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•...*£=3 Ken Off

3freunb Lhauvins Antlitz strahlt von Glück; er tanzt auf leicht-
beschwingten Zahlen:

Zoll sich doch das Theaterstück von Kronstadt nunmehr wiederholen.
Ist auch des Zaren Tasche leer, stiehlt frech auch der Beamten Rotte —
®en Züden schwimmt, ins Nittelmeer, mit bunten Wimpeln feine Flotte.
Damit der wundersame Bund Lhauvin-Kosack der ganzen Lrde
Durch der Kanonen dumpfen Mund verkündet »nd bekräftigt werde.
Damit es Allen werde klar. daß. was auch fernerhin geschehe.

Die Republik dem weißen Zar in Freud und Leid zur Zeite stehe.
Daß Frankreichs Herz für Rußland schlägt, und daß es theile seine Lorgen.
Wenn es auch noch Bedenken trägt, dem ober krere d’armes etwas zu

borgen.

Run. Deutschland, sei auf deiner Hut »nd blicke scharf und fest nach Norden
And sei gefaßt auf eine Flut verhungernder Barbarenhorden.

Die vorwärts die Verzweiflung treibt. die Gier, in Deutschland sich zu laben.
Weil keine andre Rettung bleibt und nichts sie zu verlieren haben.

And wogt heran die dunkle Flut, uin neuem Zchmall den Weg zu zeigen,
Dann wird das allzuheiße Blut dem Franken rasch zu Kopfe steigen.

und West. —«••••

Dann ganz von selber fährt der Zchuß heraus den vorgeschobnen Posten
Und Deutschland wird sich, weil es muß. im Westen schlagen wie im Vsten.
Das Zittern aber vor dem Lchwall. das überlassen wir den Weibern —
Wir bauen wieder Wall auf Wall aus nerv'gen, starken Männerleibern
Und hoffen, daß die tolle Flut, ob noch so hoch der Zturm sie triebe.

An deutscher Kraft und deutschem Muth zerschelle und zu Lchaum zerstiebe,
tlnd wir. das Proletariat, ob auch verrathen und getreten —

Wir werden, wenn die Stunde naht, zur Waffe greifen, statt zu beten.
Und wer mit dem Barbaren zieht, der sorge, daß er's schwer nicht büße —
Dem werfen wir. wenn Alles flieht, den Handschuh trotzig vor die Füße.
Und wüßten das die hohen Herrn, sie würden unsre Freiheit achten.

Zie würden ihrer Heere Kern in Knechtschaft nicht zu halten trachten,
Zie würden hemmen nicht die Bahn der strebenden, erwachten Nassen,
Zie würden uns den alten Lpahn mit unfern Drängern schlichten lassen.
Zie brauchen uns. den armen Knecht, sie brauchen uns und unsre Rangen.
Und zürnen, wenn wir unser Recht, das lang geweigerte, verlangen?
verkennt die Zeichen nicht der Zeit und vor des Lchicksalsmorgens Tagen
8ewähret doch Gerechtigkeit uns. die wirDeutschlands Zchlachten schlagen!

Berlin, Anfang März.

Lieber Jacob!

Nanu wird's Dag, un wenn De nu noch nich hinter det Jeheimniß
jekommen bist, woher alles Unjlick in de Welt kommt, denn sich Dir blos
vor, det De nich unter'» Leierkasten kommst, sonst wirste am Ende noch
mit Musik bejraben, un det jönne ick Dir denn nu doch »ich, indem Du,
foville ick weeß, zu keenen Kriejerverein jeheerst. Heechstens ick, weil ver-
schiedene Leite jvon mir wat kriejen. Doch Spaß bei Seite un den Ernst
in de Westentasche — aber der Jnnungsdag, der. neilich hier de soziale
Frage löste, der hat mir 'nial so'n richtijen Seefensieder nsfjesteckt. Nu
weeß ick doch wenijstens, woran et liegt, un wenn ick immerzu an'n perma-
nenten. Dalles leide, so hat det seinen Jrund darin, dat mir der Befähijungs-
nachweis zu so'n richtijen Protzen fehlt, weil ick noch nich de richtije
Jelejenheit jefunden habe, um zu zeijen, det ick ebenso jut Leite ansbeiten nn
schinden kann, wie jeder andere Schafskopp ooch. Also mir fehlt det Diplom.

