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ist, sieht man jedoch nur einen Zipfel über die Achsel herübergehen, indem der andere unter dem Arme herumgenommen und mit dem
schon erwähnten Knoten vereinigt ist. Dieser so in die Höhe gezogene Rock wirft auf den Schenkeln bis an die Brust sanfte Falten, welche
von beiden Seiten aufwärts gehen, so wie der Mantel, an welchem er vermittelst jener Zipfel angebunden ist, ihn heraufzieht.
§. 21. Beide Statuen können für Bilder der Isis gelten; wenigsten läßt es sich aus einigen Griechischen Ab- [32] bildungen dieser
Gottheit schließen, welche auf dieselbe Weise bekleidet sind, das heißt, mit einem Mantel, welcher vermittelst der zwei vorn auf der
Brust zugebundenen Zipfel über beyde Achseln gezogen ist. Auch ohne die Statuen kann man den also unter den Brüsten zugeknöpf-
ten Mantel als das beständige Unterscheidungs-Zeichen der Isis annehmen, von den schönsten Statuen dieser Göttin, von welchen
sich die eine mit dem Harpokrates zur Seite im Pallaste Barberini, und die andere im Capitolinischen Museum befindet, bis zu den
kleinsten Figuren derselben. An eben diesem Unterscheidungs-Zeichen macht sich die Isis kenntlich in dem Rumpfe einer kolossalen
Statue nebst ihrem Kopfe; sie steht an dem Venezianischen Pallaste, und wird gemeiniglich von dem Volke Donna Lukrezia genannt.
Dasselbe Unterscheidungs-Zeichen macht auch in einer andern Statue des Capitolinischen Museums eine Isis kenntlich, welche in der
Beschreibung eben dieses Museums aufder siebenten Tafel des dritten Bandes für eine Juno ausgegeben worden, wiewohl man nicht
angeführt, daß sie nur den Kopfder Juno hat, welcher ihr aufgesetzt worden, weil man sie ohne den eigentlichen Kopf gefunden. Zum
Beweise endlich, daß die Aegyptier durch diesen zweyten Styl ihre uralte Manier in der Bildhauerey zwar verbesserten, aber nicht ganz
verließen, bemerke man, daß der Kopf an einer der [33] von mir oben zuerst angeführten Statuen im gedachten Museum, und zwar
an der in demselben dritten Bande unter Nr. 79. abgebildeten Statue gerade so gearbeitet ist, wenn man das Original untersucht.
Denn sie hat, außer vielen anderen Spuren des ursprünglichen Styls, auch die ausgehöhlten Augen, wie schon die ältesten Bildhauer
zu machten pflegten, und wie man an vielen andern in Rom übrig gebeliebenen Köpfen gewahr wird, besonders an zweyen in der
Villa Seiner Eminenz des Herrn Alexander Albani.
$. 22. Wenn die bis jetzt angeführten Gründe, wie ich nicht zweifle, hinreichend sind zu beweisen, daß die zwey kurz vorher erwähn-
ten Statuen der Isis erst zu der Zeit gearbeitet sind, da Aegypten unter die Herrschaft der Griechen gekommen war: so kann ich hier
die Bemerkung nicht unterdrücken, daß dadurch P. Kircher widerlegt wird, welcher glaubte, daß die Wissenschaft der Hieroglyphen
durch die Gottlosigkeit und den Uebermuth des Cambyses nach seinem Einfalle in das Aegyptische Reich ganz und gar vertilgt worden;
ferner irren auch diejenigen, welche behaupten, daß sich diese Wissenschaft beym Anfänge der Herrschaft der Griechen verloren habe.
Denn eine jede dieser Statuen ist mit dem Pfeiler, an welchem sie steht, aus einem einzigen Stücke, und an beyden sind Hieroglyphen den
Pfeilern eingegraben. Wollte man jene Meynung annehmen, so würde man da- [34]durch zugleich behaupten, daß die Griechen, sobald
sie sich Aegypten bemeistert hatten, die Religion des Landes ausrotteten, welche, wie Jedermann weiß, einen sehr großen Einfluß auf die
Begräbniß-Feierlichkeiten behauptete. Wir sehen aber das Gegentheil an einer Mumie, von welcher P. Kircher selbst die Beschreibung
und Abbildung giebt. Diese in Aegypten gefundene Mumie ist eben so verziert und aufbewahrt, wie die Aegyptier, ehe sie von fremden
Völkern beherrscht wurden, zu thun pflegten. Auf solcher Mumie liest man in Griechischen Buchstaben das WortEYTYXI, ein gewöhn-
licher Zuruf an die Abgeschiedenen, wie man aus verschiedenen Inschriften ersieht. Hieraus können wir mit Gewißheit schließen, daß
diese Mumie den Griechen angehört, welche sich in Aegypten zur Zeit der Ptolomäer niederließen. Deshalb kann man richtiger sagen,
daß die Wissenschaft der Hieroglyphen sich zwar fortdauernd erhielt, aber nach und nach abnahm, bis sie endlich ganz erlosch, weil
die Religion und Mythologie der Griechen, welche, wie ich gleich im Anfänge dieser Abhandlung bemerkte, von der Aegyptischen sehr
verschieden war, mit der Zeit immer festeren Fuß in jenen Gegenden faßte.
