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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 7.1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.15409#0067
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803 —-

Abjeordnetcn »ich mehr von Spitzels bewacht werden sollen. Kannste Dir
dct Schreckliche woll vorstellen, lieber Jacob? Na, ick kann Dir versichern,
dct Berlin immer noch nff den ollen Fleck steht, nn bet noch keen Eenzijer
bis jetzt ans Versehen dm Krcizbcrg in de Tasche jcstochcn un ihn wegjeschleppt
hat. Ihr in Stuttjart kenntet ihn vielleicht janz jut jebrauchen, det jloob
ick woll, aber et nimmt ihn eben Kcener, nn de armen Jeheimen wissen nn
vor Mangel an Arbect ieberhaupt nich mehr, Wat se so richtig anfangen
sollen.

Berlin steht immer noch uff seinen ollen Fleck, wie ick mir schon zu
befierworten de Freiheit nahm. Du wunderst Dir woll, dct ick so heeflich
bin — na, Jacob, wenn De mir nich vor'n jebildeten Menschen hältst, denn
erzirnen mir uns Beede, ick sage Dir, ick kann jenau so sein sein wie blos
irjend Eener. Sechste, Jacob, wenn ick Kriegsminister wäre, denn brauchte
ick det ja nich zu sind, wenn mir denn Eener det nich jeben wollte, wat ick
vor de Sicherheit un de Vertheidijuug von't Vaterland vor neethig halte,
na, denn würde ick einfach sagen: „Davon versteht Du nischt" un Wirde
ejal de Russen icber de Jrenzen kommen lassen. So is et diesmal ooch.
Ick hätte eijcntlich jedacht, det se bei den Militäretat nn doch mal jesagt
hätten, wozu se denn nu die Villen Soldaten un die Masse Kanonen je-
brauchen, aber wie ick den Reichsdagsbericht jelesen hatte, da war ick jenau
so schlau wie vorher; aber Du brauchst darum noch lange nich zu jlooben,
det ick vielleicht nachher dämlicher jewesen wäre wie vorher. Nee, so schlimm
is et bei mir nu ooch nich bestellt, un wenn ick ooch uff eene Backe 'n
birken dumm bin, ieber Kreiz dämlich bin ick denn doch noch nich.

Aber det schad't nischt. De Lebensmittelpreise sind ja jetzt so scheen
niedrig, dct ick mir meine Salzkuchen mit Jänseschmalz schmieren kann.
Warum soll ick denn ooch nich — in de Bibel steht ja: wat zum Munde
einjeht, det sindigt nich. Also da kennen mir ja ooch Alles bewilligen, denn
mir haben soville Jeld, det uns de Taschen reißen. Man immer noch mehr
Soldaten, un immer neie Jewehre jemacht, det is de Hauptsache: et mißte
doch mit den Deibel zujchen, wenn wir den Erbfeind in Ostafrika nich mal
endlich unterkriegen würden. Da kcnnste Wißmann'n schlecht, lvcnn De
vielleicht denkst, det der de Hosen voll hat. Kecne Spur von blasse Ahnung:
wer sich nich freiwillig zu de neideitsche Kultur bekehrt, na, der wird uss-
jehängt — ick finde, det det dct beste Mittel jejcn alle lifssässijcn is. Da
jiebt et nachher denn keen Lamentircn mehr; der Bekehrungsunsähije der
strampelt woll 'n biskcn mit de Becne un verdreht det Jcstcht, aber nachher
is er mucksstill, wat von alle Sachverständigen von jeher vor een Zeichen
der Zustimmung jehalten worden is. De Nejer sind ja ooch zu dämlich:
wenn De die Kerrels inreden willst, der Mond iS aus Käse — denkst De, se
jlooben Dir det? Nu erzähle die Brieder erst wat von Stöcker, da loofcn
se, det se de Absätze verlieren, un denn kannste se suchen, bist De ooch
schwarz wirst.

