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- 1210 -

Ven ^ornzöllnern.

ie ihr im Parlamente sitzt,

Ihr mögt auf den kurul'schen Stühlen,

Ruf denen ihr seit Monden schwitzt,

Luch unaussprechlich wichtig fühlen.

Doch anders wird vom Volk gedacht.

Vom Volk in seinem Tram und Leide.

Was kümmert es die Redeschlacht?

Ls grollt und zürnt bei Tag und Nacht:

Kort mit den Zöllen aufs Getreide!

Rnd wundert euch des Volkes Troll,
Der finstre Zorn in dünner Hülle?

Ls faßt nicht, daß es hungern soll,
Damit sich eure Truhe fülle.

Blickt immerhin bekümmert drein,
Sprecht immerhin von gelbem Neide —
Das wirft uns keine Kenster ein;

Das Volk besteht auf seinem Schein:
Kort mit den Zöllen aufs Tetreide!

Ihr meint, das Mögliche geschah
Und fordert gar, daß wir euch danken?
Ihr wünscht, um die Korvette K
Luch tagelang herumzuzanken?

Wir lachen euch ins Angesicht
Und schwören's euch mit theurem Lide:
A)ir ruhen und wir rasten nicht.

Und was nicht biegen will, das bricht!
Kort mit den Zöllen aufs Tetreide!

Wie Lngland einst sie überwand.

Die harten, volksverhaßten Zölle,

Lo brechen wir im deutschen Land,

Sie, die der Theurung große Äuelle.

Und rathet man dem Troller auch.

Daß er vom Heimathboden scheide —

Lr kämpft, wie es der Treue Brauch,

Daheim und bis zum letzten Hauch:

Kort mit den Zöllen aufs Tetreide!

In Hirn und Herzen hat es Baum
Nur noch für diese eine Krage —

Ihr aber hört sein Stöhnen kaum
Und spöttelt über seine Ulage?

Nun gut! Zum Brausen dumpf und hohl
Wird sie, ihr Herrn von Sammt und Seide;
Dann, sei es übel oder wohl.

Ruft ihr, vergessend euren Uohl:

Kort mit den Zöllen aufs Tetreide!

Berlin, Mitte März.

Lieber Jacob!

Wenn Du een Liebhaber von Senge bist, denn hättest De so vor rat«
jefähr vierzehn Dage hier nach Berlin kommen sollen — da hättest De mal
Deinen Puckel jehörig voll kriejen kennen. Nämlich von wcjen die Krawalle,
wo de Schntzleite zwischen det Publikum zwischen jewichst haben, bet man
immer de Fetzen so flogen. Et is wirklich zu Schade, det die Leite ville
zu wenig Bewejung haben un det se darum froh sind, wenn se mal in die
Jelejenheit kommen, ihre ieberflisstjen Kräfte anzuwcndcn. Ick wißtc ja nu
een besseret Mittel. Ick wirde, naiierlich, wenn ick wat git sagen hätte,
wat leider immer noch nich der Fall is, uff een janz änderet Mittel ver-
fallen, wenn ick de Berliner Schutzlcite det Wichsen abjewöhnen sollte. Ick
ließe nämlich alle Decken, Teppiche un Madratzen, die ick blos habhaft
werden kann, nff't Tempelhofer Feld bringen nn die mißten se auskloppen,
bis se keenen Arm mehr riehren kennten. Ick jloobe, denn wirde sich der
Eifer schon legen. Aber solange wie Birjer zu sonne Sachen unsere Kehrseiten
herjeben missen, da werden die Keilereien woll jrade nich mit fliehende Be-
jeisterung uffjenommen werden.