Nachahmung Aegyptischer Werke zur Zeit der Römischen Kayser.
$. 23. Um aber auf unsern Haupt-Vorwurf zurückzukommen, so lassen sich einige Werke der dritten schon erwähnten Klasse nicht
so leicht [35] von denen des ersten oder zweyten Styls unterscheiden, wie die des zweyten Styls von jenen des ersten. Denn da die
Künstler, welche, wie ich schon gesagt habe, keine Aegyptier waren, ganz offenbar die Absicht hatten, durch diese dritte Art von
Kunst- Werken die ältesten Aegyptischen Figuren nachzuahmen, so wählten sie nicht nur zum Th eil selbst Aegyptische Steine, wie
den Basalt und den rothen Granit, sondern sie bemühten sich auch, dieselben in Hinsicht auf Anordnung, Handlung, Bewegung
und Attribute den Aegyptischen so ähnlich zu machen, daß einige derselben von allen Alterthums-Forschern für Werke des ältesten
Aegyptischen Styls sind angenommen worden. Indessen ahmten sie nicht das Fehlerhafte der Aegyptier nach, sondenr, indem sie dem
Willen dessen huldigten, welcher solche Statuen bey ihnen bestellte, beobachteten sie weislich nur die äußere Gestalt der Aegyptischen
Statuen. Denn in allen übrigen Stücken erkennt jeder, welcher tiefer einzudringen verstht, an denselben die Wissenschaft und Einsicht
der Griechischen Künstler.
Figuren des Antinous in Aegyptischer Manier.
$. 24. Das Schönste, was in dieser Art auf unsere Zeiten gekommen ist, sind zwey männliche Statuen von röthlichem Granit, noch
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ist, sieht man jedoch nur einen Zipfel über die Achsel herübergehen, indem der andere unter dem Arme herumgenommen und mit dem
schon erwähnten Knoten vereinigt ist. Dieser so in die Höhe gezogene Rock wirft auf den Schenkeln bis an die Brust sanfte Falten, welche
von beiden Seiten aufwärts gehen, so wie der Mantel, an welchem er vermittelst jener Zipfel angebunden ist, ihn heraufzieht.
§. 21. Beide Statuen können für Bilder der Isis gelten; wenigsten läßt es sich aus einigen Griechischen Ab- [32] bildungen dieser
Gottheit schließen, welche auf dieselbe Weise bekleidet sind, das heißt, mit einem Mantel, welcher vermittelst der zwei vorn auf der
Brust zugebundenen Zipfel über beyde Achseln gezogen ist. Auch ohne die Statuen kann man den also unter den Brüsten zugeknöpf-
ten Mantel als das beständige Unterscheidungs-Zeichen der Isis annehmen, von den schönsten Statuen dieser Göttin, von welchen
sich die eine mit dem Harpokrates zur Seite im Pallaste Barberini, und die andere im Capitolinischen Museum befindet, bis zu den
kleinsten Figuren derselben. An eben diesem Unterscheidungs-Zeichen macht sich die Isis kenntlich in dem Rumpfe einer kolossalen
Statue nebst ihrem Kopfe; sie steht an dem Venezianischen Pallaste, und wird gemeiniglich von dem Volke Donna Lukrezia genannt.
Dasselbe Unterscheidungs-Zeichen macht auch in einer andern Statue des Capitolinischen Museums eine Isis kenntlich, welche in der
Beschreibung eben dieses Museums aufder siebenten Tafel des dritten Bandes für eine Juno ausgegeben worden, wiewohl man nicht
angeführt, daß sie nur den Kopfder Juno hat, welcher ihr aufgesetzt worden, weil man sie ohne den eigentlichen Kopf gefunden. Zum
Beweise endlich, daß die Aegyptier durch diesen zweyten Styl ihre uralte Manier in der Bildhauerey zwar verbesserten, aber nicht ganz
verließen, bemerke man, daß der Kopf an einer der [33] von mir oben zuerst angeführten Statuen im gedachten Museum, und zwar
an der in demselben dritten Bande unter Nr. 79. abgebildeten Statue gerade so gearbeitet ist, wenn man das Original untersucht.
