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Kommentare zu S. 1-132
wie man nun ihre Beschaffenheit zu den Zeiten des Phidias aus den kühnen und erhabenen Bildern des Aeschylus und des Pindarus
und aus der heroischen Hoheit des Sophocles wird er-[182] kennen können, und so wie der Styl des Praxiteles von eben den Grazien
und eben der Reinheit, welche man im Xenophon und Plato, den Zeitgenossen beyder Künstler bewundert, wird beseelt gewesen seyn:
eben so können wir uns die sicherste Vorstellung von der Kunst des Lysippus aus den Talenten des angeführten Menander bilden.
Statue des Hercules in Florenz mit dem Namen des Lysippus.
§. 125. Ich kann hier nicht mit Stillschweigen übergehen eine Statue des Hercules von Marmor, die in dem Großherzoglichen Pallaste
Pitti zu Florenz steht, auf deren Sockel man in Griechischen Buchstaben den Namen des Lysippus liest. Ich würde diese Statue nicht
erwähnen, wenn sie nicht von einem in diesem Fache unerfahrnen Scribenten als ein wahres Werk dieses Künstlers wäre gepriesen wor-
den. Ich verwerfe diese Meynung, nicht weil ich gedachte Inschrifi nicht für wirklich alt hielte; denn sie wurde aufdem Palatinischen
Berge in Rom zugleich mit der Statue ausgegraben. Es ist aber bekannt, daß bey den Alten selbst dergleichen Betrügereyen gemacht
worden, und dieses war gewiß bey dieser Statue der Fall, wie man leicht schließen kann aus der geringen Einsicht, wovon sie zeugt,
und aus dem Stillschweigen der Schrifisteller über Arbeiten des Lysippus in Marmor; denn er besehäfiigte sich während der ganzen
Zeit seines Lebens, wie wir oben andeuteten, mit [183] Arbeiten in Erz; auch hat der Marchese Maffei bereits bemerkt, daß dieser
Name schon vor Alters untergeschoben worden.
$. 126. Da ich hier von dem berühmten Comiker Menander geredet habe, so verdient eine sehr schöne sitzende Statue in der Villa
Negroni, auf deren Sockel der Name ΠΟΣΕΙΔΙΠΠΟΣ eingehauen ist, des Zusammenhanges wegen erwähnt zu werden. In dieser Statue
ist das Bildnißeines andern Lustspiel-Dichters vorgestellt, welcher drey Jahre nach dem Menander blühte, und von welchem wir keine
andere Nachricht haben, als daß Suidas ungefähr dreißig seinere Lustspiele kannte. Ich will indessen nicht behaupten, daß die Statue
dem Posidippus während seines Lebens errichtet sey, obgleich sie in Ansehung des Gewandes, an welchem aber in neueren Zeiten die
Falten überarbeitet und dadurch stumpf geworden sind, zu den schönsten erhaltenen Statuen gehört. Eben so wenig hat man auf
eine andere gleichfalls sitzende Statue in eben dieser Villa geachtet, welche der eben erwähnten gegenüber steht; auch an dieser ist das
Belebte der Falten, das will sagen, das Schönste am Gewände, gleich wie an jener weggemeißelt und ve flächt.
Pyrgoteles, ein Edelsteinschneider.
Sein Name aufzwey Steinen scheint verdächtig.
$. 127. Ein Zeitgenosse des Lysippus war Pyrgoteles, ein Edelsteinschneider, welchen man [184] in Hinsicht auf seine Kunst einen
Nebenbuhler von jenem nennen kann; denn er hatte zugleich mit dem Lysippus das besondere Vorrecht, Bildnisse Alexanders des
Großen zu ve fertigen. Zwey Steine sind bekannt mit dem Namen des Pyrgoteles; dieser Name ist aber auf dem einen verdächtig und
auf dem andern ist der Betrug eines neueren Steinschneiders in Ansehung eines solchen berühmten Namens, gar nicht zweydeutig.