Aber im Alljemecnen bin ick nu der Ansicht, det uff de janze Welt keen
Mensch 'ne richtije Veranlassung hat, sich um die Brieder jroß uffzurejen,
un ick mißte wirklich mit ’tt Luftballon ieberjefahren sind, wenn ick mir
jraue Haare um een Jnnungsdiplom wachsen ließe. So dumm, da könnte
schließlich Jeder kommen. Aber lvenn man von die Jnnungsbrieder ab-
seht, denn hat man doch jewissermaßen 'ne Freide, wenn man merkt, det
det Volksschuljesetz vorläufig in 'ne Kommission injebuddelt js. Un ick
hatte mir doch schon so drufs jesreit. Det wäre ja det weite Katzensangen

jewesen, wenn se hier in Berlin Alles nach sojenannte Konfessionen injetheilt
hätten. Denn hätte schließlich een Evanjelischer nich in 't katholsche Viertel
ohne polizeiliche Erlaubniß rinjederft, nn een dissidentischer Schuster hätte
eenen jiedischen Mitbirjer keen Paar Stiebeln besohlen derfen. Denkste, det
ick mir darum Haare ausjerissen hätte? Hast Du 'ne Ahnung! Ick weeß
sehr jut, det der Krug so lange zu Wasser jeht, bis der Henkel brecht, det
heeßt, wenn ihn een Schafskopp dragt, womit ick iebrijens nischt jejen irjend
Jemanden jesngt haben will. Um Jotteswillen nich, denn sonst kämen mir
vielleicht jeden Dag so ’tt Paar Stöckersche oder jeschorene Seelenretter nff
de Bude jerickt un bekehrten an mir rum, wo ick doch mit nieinen Jlooben
wahrhaftijen Jott noch keenen Menschen in 't Jeringste nich belästigt habe.
Ick jloobe nämlich, det sieben Fund Rindfleesch ’nc sehr jute Briehe jeben,
un wer det nich jloobsi den estimire ick allerdings vor een Wesen, von den
det Rindfleesch stammt. Ick jloobe nich, det jejen mein Jloobensbekenntniß
ville inzuwenden is, aber wem det nich paßt, der kann janz einfach ziehen
zuni Ersten.

Doch nn hätte ick ja beinahe die Hauptsache Widder verjessen. Nämlich,
Wat ick sagen wollte, wie is denn det cijentlich mit Deine militärischen Ver-
hältnisse. Da Du keen Dienstmächen bist, brauchste nich jleich roth zu werden,
ick meene et nämlich ernsthaft. Wenn ick mir nich irre, biste ooch Reichs-
krippel, indem se damals, wo Du zur Stellung jingst, Dir absolut nich
jebrancheu konnten. Haste mal wat von't 105. Rejiment jeheert?' Kannst
dreiste Ja sagen, ick bin keen Unteroffzier un haue ooch nich jleich. Aber

rXT Die Löse Presse.

(Frei nach Caprivi.)

taß es in dieser schönen Welt

Gar manchmal ist recht schlecht bestellt,
An jeglichem Exzesse
Ist niemand anders Schuld fürwahr!

Als nur die böse Presse.

Wenn Hungersnoth das Land bedroht
Und immer thenrer wird daS Brot
Durch große Dürre, Nässe:

Laßt doch die Zölle aus dem Spiel,

Die Schuld liegt an der Presse.

Wenn ein Kassier ist durchgebrannt,

Wein, Wechsel, Stempel fälscht Jemand,
Urkunden oder Pässe:

Erklären kamt man solches nur
Durch die verdammte Presse.

Wenn eilt Bankier die Welt bestiehlt,

Ein Börsenmensch Depots verspielt . -
In eigenem Jntresse:

Urtheilet ntild, die Schuld trägt ja
Die bitterböse Presse.

Und wenn der Arme hungert, friert,

Die Noth sich deutlich annoncirt
In des Gesichtes Blässe:

Gewiß, cs kann nicht anders sein,

Die Schuld liegt an der Presse.