Denn sie hat, außer vielen anderen Spuren des ursprünglichen Styls, auch die ausgehöhlten Augen, wie schon die ältesten Bildhauer
zu machten pflegten, und wie man an vielen andern in Rom übrig gebeliebenen Köpfen gewahr wird, besonders an zweyen in der
Villa Seiner Eminenz des Herrn Alexander Albani.
$. 22. Wenn die bis jetzt angeführten Gründe, wie ich nicht zweifle, hinreichend sind zu beweisen, daß die zwey kurz vorher erwähn-
ten Statuen der Isis erst zu der Zeit gearbeitet sind, da Aegypten unter die Herrschaft der Griechen gekommen war: so kann ich hier
die Bemerkung nicht unterdrücken, daß dadurch P. Kircher widerlegt wird, welcher glaubte, daß die Wissenschaft der Hieroglyphen
durch die Gottlosigkeit und den Uebermuth des Cambyses nach seinem Einfalle in das Aegyptische Reich ganz und gar vertilgt worden;
ferner irren auch diejenigen, welche behaupten, daß sich diese Wissenschaft beym Anfänge der Herrschaft der Griechen verloren habe.
Denn eine jede dieser Statuen ist mit dem Pfeiler, an welchem sie steht, aus einem einzigen Stücke, und an beyden sind Hieroglyphen den
Pfeilern eingegraben. Wollte man jene Meynung annehmen, so würde man da- [34]durch zugleich behaupten, daß die Griechen, sobald
sie sich Aegypten bemeistert hatten, die Religion des Landes ausrotteten, welche, wie Jedermann weiß, einen sehr großen Einfluß auf die
Begräbniß-Feierlichkeiten behauptete. Wir sehen aber das Gegentheil an einer Mumie, von welcher P. Kircher selbst die Beschreibung
und Abbildung giebt. Diese in Aegypten gefundene Mumie ist eben so verziert und aufbewahrt, wie die Aegyptier, ehe sie von fremden
Völkern beherrscht wurden, zu thun pflegten. Auf solcher Mumie liest man in Griechischen Buchstaben das WortEYTYXI, ein gewöhn-
licher Zuruf an die Abgeschiedenen, wie man aus verschiedenen Inschriften ersieht. Hieraus können wir mit Gewißheit schließen, daß
diese Mumie den Griechen angehört, welche sich in Aegypten zur Zeit der Ptolomäer niederließen. Deshalb kann man richtiger sagen,
daß die Wissenschaft der Hieroglyphen sich zwar fortdauernd erhielt, aber nach und nach abnahm, bis sie endlich ganz erlosch, weil
die Religion und Mythologie der Griechen, welche, wie ich gleich im Anfänge dieser Abhandlung bemerkte, von der Aegyptischen sehr
verschieden war, mit der Zeit immer festeren Fuß in jenen Gegenden faßte.
Nachahmung Aegyptischer Werke zur Zeit der Römischen Kayser.
$. 23. Um aber auf unsern Haupt-Vorwurf zurückzukommen, so lassen sich einige Werke der dritten schon erwähnten Klasse nicht
so leicht [35] von denen des ersten oder zweyten Styls unterscheiden, wie die des zweyten Styls von jenen des ersten. Denn da die
Künstler, welche, wie ich schon gesagt habe, keine Aegyptier waren, ganz offenbar die Absicht hatten, durch diese dritte Art von
Kunst- Werken die ältesten Aegyptischen Figuren nachzuahmen, so wählten sie nicht nur zum Th eil selbst Aegyptische Steine, wie
den Basalt und den rothen Granit, sondern sie bemühten sich auch, dieselben in Hinsicht auf Anordnung, Handlung, Bewegung
und Attribute den Aegyptischen so ähnlich zu machen, daß einige derselben von allen Alterthums-Forschern für Werke des ältesten
Aegyptischen Styls sind angenommen worden. Indessen ahmten sie nicht das Fehlerhafte der Aegyptier nach, sondenr, indem sie dem
Willen dessen huldigten, welcher solche Statuen bey ihnen bestellte, beobachteten sie weislich nur die äußere Gestalt der Aegyptischen
Statuen. Denn in allen übrigen Stücken erkennt jeder, welcher tiefer einzudringen verstht, an denselben die Wissenschaft und Einsicht
der Griechischen Künstler.
Figuren des Antinous in Aegyptischer Manier.
$. 24. Das Schönste, was in dieser Art auf unsere Zeiten gekommen ist, sind zwey männliche Statuen von röthlichem Granit, noch