Der erste Stein ist ein kleines Brustbild von Agathonyx und etwas größer als die Hälfe desselben in dem Kupfer, welches der berühmte
Stosch davon bekannt gemacht; dieses Brustbild gehört jetzt dem erlauchten Hause der Grafen von Schönborn. In der Betrachtung
aber, die ich über eine Form desselben von Wachs in dem Stoschischen Museum und über das Kupfer gemacht habe, sind mir zwey
Zweifel entstanden, und zwar der erste über den Namen selbst, welcher im Nominativus eingeschnitten steht wider den Gebrauch
der alten Steinschneider, die ihren Namen im Genitivus auf ihre Arbeiten setzten, so daß anstatt ΠΥΡΓΟΤΕΛΗΣ hätte ΠΥΡΓΟΤΕΛΟΥΣ
stehen sollen. Der zweyte Zweifel ist mir erwachsen über das Bildnißselbst, welches einem Hercules, aber keinem Alexander ähnlich
sieht; und dieses ist offenbar nicht allein aus den Backenhaaren, die von den Schläfen heruntergehen und einen Theilder Wan- [185]
gen bekleiden, als welches sich an keinem Bilde dieses Königs findet, sondern auch in den Haaren über der Stirn, welche kurz und
kraus sind nach Art der Haare des Hercules, da hingegen die an Köpfen des Alexander sich mit einer nachläßigen Großheit von der
Stirn erheben nach Art der oberen Haare des Jupiter, wie man sowohl an einem Kopfe Alexanders im Capitolinischen Museum, als
auch an allen andern Bildnissen desselben bemerkt. Und dadurch wächst noch mehr der Verdacht gegen das Alter des Namens auf
diesem Stein; man könnte daher sagen, er sey von irgend einem eingeschnitten, welcher den Kopfdes Hercules in den Kopf Alexanders
verändern wollte, um den Werth des Brustbildes zu erhöhen durch den Namen eines so berühmten Steinschneiders und durch das
Vorrecht, welches er hatte, die Bildnisse dieses Königs allein zu verfertigen.
$. 128. Der zweyte Stein ist erhoben geschnitten und auch von dem Herrn von Stosch bekannt gemacht. Man sieht auf demselben
das Bildnißeines betagten Mannes, aber ohne Bart, mit dem Namen ΦΩΚΙΩΝΟΟ. auf der einen Seite, auf dem untern Rande der
Brust liest man ΠΥΡΓΟΤΕΛΗΣ ΕΠΟΙΕΙ. Hier wird der Betrug offenbar durch die verschiedene Form der Buchstaben in der einen und
der andern Umschrift, weil in der einen das Sigma rund ist, das ist, so gestaltet C, und in der an- [186] dem spitzige Winkel hat,
das ist, in seiner gewöhnlichen Form Σ. Ueberdem ist das Epsilon rund gezogen E, in welcher Form dieser Buchstabe zu Alexanders
des Großen Zeiten noch nicht bekannt war, und endlich ist es ungewöhnlich den Namen eines Steinschneiders, statt des absoluten
Genitivus im Nominativus und mit dem Zusatze des Wortes ΕΠΟΙΕΙ auf geschnittenen Steinen zu lesen.
Kommentare zu S. 1-132
wie man nun ihre Beschaffenheit zu den Zeiten des Phidias aus den kühnen und erhabenen Bildern des Aeschylus und des Pindarus
und aus der heroischen Hoheit des Sophocles wird er-[182] kennen können, und so wie der Styl des Praxiteles von eben den Grazien
und eben der Reinheit, welche man im Xenophon und Plato, den Zeitgenossen beyder Künstler bewundert, wird beseelt gewesen seyn:
eben so können wir uns die sicherste Vorstellung von der Kunst des Lysippus aus den Talenten des angeführten Menander bilden.
Statue des Hercules in Florenz mit dem Namen des Lysippus.
§. 125. Ich kann hier nicht mit Stillschweigen übergehen eine Statue des Hercules von Marmor, die in dem Großherzoglichen Pallaste
Pitti zu Florenz steht, auf deren Sockel man in Griechischen Buchstaben den Namen des Lysippus liest. Ich würde diese Statue nicht
erwähnen, wenn sie nicht von einem in diesem Fache unerfahrnen Scribenten als ein wahres Werk dieses Künstlers wäre gepriesen wor-
den. Ich verwerfe diese Meynung, nicht weil ich gedachte Inschrifi nicht für wirklich alt hielte; denn sie wurde aufdem Palatinischen
Berge in Rom zugleich mit der Statue ausgegraben. Es ist aber bekannt, daß bey den Alten selbst dergleichen Betrügereyen gemacht
worden, und dieses war gewiß bey dieser Statue der Fall, wie man leicht schließen kann aus der geringen Einsicht, wovon sie zeugt,
und aus dem Stillschweigen der Schrifisteller über Arbeiten des Lysippus in Marmor; denn er besehäfiigte sich während der ganzen
Zeit seines Lebens, wie wir oben andeuteten, mit [183] Arbeiten in Erz; auch hat der Marchese Maffei bereits bemerkt, daß dieser
Name schon vor Alters untergeschoben worden.