Ick sage Dir, Jacob, jebet Ding hat seine Klitzen, aber dct Schlimmste
iS det doch mit de Kolonisation. Jlicklicher Weise kennen wir et ja aus-
halten, denn wir sttzen in'n Mammon bis an de Ohren. Denke Dir doch
blos an, neilich in de Schule, da fragt een Lehrer eenen Jehcimrathsjungen,
er soll ihn een Hausthier nennen. Ratierlich hat der Junge det rauchlose
Pulver nich erfunden un weeß et nich. „Na", fragt der Lehrer, um den

Dummcrjahn 'n bisken nff de Strimpe zu helfen, „wovon habt Ihr denn
heile Mittag jejesscn?" „Von't Fcrd", sagt der Junge. Sechste, Jacob,
daraus kannste am besten sehen, wie et bei uns zujcht, uu det wir vor
Rcichthum jarnich wissen, wo wir hin sollen.

Na, laß jut sind, Jacob, nach die Zeit kommt ooch mal Widder 'ne
andere, bessere, wo wir unser Jeld mal so anlegen, wie et uns paßt, wo-
mit ick verbleibe erjcbenst un mit ville Jricße Dein treicr

Jotthilf Nancke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Hobelspähne.

Der alte Moltke hat sich auch in der Militär-
debatte des Reichstags wieder als der große
Schweiger erwiesen. Während er die Militär-
vcrmehrnng empfahl, schwieg er ganz ausführlich
und gründlich darüber, woher wir das Geld
für die fortwährende Heercsverstärkung
nehmen sollen.

* *

*

Die Sonne scheint wärmer und wärmer
Die Steuern blüh'n prächtig und prächt'ger,
Das Reichshccr wird mächtig und mächt'gcr,
Das Volk wird stets ärmer und ärmer.

*• *

„Mehr Licht!" lispelte der sterbende Goethe.
Da meinte er jedenfalls, man solle durch bessere
Bezahlung der Hamburger Gasarbciter dafür sorgen, daß dieselben
nicht erst streiken und die Stadt in Dunkelheit hüllen müssen.

* *

*

Bennigsen, ich Hab' eine Ahnung,

Warum mit so warmem Blick
Du förderst in eifriger Rede
Die Kolonialpolitik.

Ich weiß Deine alte Liebe,

Ich kenne Dein altes Weh:

Du hoffst, ein Ministerposten
Blüht Dir am Nhanzasee.

* *

*

Die Behauptung, Bismarck sei Morphinist gewesen, ist ganz falsch
verstanden worden. Er hat das Morphium nicht selbst zu sich genommen,
sondern hat vielmehr das Einschläferungsnnttel bei der Sozialreform
angewandt, weshalb dieselbe unter seinem Regime auch fortwährend cinschlicf.

X- «-

*

Die Schreinerei macht doch immer größere Fortschritte. Selbst in
den Reichstagsdebattcn geht es zwischen Ministeriellen und Opponenten nicht
mehr so ungehobelt zu, wie früher.

- Ihr getreuer Säge, Schreiner.

„Sic haben Humor", sagte er, „Sie nennen die Sache gleich beim
rechten Namen. Aus Ihnen kann ich etwas machen."

„Das wird mir angenehm sein", meinte Jeremias, „denn ich hab's
verteufelt nölhig; meine künftige Schwiegermutter könnte unangenehm werden."

„lind da muß das Preßbureau helfen", lachte der Gcheimrath. „Kostbar,
kostbar!"

„Ja, Schwiegermütter sind eine kostbare Einrichtung", seufzte Jeremias.

Der Geheimrath lachte wiederum laut auf; dann begann er den ehe-
maligen Theologen mit den Pflichten feines künftigen Berufes vertraut zu
machen.

„Sie lassen sich nun hier in Berlin als Journalist nieder", sagte der
Geheimrath, „und wenn Sie nur ein wenig tüchtig sind, so können Sie
auch bald heirathen."

JeremiaS strahlte vor Entzücken.