Erregt ent Pfarrer 'mal Skandal,

Verletzt ein Frommer die Moral,

Der täglich geht zur Messe:

Was könnte wohl die Ursach' sein,

Als blos die böse Presse.

Drum wär's das Beste wohl, daß man
Nicht lesen lern', und wer es kann,

. Es wiederum vergesse,
llnschädlich mär' für alle Zeit
Alsdann die böse Presse. *

Der dcutsHe Innungstag in Berlin.

er große Tag der Innungen ist gekommen.
Durch die mit zwei Riesenzöpfen sinnreich
T" geschmückte Saalthür drängen sich Jnnungs-
meister und. Obermeister in dichten Schaaren. Auf
dem Tische des Hauses thront ein künstlicher Krebs,
welcher in seinen Scheeren das Koalitionsrecht der
Arbeiter und die freie Konkurrenz zermalmt. Dieser
Krebs ist als. Meisterstück der Zunftpolitiker vor-
gelegt und mit einer kunstvollen Mechanik zum
Rückwärtslaufen versehen worden; aber die Me-
chauik fungirt leider nicht.

Die Eröffnungssitzung verherrlichen die geladenen
Ehrengäste Graf Caprivi, Bötticher u. s. w. durch
ihre Abwesenheit.

Bei der Vorsitzeitdenwahl kommt es zu einer
lebhaften Szene. . Die anwesenden ultratnontanen
und, konservativen Zunftführer sind der Versamm-
lung nicht schwarz genug, sie will einen noch
schwärzeren haben. Endlich findet sich ein solcher
in der Person des Schornsteinfegers Faster
von Berlin, der zum ersten Vorsitzenden gewählt
wird, ivährend als zweiter Vorsitzender der eben-
falls hinreichend schwarze Biehl fungiren darf.

Lur Begrüßung ergreift der P o l iz e i k om m i ssär
Messerschmied das Wort und versichert die Ver-
sammlung seines Wohlwollens. Dieses werthvolle

Zugeständniß erleichert die Herzen der Versammelten
sichtlich, denn da die zünftlerischen Tiraden häufig
dümmer sind, als es die Polizei erlaubt, so
war die Gefahr eines Konflikts mit derselben nicht
zu unterschätzen.

Es,erscheint Stöcker und erklärt unter frene-
tischem Beifall, daß an den Zöpfen der Innung
das ganze Reichsgebäude hänge. Mit kräftigem
„Hepp, hepp!" wird dem. Redner eine geselchte
Judenhaxe als Erfrischung angeboten. .

Als Referent tritt Biehl auf, um den In-
nungen ihren Todtenschein auszustellen.und als
„Wiederbelebungsversuch" den Befähigungsnach-
weis zu empfehlen. Der. Wiederbelebungsversuch
bleibt vorläufig erfolglos, da Biehl's eigener Be-
fähigungsnachweis zum Politiker und Retter des
Handwerks noch ausstcht.

Es folgt Nagler-München, welcher darüber
referirt, wie man im Münchener Hofbräuhause über
das Submisfionsweseu, den Banschwindel u. s. w.
denkt. Es geht aits dem Referat hervor, daß der
Bauschwindcl zünftlerisch geregelt werden muß, weil
er jetzt so sehr im Großen betrieben wird, daß die
kleinen Meister gar nicht mehr recht mitmachen
können.

. Die Hauptschlacht tobt um den Antrag, betreffend
die Aufhebung der Innungen. Man betont, das
Vaterland verdiene es eigentlich, daß man ihm den
Streich spiele, die Innungen aufzuheben, weil es
mit sträflichem Leichtsinn unterlassen habe, die
Jnnungsmeister zu Großwürdenträgern des Reiches
zu ernennen. Man will aber noch einmal Gnade
vor Recht ergehen lassen und die Innungen, ohne
welche das Vaterland nun einmal nicht existiren
kann, erhalten; man erwartet aber, daß nunmehr
die Wünsche der Zunft dem deutschen Reichstag
und der Regierung Befehle sein werden.
 
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