$. 126. Da ich hier von dem berühmten Comiker Menander geredet habe, so verdient eine sehr schöne sitzende Statue in der Villa
Negroni, auf deren Sockel der Name ΠΟΣΕΙΔΙΠΠΟΣ eingehauen ist, des Zusammenhanges wegen erwähnt zu werden. In dieser Statue
ist das Bildnißeines andern Lustspiel-Dichters vorgestellt, welcher drey Jahre nach dem Menander blühte, und von welchem wir keine
andere Nachricht haben, als daß Suidas ungefähr dreißig seinere Lustspiele kannte. Ich will indessen nicht behaupten, daß die Statue
dem Posidippus während seines Lebens errichtet sey, obgleich sie in Ansehung des Gewandes, an welchem aber in neueren Zeiten die
Falten überarbeitet und dadurch stumpf geworden sind, zu den schönsten erhaltenen Statuen gehört. Eben so wenig hat man auf
eine andere gleichfalls sitzende Statue in eben dieser Villa geachtet, welche der eben erwähnten gegenüber steht; auch an dieser ist das
Belebte der Falten, das will sagen, das Schönste am Gewände, gleich wie an jener weggemeißelt und ve flächt.
Pyrgoteles, ein Edelsteinschneider.
Sein Name aufzwey Steinen scheint verdächtig.
$. 127. Ein Zeitgenosse des Lysippus war Pyrgoteles, ein Edelsteinschneider, welchen man [184] in Hinsicht auf seine Kunst einen
Nebenbuhler von jenem nennen kann; denn er hatte zugleich mit dem Lysippus das besondere Vorrecht, Bildnisse Alexanders des
Großen zu ve fertigen. Zwey Steine sind bekannt mit dem Namen des Pyrgoteles; dieser Name ist aber auf dem einen verdächtig und
auf dem andern ist der Betrug eines neueren Steinschneiders in Ansehung eines solchen berühmten Namens, gar nicht zweydeutig.
Der erste Stein ist ein kleines Brustbild von Agathonyx und etwas größer als die Hälfe desselben in dem Kupfer, welches der berühmte
Stosch davon bekannt gemacht; dieses Brustbild gehört jetzt dem erlauchten Hause der Grafen von Schönborn. In der Betrachtung
aber, die ich über eine Form desselben von Wachs in dem Stoschischen Museum und über das Kupfer gemacht habe, sind mir zwey
Zweifel entstanden, und zwar der erste über den Namen selbst, welcher im Nominativus eingeschnitten steht wider den Gebrauch
der alten Steinschneider, die ihren Namen im Genitivus auf ihre Arbeiten setzten, so daß anstatt ΠΥΡΓΟΤΕΛΗΣ hätte ΠΥΡΓΟΤΕΛΟΥΣ
stehen sollen. Der zweyte Zweifel ist mir erwachsen über das Bildnißselbst, welches einem Hercules, aber keinem Alexander ähnlich
sieht; und dieses ist offenbar nicht allein aus den Backenhaaren, die von den Schläfen heruntergehen und einen Theilder Wan- [185]
gen bekleiden, als welches sich an keinem Bilde dieses Königs findet, sondern auch in den Haaren über der Stirn, welche kurz und
kraus sind nach Art der Haare des Hercules, da hingegen die an Köpfen des Alexander sich mit einer nachläßigen Großheit von der
Stirn erheben nach Art der oberen Haare des Jupiter, wie man sowohl an einem Kopfe Alexanders im Capitolinischen Museum, als
auch an allen andern Bildnissen desselben bemerkt. Und dadurch wächst noch mehr der Verdacht gegen das Alter des Namens auf
diesem Stein; man könnte daher sagen, er sey von irgend einem eingeschnitten, welcher den Kopfdes Hercules in den Kopf Alexanders
verändern wollte, um den Werth des Brustbildes zu erhöhen durch den Namen eines so berühmten Steinschneiders und durch das
Vorrecht, welches er hatte, die Bildnisse dieses Königs allein zu verfertigen.
$. 128. Der zweyte Stein ist erhoben geschnitten und auch von dem Herrn von Stosch bekannt gemacht. Man sieht auf demselben
das Bildnißeines betagten Mannes, aber ohne Bart, mit dem Namen ΦΩΚΙΩΝΟΟ. auf der einen Seite, auf dem untern Rande der
Brust liest man ΠΥΡΓΟΤΕΛΗΣ ΕΠΟΙΕΙ. Hier wird der Betrug offenbar durch die verschiedene Form der Buchstaben in der einen und
der andern Umschrift, weil in der einen das Sigma rund ist, das ist, so gestaltet C, und in der an- [186] dem spitzige Winkel hat,
das ist, in seiner gewöhnlichen Form Σ. Ueberdem ist das Epsilon rund gezogen E, in welcher Form dieser Buchstabe zu Alexanders
des Großen Zeiten noch nicht bekannt war, und endlich ist es ungewöhnlich den Namen eines Steinschneiders, statt des absoluten
Genitivus im Nominativus und mit dem Zusatze des Wortes ΕΠΟΙΕΙ auf geschnittenen Steinen zu lesen.