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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 7.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.15409#0059
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- 7i

vor hat, bet se am Liebsten jleich Jeden, der blos davon red't, an de Beene
ufsbaumeln mechte. Ick kann Dir sagen, bei da de Unterschriften anders
klekkern. Eiwei, bet is 'ne orndtliche Freibe, wenn Dir mal so'» Bogen
unter de Finger kommt, da seehste doch wenijstens, bet de Arbeeter Verständ-
niß davor haben, wat se Noch dicht. Ick mechte blos wissen, Wat die Petition,
wenn se erst fertig is, vor'» Jndruck machen wird. Uff so'n Sticker drei
bis vier MillionekenS Unterschriften wird doch janz bestimmt jerechnet, un ick
bin der unmaßjeblichen Meinung, bet se sonne Petition nachher doch nich
so mir nischt Dir nischt in'n Papierkorb schmeißen kennen. Wenijstens
mißten denn unsere Leite in'n Reichstag 'ne beese Lippe riskiren, un se
mißten die Reaktionäre, wie se sich sonst ooch nennen mojen, mal endlich
zeije», wat 'ne Harke is.

Im Jebrigen sind se nn in de Leipzijerstraße lvidder mitten mang de
jesetzjeberischen Arbeeten. Wat vor de Arbeeter dabei rausspritzen wird,
muß ja nu abjewartet werden: ick jloobe, et wird sich an die janze Sozial-
reform un den janzen Arbeeterschutz un wat sonst noch so drum und dran
bammelt, Keener den Magen verderben. Wenn De vielleicht anderer Meinung
sein solltest, na, denn brauchst De et ja blos zu sagen, beim kann ick mir
ja deswejen ooch nich in de Hacken beißen. Aber so wie ick Dir kenne,
weeß ick, bet De janz so denkst wie ick, un et wäre wirklich Schade, wenn sich
zwee sonne juten Freinde, wie wir Beede sind, um den Regierungs-Arbeeter-
schutz verfeinden Wirde».

Sonst jiebt et in de Reichshauptstadt jrade nich allzuville, worüber man
sich von'» Jrunde seines Herzen aus freien kennte. Det Eenzige wäre noch,
bet Willem Pickenbach nu seinen rejulären Jnzug in den deitschen Reichsdag
jehalten hat. Det erfillt mir mit 'ne wirkliche, wahrhaftije Jenugdhunng.
Denn ick jönne jeden Menschen den Platz, den er sich erorbert, nn Neid
liejt meinen jefiehlvollen Karakter jänzlich fern. Wenn et unter det Volk
der Denker — wie wir uns ja immer so jerne nennen Heeren — wirklich
soville jiebt, die Willem Pickenbach in'n Reichstag wählen, na, Jacob, da
kennen wir beede doch nischt vor, wenijstens wat mir anbetrefst, so stehle
ick mir jänzlich unschuldig daran. Aber in die Jesellschaft von Stöckern un
Böckeln un Liebermann von Sonnenberjen da paßt er ja rin, denn Ehren-
scheine un Alimentationskosten, die nich bezahlt sind, det is wat vor Willem
Pickenbachen, — womit ick verbleibe erjebenst un mit ville Jrieße Dein treier

Jotthilf Rauke

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Illusionen.

Ein jeder Frühling hat Blüthen gebracht,

Unzählbare Millionen,

Doch selten noch brachte einer so viel
Der blühenden Illusionen.

Es geht ihren ewigen Lauf die Natur;

Die Blüthen nach kurzem Entfalten —

Sie sterben! O blieben uns einige nur,

Und ein paar Illusionen erhalten!

»5

Hobelspiihue.

> . Das Pfingstfest macht auf alle Menschen einen

nf feierlichen, erhebenden Eindruck. Das kommt da-

,, <| f //,_her, daß man weiß, an diesen Festtagen sind alle

Parlamente, Landtage rc. geschlossen, und es wird
/JY nirgendwo eine neue Steuer, ein Zoll oder eine

I^BC^rp Militärvermehrung in's Leben gerufen.

1 * * *

Nach einem alten heidnischen Brauche wurde
t/äSjjkt zu Pfingsten ein auserlesener Pfingstochse ge-
KOk schluckt und bejubelt. Die Meinung, daß zur
* Uebernahme dieser Rolle diesmal Boulanger

jJ1 nach Paris zurückkehren werde, scheint sich aber

S nicht zu bestätigen, so sehr sich Frankreichs Reaktio-
näre auch auf die Wiederbelebung des schönen
v Pfingstbrauches gefreut hatten.

* *

*

Das Volk soll enthaltsam und nüchtern,

Soll fleißig und brav stets, — allein,

So wünschen die klugen Philister:

Niemals soll es mündig sein.

-X- -X-

*

Bismarck hat die „Hamburger Nachrichten" zu seinem Organ er-
nannt. Da er nicht mehr Zeitrichter sein kann, will er wenigstens
Nachrichter sein.

* *

*

„Nirgends soll die Ruhe gestört werden", betonte die Arbeiterpartei in
Bezug auf die große Demonstration am ersten Mai. Daß dieser Grundsatz
allgemein respeknrt und festgehalten wurde, hält die reaktionäre Presse für
eine eklatante Niederlage, welche die Partei erlitten hätte. Möge die
Arbeiterpartei noch viele solcher Niederlagen erleben!

* *

*

Einst tanzte in kühler Mainacht
Der Elfen lustiges Heer —

Jetzt haben wir oft kühle Nächte,

Doch tanzen die Elfen nicht mehr.

Warum sie jetzt so sittsam?

Es giebt die Polizei
Nicht mehr die Tanz-Erlaubniß
Für freie Nächte im Mai.

