tovc; Xoutovc; capaoOat rov itpocnjKovroc;
rövov. In: Diogenes Eaertios, Vitae Philosophorum, ed. Marcovich I S. 396. („Er behauptete, die Chorleiter zu