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Winckelmann, Johann Joachim; Borbein, Adolf Heinrich [Editor]; Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz [Editor]; Deutsches Archäologisches Institut [Editor]; Winckelmann-Gesellschaft [Editor]; Balensiefen, Lilian [Contr.]
Schriften und Nachlaß (Band 6,2): Monumenti antichi inediti spiegati ed illustrati: Roma 1767; Kommentar — [Darmstadt]: von Zabern, 2014

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Volume Primo: A sua Emmineza, Indicazione. Prefazione, Trattato preliminare. Kommentar
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https://doi.org/10.11588/diglit.58930#0090
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Kommentare zu S. 1-132

$. 4. Die spätere Wanderung der Griechen nach Hetrurien geschah ungefähr drey hundert Jahre nach den Zeiten Homers und eben
so viel Jahre vor dem Herodotus, zu Folge der Zeitrechnung, die dieser Geschichtschreiber selbst angiebt, das ist, zu den Zeiten
des Thales und des Lycurgus, des Spartanischen Gesetzgebers. Mit diesen neuen Kolonieen immer mehr verstärkt, erweiterten die
Hetrurier ihren Handel, und konnten ihn ausdehnen bis zu einem Bündnisse mit den Phöni- [47] ziem, so daß die Karthaginienser,
als Bundesgenossen der Perser, nachdem sie unter Hamilkars Anführung Sicilien angegriffen, und vom Gelo, Könige zu Syrakus
geschlagen worden, dem unerachtet vereinigt mit der Flotte der Hetrurier, die Griechen in Italien überfielen, die Stadt Cumae
belagerten, aber von neuem mit großem Verluste von Hiero, dem Nachfolger des eben genannten Gelo, zurückgerieben wurden.
Von der Schreib-Kunst, welche die Hetrurier von diesen neuen Kolonisten zugleich mit der Geschichte derselben erlernt.
$. 5. Daß diese neuen Kolonieen, welche gebildeter als die ursprünglichen Hetrurier waren, die gewesen, welche in Hetrurien ihre Art
mit Griechischen Buchstaben zu schreiben, nebst ihrer Mythologie, eingeführt, und jene rohen Völker mit den Thaten der Helden be-
kannt gemacht, welche bis zu Ende des Trojanischen Krieges aufder Erde gelebt, und daß dadurch die schönen Künste in diesem Lande
zu blühen angefangen, ist nach meiner Meynung offenbar aus den Hetrurischen Werken, welche auf uns gekommen sind, undfast alle
eben dieselbe Mythologie und eben dieselben Begebenheiten vorstellen. Denn wenn die alten Hetrurier die Kunst zu schreiben ver-
standen hätten, so würde man auf den bis jetzt in ihrem Lande wiedergefundenen Denkmalen, anstatt der Griechischen Geschichten,
die Begebenheiten ihres eigenen Landes vorgestellt sehen, von welchen sie aus [48] Mangel der Schrift, das ist, der Jahrbücher, keine
Kenntniß haben konnten. Wie kommt es aber, daß die Hetrurier zu unsern Zeiten, nachdem einige ihrer Grabmäler entdeckt worden
(die doch meiner Meynung nach die schlechtesten Werke eines Volks sind), berühmter geworden, als sie es bey den Römern waren, und
zwar nicht etwa unter den Kaysern und in den letzten Zeiten des Frey staats, sondern damals, da man in Rom anfing die Augen zu
öffnen, und man bey der geringen Entfernung von jenem Zeitpunkte wissen konnte, wie der Lauf der Dinge in Hetrurien gewesen?
Die Ursache ist diese: die Hetrurier, anstatt Begebenheiten ihres Volks erzählen zu können, wußten nur die ihnen von den Griechen
mitgetheilten Begebenheiten oder Fabeln vorzutragen, so daß die Römer zu der Zeit, als sie schreiben gelernt und dadurch Lob zu