Wat nu so Wirklichet bei die Krawalle jewesen is, det wirste woll aus
de Zeitungen schon jelesen haben, indem Du doch riesig vor Bildung
schwärmst — janz mein Fall. Mein Jott un Vater, wat haben de Leite

doch hier Alles jercdt, un se jloobtcn schon, de Franzer oder Alexander oder
jar de Maikäber würden aus de Chausseestraße kommen, un wirden Alles,
wat uff de Straße rumkrebst, in Jrund un Boden schießen. Na, een
Fressen wäre det ja jewesen vor die neien Achtmillimeter, aber so rasch
schießen denn de Preißen nu doch nich. Diesmal jenicgte noch der Pollizei-
säbel, na, un der hat ja nu seine Schuldigkeit jedahn. Berittene un Fuß-
schutzlcite, die konnten nu mal de Berliner zeijen, wat 'ne Harke is. Ick
weeß nich, lieber Jacob, aber ick muß Dir wirklich een Jeständniß machen.
Seh mal, ick bin jemiß Berliner mit Leib un Seele, un wie ick als janz
kleenct Kind jeboren wurde, da ertönte mein erstet Jebrüll nach Spree-
wasser — aber bei sonne Krawalle da benehmen sich de Berliner nach
meine Meinung nich wie orndtliche Kerrels. Ick weeß nämlich nich, wat
sich de Leite danach drängeln, sich von de Schutzleite verwichsen zu lassen.
Wo nämlich so Eener hinhaut, da wachst keen Jras, un wenn jeder
Berliner bei sonne Jelejenheit ruhig zu Hause bliebe, denn kennte de
Pollizei lange warten, bis se eenen anständijen Mann verhauen kann, denn
wäre se mit die Krawaller janz alleene uff de Straße un mit die kennte se
denn machen, wat se wollte.

Von sonne Putsche un Jeschichten, wie se hier vorjekommen sind, halte
ick nämlich jarnischt, det will ick Dir man jleich janz offen sagen. Wenn
sich die Jeschichte darum dreht, unsere Jejner Material jejen uns zu ver-

Der §arvenö1inde.

Skizze von M. L.

n der Werkstätte des Schneidermeisters
Ziegenbart herrschte unter den Gehilfen
große Unzufriedenheit.

Es war in der „Saison," jener Zeit-
Periode, in welcher die Arbeitskräfte bis
zur gänzlichen Erschöpfung angestrengt werden, um
dann wieder monatelang ohne Verdienst brach zu
liegen. Schon seit Wochen war regelmäßig bis
Mitternacht gearbeitet worden und heute war soeben
wieder der Befehl gekommen, eine Anzahl Kleidungs-
stücke unbedingt noch fertig zu stellen, und wenn
die ganze Nacht darüber verginge.

Freilich, die Arbeit drängte; nicht nur, daß das
schöne Frühjahrswctter allein schon den Wunsch
nach neuen Jaquets, Hellen Hosen und Sommer-
überziehern in den Herzen der eitlen Männerwelt
rege machte — morgen, am Sonntag Vormittag,
fand auch eine besondere Festlichkeit statt, zu welcher
„Jeder, der ein bischen was ist," erscheinen wollte.
Es sollte nämlich die neue Brücke eingeweiht wer-
den, welche die Stadt mit ihrer jenseits des Flusses
liegenden Vorstadt dauernd zu verbinden hatte. Zur
Feier dieses hochwichtigen lokalen Ereignisses war
dicht am Ufer eine Festtribüne für die Honoratioren
errichtet worden, das Wetter versprach einen herr-
lichen Sonntag und es war anzunehmen, daß die
Kunden des Meisters Ziegenbart es diesem wohl
niemals verzeihen würden, wenn er sie mit den
bestellten Anzügen „sitzen ließe."

Deshalb mußten zwölf Schncidcrgehilfen und
diverse Lehrlinge ihre Nachtruhe opfern.

„Wenn er wenigstens für solche Schwitzarbcit
ordentlich zahlte!" rief der magere Schwind, ein
begonnenes Gespräch fortsetzend, „aber mit unserer
Mehrforderung hat er uns brutal abgewiesen."

„Er ist ein Protz," bemerkte der lange Kohl,
indem er seine Nadel einfädelte. „Der Jnnungs-
dünkel steckt ihm im Kopfe."

„Wir sollten doch angesichts der heutigen Sachlage
unsere Forderung wiederholen," äußerte da ein kleines
Männchen Namens Balthasar am Zuschneidetische.

