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2 Über die gegenwärtige Lnge und Aufgabe der Philosophie.

stände vertieften Forschens und Wissens gelöst werden,
sondern sie verlangt immer eine ideelle Selbstverstän-
digung der tiefsten Motive des gesamten Kultnrlebens,
eine Besinnung auf die letzten inhaltlichen Bestimmungen
des sittlichen und sozialen, des ästhetischen und religiösen
Zusammenhanges ihrer Zeit, dessen prinzipielle Einheit
in einer begrifflichen Form zu erfassen das Wesen der
Philosophie ausmacht.

Das Bedürfnis nach einer solchen ideellen Konzen-
tration und Selbstbesinnung ist nnn in dem Kulturleben
selbst nicht immer mit gleicher Energie vorhanden, und
das Verlangen nach einer Weltanschauung, das meta-
physische Bedürfnis, wie wir es seit Schopenhauer nennen,
macht sich deshalb zu den verschiedenen Zeiten in sehr
verschiedenem Maße geltend. An sich ist es ja immer
vorhanden, es gehört zu den unausrottbaren Trieben der
menschlichen Natur, und alle Enttäuschungen, die es im
Laufe der Geschichte erfahren hat, können nicht verhindern,
daß es immer wieder in jedem ernsten Menschen mit dcr
ganzen Fülle seiner qnälenden Fragen aus den scheinbaren
Selbstverständlichkeiten und eingelebten Gewohnheiten der
Meinungen hervorbricht. Für jeden gibt es schließlich
Erlebnisse, durch die das unbefangene Vertrauen in das
alltägliche Meinen und Glauben erschüttert wird, nnd das
sind die Geburtsstunden des philosophischen Nachdenkens.
Aber die Bedeutung, welche die Beschäftigung mit diesen
letzten Problemen in dem geistigen Leben des Einzelnen
wie der Gesamtheit einnimmt, hängt zum großen Teile
davon ab, wie stark es von den Aufgaben und Jnteressen
anderer Tätigkeits-Sphären in Anspruch genommen und
von deren Ergebnissen und Erfolgcn befriedigt ist. So ist
es möglich, daß zeitweilig vor der intensiven Arbeit auf
den besonderen Gebieten des Kulturlebens die philoso-
phische Besinnung anf deren einheitlichen Zusammenhang
mehr zurücktritt uud die wissenschaftliche Philosophie in
 
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