„Sic kommen jeden Nachmittag zu mir und holen sich die Parole",
fuhr der Geheimrath fort.

„Was ist das?"

„Das werden Sie schon sehen. Sie schreiben an englische, italienische
und amerikanische Blätter, und zwar genau so in dem Sinne, wie ich es
Ihnen angebe. Was Sie schreiben, soll von der wohlgesinnten deutschen
Presse als chcachlenswerthe Stimme des Auslandes' abgedruckt werden. Die
öffentliche Meinung will eben heutzutage hinters Licht geführt sein."

Jeremias begann gleich am anderen Tage seine Thätigkeit. Abends
kam er zu Frau Knorr, die zwar von der neuen Thätigkeit nicht sehr erbaut
war, denn eine Pfarrei wäre doch gar zu schön gewesen, aber sic braute doch
einen mageren Punsch zusammen, denn sie hatte jüngst bei einer Visite ein
wenig Essenz geschenkt bekommen. Grctchen strahlte vor Vergnügen, denn
nun war doch wieder Aussicht da, daß sic unter die Haube kam.

Inzwischen kamen die politischen Ereignisse; die Bismarckkrisis spielte
sich ab.

Der Gcheimrath machte häufig ein sehr bedenkliches Gesicht.

„Er wird fort müssen", meinte er. „Aber die Hauptsache ist, daß wir
im Sattel bleiben."

Als die Kanzlerkrisis so stand, daß die Opposition voll Hoffnung war,
der Kanzler werde gehen müssen, während die Kartellbrüder noch hofften, er
werde sich im Amt erhalten, da ward der Herr Geheimrath sehr nachdenklich.

„Wir müssen jetzt an die großen englischen Blätter schreiben, daß die
Regierung des Fürsten Bismarck eine Bürgschaft für den Weltfrieden sei",
sprach der Geheimrath.

„Wohl", antwortete JeremiaS.

„In amerikanischen und englischen Blättern aber, die mehr der liberalen
Richtung zuneigen, müssen wir betonen, daß das deutsche Volk den Rücktritt
des Fürsten Bismarck wünsche."

„Schön", meinte Jeremias.

„Dann bezwecken wir, daß die Stimmung für das System Bismarck
wieder günstiger wird, wenn wir diese Stimmen des Auslandes registriren.
Denn wenn die Liberalen im Auslande den Stur; des Kanzlers verlangen,
so wird das seine Stellung wieder befestigen."

„Es wird Alles besorgt", sagte Jeremias, „und ich werde bemüht sein,
diese Stimmen des Auslandes ganz besonders beachtcnswerth zu machen."

An diesem Abend führte Jeremias, der nun bei Kasse war, seine Braut
und seine Schwiegermutter ins Theater. Alle waren guter Dinge und man
machte Pläne für die Zukunft des edlen Paares.

Aber es kam ein Blitz bei heilerem Himmel. Als einige Tage später
Jeremias bei dem Gcheimrath eintrat, um sich die Parole zu holen, rannte
dieser ivüthend auf und nieder.

„O, Sic ungeschickter Mensch", schrie er. „Was haben Sic angcrichtet?"

„Wa—a—as?" stotterte Jeremias.

„Nun bringen die englischen Blätter, daS deutsche Volk wünsche Bis-
marck's Abdankung; das macht gcwalügen Eindruck. Die italienischen und
amerikanischen Blätter dagegen, die sonst nicht allzusrenndlich gesonnen gegen
ihn sind, bezeichnen ihn als Hort des Friedens — das wird nicht ernst
genommen."

„O ich Unglückseliger, ich habe die Korrespondenzen verwechselt", ries
Jeremias.

„So, Sic Schafskopf, solche Leute kann man nicht als Reptilien brauchen",
> schrie der Geheimrath. „Gehen Sie, wir haben nichts mehr mit einander
zu thun!"

Jeremias ging, wie betäubt.

Gretchcn hat jetzt wirklich Aussicht, ewige Braut zu werden.
 
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