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Windelband, Wilhelm
Präludien: Aufsätze und Reden zur Einleitung in die Philosophie — Freiburg i. B. [u.a.], 1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.19220#0298
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thut sich hmtzutage viel darauf zu gute, wenn man an der
Hand der Psychologie, Ethnographie und Culturgeschichte zeigen
kann, daß das Gefühl der Berpflichtung zuerst in der Unter-
ordnung des einzelnen Willens unter das Gebot eines fremden
Willens, sei es eines Judividuums oder einer Gesellschaft, ent-
springt, daß es durch Gefühle der Furcht und der Hoffnung
sich eindringlich macht, daß die Pflichterfüllung znerst Mittel
zum Zweck der Errcichung von Lust und besonders der Ver-
meidung von Unlust ist und erst im Laufe der Zeit durch
lange Gewöhnung zum selbständigen Werthe wird. Diese ganze
Geschichte der Ueberleitung der „heterouomen" in die „autonome"
Willensbestimmtheit ist sreilich durchaus nichtS Neues: sie ist
das offene Geheimniß aller Erziehuug. Aber als Theorie leidet
sie an der so weit vcrbreiteten und nie oft genug zu be-
kämpsenden Vcrwechselung von Beranlassungen und Gründen.
Keine Norm kommt anders als durch empirische Vermittelungen
zum Bewußtsein: ihre Apriorität hat mit psychologischer Prio-
rität Nichts zu thun, ihre Unbegründbarkeit ist nicht empirische
Ursprünglichkeit. Aber die Geschichte ihres Entstehens ist
immer nur diejenige ihrer Veranlassungen. Auch vom Saß des
Widerspruchs z. B. läßt sich zeigen, wie er durch den Vorstel-
lungsmechanismus zu Stande gekommen ist, zu Stande kommen
muß: aber es wäre doch wahrlich schlimm mit unserem Deuken
bestellt, wenn er dadnrch begründet wäre! Wer sich gegen die
Anerkennung dieses Verhältnisses wehrt, der möge doch bedenken,
daß man in der mathematischen Erkenutniß ein ganz ähuliches
Verhältniß sortwährend anwendet. Jn der Philosophie, wo es
sich um die werthvollsten Ueberzeugungen handelt, sürchtet man
offenbar, stets zu Gunsten der eigenen Wünsche übervortheilt zu
werden, und schreckt deshalb vor derselben Anerkennung zurück,
die man bei geometrischen und arithmetischen Sätzen alle Tage
vollzieht. Wenn das Kind durch Auszählen ersährt, daß
 
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