verdienen anfingen, glaubten, da sie nicht sowohl von den Hetruriern als von den Griechen unterrichtet worden, vorgeben zu müssen,
daß sie vielmehr Schüler von denen gewesen, bey welchen jene Begebenheiten vorgefallen waren, — wie sie auch wirklich von denselben
genauer unterrichtet waren — als von einem Volke, welches eben die Begebenheiten nur kurze Zeit vor ihnen gelernt hatte.
Daher die Vorstellung Griechischer Begebenheiten aufHetrurischen Kunst-Werken.
$. 6. Es könnten wider diese Meynung einige Hetrurische Werke angeführt werden, wo Begebenheiten etwas verschieden von Homers
[49] Erzählung abgebildet sind, wie zum Beyspiele auf einer Hetrurischen Schale von Erz das Schicksal Hektors und des Achilles,
welches nicht vom Jupiter, wie jener Dichter sagt, sondern vom Mercurius gewogen wird, und verschiedene andere Geschichten von
welchen zu reden ich im Verlaufe dieses Werks Gelegenheit haben werde. Aber es ist gewöhnlich, und anstatt meine Behauptung zu
widerlegen, wird sie eben dadurch noch mehr bestärkt, daß die Ueberlieferungen eines Landes in einem andern verändert werden;
und dieses kann, in Hinsicht der Hetrurier, durch einen ihrer Dichter geschehen seyn.
Die Figuren der Hetrurischen Gottheiten sind den ältesten Griechischen ähnlich.
$. 7. Ferner ist die Mythologie der Hetrurier und der ältesten Griechen im Wesentlichen eine und dieselbe. Dieses ist hinreichend, um
behaupten zu können, daß die Hetrurier an Größe und Kenntnissen zunahmen, weil sie sich mit einigen Völkerschaften Griechenlands,
welche sich unter ihnen niedergelassen, vermischt hatten. Unter andern Beweis-Gründen kann man auch die Flügel anführen, welche
man an sehr vielen Figuren auf Hetrurischen Werken sieht. Denn, nach dem Pausanias, hatten die ältesten Gottheiten Griechenlands
ebenfalls Flügel, welche, als eine unnatürliche und überflüssige Sache, späterhin von den Künstlern der mehr erleuchteten Zeiten
weggelassen wurden. Außer vie- [50] len andern schon bekannten Denkmalen, und denen, welche ich bey der Beschreibung des ersten
unter meinen alten Denkmalen anführen werde, sind die Hetrurischen Figuren größten Theils geflügelt, und besonders diejenigen,
welche Genien vorstellen, in den aufgefundenen Gräbern bey Corneto, in dem alten Gebiete von Tarquinii. Unter diesen geflügelten
Genien ist einer, welcher auf einen gekrümmten Schäferstab gelehnt, während sich zwey Schlangen von der Erde gegen ihn erheben,
im Gespräche mit einer weiblichen Figur steht. Leh will, da es nicht zu meinem Vorhaben gehört, hier nicht behaupten, daß dieser
Genius den Tages der Hetrurier andeuten könne, welcher auch ein Genius, oder wie Festus sagt, der Sohn eines Genius, aus einem
gepflügten Acker hervorgesprungen, und Lehrer der Wahrsagerkunst bey den Hetruriern war; denn der Stab kann sehr gut diese
seine fabelhafte Geburt symbolisch anzeigen. Auch will ich nicht behaupten, daß die weibliche Figur di Nymphe Bigoe, ebenfalls
Lehrerin der Wahrsagerkunst nach dem Tages, und seine Schülerin, seyn könne; denn schon Buonarroti hat ein Kind von Erz mit
einer Bulle am Halse, aber ohne Flügel, welches in dem Museum des Großherzogs von Toscana aufbewahrt wird, für eine Abbildung
des Tages ausgegeben. Aber bemerken will ich, daß, wenn auch die verschienen Griechischen Ko- [51] lonieen die Buchstaben und
 
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