X- -X-

*

Schorlemer-Alst ist ein Nagel zum Sarge des Kulturkampfes.

Ihr getreuer

Säge, Schreiner.

„Ein Professor trägt gewöhnlich eine blaue Brille, einen Schlapphut
und einen langen Nock", sagte Grete. „Drum wird auch der Aufschlitzer
so kommen, damit man ihn nicht kennen soll. Aber der Ortsvorsteher, der
weiß Alles, haha!"

„Da muß ich auch zusehen, wie der gefaßt wird", sagte Trine.

„Und ich! Und ich! Und ich!"

„Aber Ihr sollt schweigen", mahnte Grete.

„Wie das Grab!" rief es von allen Seiten.

Zehn Minuten später wußten alle Bewohner des Dorfes, daß der be-
rüchtigte Jack der Aufschlitzer kommen und sich ein Opfer suchen werde.
Einige Witwen verriegelten ihre Thür. Nur Johanna, die Gänsehirtin,
bekannt durch ihre böse Zunge, sagte am Abend, als sie die Gänse Heimtrieb:

„Ich fürchte mich nicht. Warum sollte sich der Aufschlitzer gerade
Flurwinkel auserwählt haben. Vielleicht hat des Ortsvorstehers Gehirn
einen Schlitz bekommen."

* *

*

Aber es schien, als sollte der Ortsvorsteher recht behalten.

Die Sonne warf ihre letzten Strahlen auf die röthlichen Felder und
zitternde Lichter huschten im Abendschein durch das Laub der Bäume — da
erschien richtig der in einem anonymen Brief an den Ortsvorsteher ange-
kündigte Jack der Aufschlitzer im Dorfe. Mit einem Schlapphut, langem
Rock und einer blauen Brille schritt er langsam einher, oft nach den abend-
lichen Wolken schauend. Als er um die Ecke bog, stand er vor dem Brunnen,
wo die Schaar der Mägde wiederum versammelt war. Mit einem wilden
Schrei deutete die dicke Grete auf den Ankömmling; die Mägde drehten sich
um und stoben dann auseinander wie eine Schaar Hühner, unter die der
Habicht fährt.

„Der Aufschlitzer! Der Aufschlitzer!" kreischten sie; die Kinder auf der
Straße schrieen es ihnen nach und ein lahmes altes Mütterchen, das auf
einer Steinbank gesessen, versuchte auf allen Vieren davon zu kriechen mit
dem angstvoll hervorgestoßenen Seufzer:

„O, der Aufschlitzer!"

Aber auch auf dem Dorfe wacht das Auge des Gesetzes. Während die
Frauen und Mädchen flohen, kam von drei Seiten her die bewaffnete Macht
zum Vorschein. Der Freinde, der sich ui» gar Nichts zu kümmern schien
und seinen Weg sortsetzen wollte, ward mit einem donnernden Halt von
sännntlichen drei Bütteln angerufen.

Er fuhr sichtlich zusammen.

„Halt, Aufschlitzer, Frauenmörder", schrie der Büttel von Flnrwinkel,
seinen rostigen Säbel schwingend.

„Was wollen Sie?" srug der Fremde.

„Dich arretiren!" rief der Büttel trinmphirend.

„Machen Sie doch kein solch dummes Zeug", rief nun der Fremde
wüthend, „ich bin der Professor Sinnig." Da kam er aber schön an.

„Warte Aufschlitzer", rief nun der in seiner Amtsehre gekränkte Büttel,
„Dich wollen wir zahm machen."

Der Professor wurde gepackt, gebunden und mit flachen Säbelhieben
lraktirt. Dann ward er in eine Art Schweinestall gesperrt, wo es ganz finster war.

Nach einiger Zeit ward er vor den Ortsvorsteher gebracht. Vor dem
Gefängniß hatten sich zahlreiche Bauern versammelt. Als der Gefangene
über die Straße geführt wurde, brach ein lautes Geheul und Gejohle aus.

„Der Aufschiitzer! Hoho! Der muß hängen!" schrie Einer.

Vor dem Ortsvorsteher protestirte der unglückliche Professor gegen seine
Verhaftung, aber ohne allen Erfolg. Er mußte die Nacht über eingesperrt
bleiben. Erst am anderen Morgen, als der Untersuchungsrichter aus der
Stadt kam, erlangte der Professor seine Freiheit wieder.

-X- *

Herr Sinnig saß in seinem Lehnstuhl und Kathi machte ihm lindernde
Umschläge auf den schmerzenden Rücken, wo die Spuren der flachen Säbel-
hiebe nur zu deutlich zu sehen waren. Kathi sah heute sehr ernst und
würdig aus.

„Schändlich!" kreischte der Professor. „Aber der Ortsvorsteher wird
eine Nase bekommen und der Büttel bestraft werden."

„Wird ihnen recht geschehen!" meinte Kathi.

„Wenn man nur den Uebelthäter ausfindig machen könnte, der den
nichtswürdigen Brief geschrieben hat", stöhnte Sinnig.

„Vielleicht findet man ihn", meinte Kathi. „Aber auch wir müssen
aus diesem Vorfall etwas lernen."

„Was denn?" ächzte Sinnig.

„Wir werden ein Buch schreiben, in welchem wir eine milde Behandlung
der Gefangenen empfehlen und besonders auch verlangen, daß die körperliche
Züchtigung und Mißhandlung der Gefangenen vermieden wird."

Der Professor seufzte. Er wußte, daß er jetzt keinen Widerspruch er-
heben dürfe.

In seinem neuesten Werk über den Strafvollzug wird er die größte
Milde empfehlen.
 
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