Alle blickten überrascht auf; die Arbeit ruhte
einen Augenblick. Das Wort des kleinen Mannes
galt etwas in der Werkstelle. Indessen konnte es
jetzt die allgemeine Mißstimmung nicht verscheuchen.

„Ich habe nicht Lust, mich vom Meister an-
schnauzen zu lassen," sagte Schwind, „und weiter
kommt doch nichts heraus."

Die Andern stimmten zu. „Willst Du cs viel-
leicht riskiren, kleiner Balthasar?"

„Warum nicht?" erwiderte dieser. „Mehr als
hinauswerfen kann uns der brave Ziegenbart nicht,
und dann kommen wir wenigstens zu unserer
Nachtruhe."

Der Kleine hielt Wort. Er begab sich furcht-
los in die Höhle des Löwen oder vielmehr in das
„Atelier" des Kleiderkünstlers Ziegenbart und die
Kollegen in der Werkstätte brauchten nicht allzu
lange auf seine Rückkehr zu harren.

„Nun, wie steht's?" riefen mehrere Stimmen,
als er eintrat.

Balthasar zuckte gleichiullthig die Achseln; es
klang aber doch ein verhaltener Aerger in seiner
Stimme durch, während er antwortete:

„Abgewiesen — natürlich! Zulage giebt's nicht,
arbeiten sollen wir, daß uns Hören und Sehen
vergeht, hat der Meister gesagt."

„Was ist da zu thun?" fragte der lange Kohl.
„Streiken?"

„Wäre Thorheit, jetzt — nahe am Ende der
Saison," entschied Balthasar. „Ich habe dem
Meister versprochen, daß sein Befehl genau befolgt
werden soll, also — arbeiten wir, bis uns Hören
und Sehen vergeht." Dabei umspielte die Lippen

des kleinen Mannes ein boshaftes Lächeln, und er
hatte später noch Allerlei mit einigen Mitarbeitern
zu tuscheln, so daß es schien, als ob er einen
Streich im Schilde führe.

Die Arbeit schritt nun wieder rüstig vorwärts;
als die Nacht herankam, wurden Balthasar von
verschiedenen Gehilfen Theile von Kleidungsstücken
übergeben; denn es herrschte in der Werkstätte,
wenn es sehr eilig war, Arbcitsthcilung, und der
Balthasar hatte dann mit einigen Hilfskräften die
Zusaninicnstellung der einzelnen Theile zu besorgen.
Die Art, wie er dies heute that, erregte Verwun-
derung und Proteste; aber er wies jeden Einspruch
zurück mit der Bemerkung, daß man hier einfach
nichts zu hören und zu sehen habe.

Als Morgens der Ausgeher antrat, um die
Waare an die Kunden abznliefern, lagen die fertigen
Packete bereit. Die Gehilfen hatten sich nach Hause
begeben,.um einige Stunden zu ruhen, Balthasar
schlief aus einer Ofenbank in der Werkstelle den
Schlaf des Gerechten.

Es dauerte aber kaum eine Stunde, da wurde
diese idyllische Ruhe recht heftig gestört.

Meister Ziegenbart stürmte mit zornesrothem
Antlitz in die Werkstatt und hielt einige von den
Kunden zurückgesandte Kleidungsstücke in der Hand.

„Was ist denn los?" fragte der kleine Balthasar,
sich schlaftrunken erhebend.

„Unerhörte Liederlichkeit! Betrunken seid Ihr
Alle gewesen!" wetterte der Meister. „Da —
blaue Aermel in einem hellbraunen Jaquet — und
da! schwarze Frackschöße an einem grauen Gehrock!
Ist so etwas denkbar?"

Der kleine Kobold starrte den Meister ver-
wundert an; endlich sagte er bedächtig:

.„Herr Meister, Sie haben ja ein ganz blaues
Gesicht."

„Treiben Sie keine Narrenspossen! Wer hat
diese Stücke zusammengesetzt?"
 
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