Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Über die gegenwärtige Lage und Aufgabe der Philosophie. 21

betrachten, worin sich aus dem Gewirre menschlicher Jnter-
essen und Leidenschaften der allgemeingültige Wertinhalt
des geistigen Lebens zum Bewußtsein und zur Verwirk-
lichung emporringt. Jn diesem Sinue verlangt das Ver-
ständuis der historischen Wissenschaft, das der heutigen
Philosophie durch die allgemeiue wissenschaftliche Lage zur
Aufgabe gemacht wird, eine kritische Theorie der Kultur-
werte. Auf der andern Seite aber ist eine solche Theorie
selbst wieder nur aus der lebendigen Entwicklung der
Geschichte zu gewinueu. Es ist völlig aussichtslos, aus der
Betrachtuug des Menschen als Naturwesen und aus seiner
darin enthaltenen Triebbestimmtheit die Vernunftwerte
des geistigen Lebens ableiten, begreifen und begründen
zu wollen. Nur als historisches Wesen reicht der Mensch
in die Welt der geistigen Werte hinauf. Seine Sittlichkeit
und sein Recht, seine Kunst und seine Religion sind das
aus Kampf und Not errungene Ergebnis seiner Geschichte.
So muß uns die Geschichte ebensosehr zum Organon
der Philosophie werden, wie es früher nur die Natur-
forschung gewesen ist, und wenn diese Einsicht vor hundert
Jahreu in dem deutschen Jdealismus aus reiu begrifflichen
und zum Teil metaphysischen Motiven entwickelt wordeu
ist, so zwiugt uus heute der lebendige Zusammenhang,
in welchem die Philosophie mit der Arbeit der besonderen
Wissenschafteu stehen soll, unausweichlich dazu, dies Prin-
zip wieder aufzunehmeu und fortzuführen. Für die Welt-
ausicht, die das ersehnte und geforderte Ziel der heutigen
Philosophie sein soll, inuß das Wertverständnis der Ge-
schichte dieselbe fundamentale Bedeutuug gewinnen, wie die
Einsicht in die begrifflichen Grundlagen der Natur-
forschung.

Es ist ein verbreiteter Einwurf gegen diese Auffassung,
daß sie eine unberechtigte Vermenschlichung des Weltbildes
enthalte. Von der theoretischen Betrachtung her ist es
leicht, darauf hinzuweisen, welch eine verschwindend geringe
 
Annotationen