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Die neue Einkommensteuer.

>aate vierzig Millionen
Mehr hat sich herausgestellt,
Muß die Steuer nun sich lohnen -
Himmel, welch'ein Heidengeld!
Beinah' soviel, als wir schöpfen
Aus der Steuer aus den Schnaps!
Ach, das giebt uns armen Tröpfen
Linen ungeheuren Klaps!"

Also jammern die Philister,

Dssen halb und halb versteckt,

And sie fluchen dem Minister,

Der die Steuer ausgeheckt.

Ach, schier stimmen sie uns heiter,
Wenn sie flüstern früh und spat:
„Geht es lange noch so weiter,
Kommt der Kommunistenstaat!"

Za, wenn hinter Wein und Braten
Schmausend der Philister Schwarm
Will des Volkes Wohl berathen,
Äst an Phrasen man nicht arm.
Voll Begeistrung angestoßen
Wird aufs deutsche Vaterland,
Alles geht da auf im großen
Patriotisch schönen Brand.

Doch soll dieses Völklein tragen
Mit des Staates Steuerlast,

Li, da fühlt es sich am Kragen
Wie vom Bösen selbst erfaßt.

Und in wohlgestimmtem Lhore
Bourgeois und Rentier-
Strömen aus vor jedem Vhre
Ihres Herzens tiefes Weh.

„Großer Dtto, komm' doch wieder!"
Hlehen sie in ihrem Leid,

„Und mach' bald uns arme Brüder
Hrei von der Verbindlichkeit!

Denn uns patriot'fchen Duldern
Greift zu tief man in den Sack,
Lade Alles auf die Schultern
Wieder dem gemeinen Pack!" —

Wenn's um den Profit sich handelt.
Leicht befeinden sie den Staat;
Anarchistisch angewandelt
Scheinen sie mir in der That.
Wollt' er sie nur mehr besteuern
Roch mit allem Recht und Kug,
Denn das ew'ge Brotvertheuern
Haben wir schon längst genug!

Berlin, so um Ostern rum.

Lieber Jacob!

Nu laß die Osterjlocken klingen, freie Dir mit mir, bet Du uff de
Welt bist un nich raustrudelst, denn det kann ooch ziemlich leichte pas-siren,
weil nämlich det Ding rund is. Soville is nn aber sicher, det der Winter
nu een Ende hat, denn wenn et Ostern is, denn hat der Frühling mit
Jewalt seinen Jnzug zu halten, objleich er. det ja nach den Kalender eijent-
lich schon frieher zu besorjen hat. Hoffentlich hast De Dir Kuchen backen
lassen, denn Feste feiern, ohne det man orndtlich wat zu beißen hat, det is
nischt vor meinen Vater seinen Sohn.

So hat natierlich hier ooch wieder der Majistrat jedacht un daran
kannst De schon sehen, det ick eijentlich in de janze Reichshauptstadt de
eenzije Person bin, die den Majistrat an Schlauheit un Klugheit so
eenijermaßen jleich kommt. Na, nn wer die Wcisheitspächtcr näher kennt,
der wird mir nich in'n Jeringsten etwa abstreiten, det ick schon deswejen

'ne janz riesije Bedeckung habe. Da hat man nu endlich, wo et zum Frieh-
jahr jeht, seine Rothstandskommissionen in Ordnung jebracht, nn denn kann
et nu so langsam init det Wohlduhn seinen Fortjang nehmen. Wohl den
Menschen, der nich uss de Wohlthaten von den Majistrat von Berlin an-
jewiescn is; wenn De nämlich da nischt zu essen hast, denn bleibste bei
juten Appetit, weil De nämlich nischt kriegst.

Ja, et is 'ne putzije Jeschichte jetzt uss de Welt. So vor vierzehn
Dage da haben wir hier, wie De woll wissen wirst, wie et sich vor ehr-
liche un anständije Kerrels schickt, den 18. März jefeiert. Na, Jacob, ick
will mir nich versindijen, aber wie ick jesehen habe, wie der sojenannte
deutsche Freisinn seine Dooten ehrt, da is mir denn doch de Jalle in't Blut
jestiejen. Et is wirklich 'ne Schande, wie sich die Leite benehmen. In
den jroßen, jewaltijcn Verein „Waldeck," der so seine siebzehn bis zweeun-
zwanzig Mitglieder zahlt, hat der Vorstand et ieberhaupt abjelehnt, eenen
Kranz uff die Jräber,der^Märzjefallenen niederzulejen. Schließlich hatten

-evt? Auferstehung.

kon der Kanzel, hört' es All',
Ruft der Priester es hernieder.
Seiner Stimme lauter Schall
Heißt uns Auferstehung wieder.
Und ich spürt' ein leises Wehen
In der Brust — vom Auserstehen.

Ja, wir werden aufersteh'n,
Glaubt's?ihr Brüder, zweifelt nimmer.
Wenn dis Leiber auch vergeh'n.

Was wir schufen, fällt in Trümmer,
Wenn man Häuser, volkspaläste
Schmückt zum echten Naienfeste.

Wenn das Bäumchen, das jetzt klein.
Knorrig, stark emporgesprossen.

Wenn vom Volk gepflanzter Wein
Auch sllr's Volk ist eingegossen,

Und des Feldes gold'ne Aehren
Jedermann den Hunger wehren.

Wenn der Bonne heller Strahl
Bricht durch alle, alle Scheiben,

Wir nicht mehr zum Mord den Stahl
In des Feuers Gluthen treiben.

Und Gerechtigkeit hienieden
Bringt den wahren Völkerfrieden.

Wenn des Bergmanns trübes Licht
Leuchtet seinen eignen Kohlen,

Und der Landmann sein Gericht
Kann zum eignen Tische holen.

Wenn aus Ketten und aus Banden
Ist ein neu Geschlecht erstanden.

Dann, ihr Brüder, dann erhebt
Sich die Seele bess'rer Welten.

Hört ihr, wie die Lrde bebt:

Liebe! tönt es, nicht: vergelten!

Und Posaunenstimmen rufen:

Ehrt sie, ehrt sie, die es schufen!

Seht, dann ist es unser Geist,

Der sich hehr emporgerungen.

Und der letzte Aebel reißt.

Der die Gräber hielt umschlungen.
„Warum," Millionen fragen,

„Hat man sie an's Kreuz geschlagen?!"

Doch, ein Jubelruf ertönt:

„Sie sind hier, sind nicht gestorben,

Ihr Geist hat den Tod verhöhnt
Sind die Leiber auch verdorben."

Wenn erreicht, was wir erstreben,

Brüder, leben wir, wir leben! L. p—g.

Aus dem Agikatorenleöcn von dazumal.

s war im Jahr 1873, als ein gemüthliches
Münchner Kind von Isar-Athen aus nach
einem benachbarten Orte zog, um daselbst
die erste sozialdemokratische Volksversammlung ab-
zuhalten. Für die sehr harmlose, aber doch mit
Vielerlei unzufriedene kleinstädtische Bevölkerung
war das ein Ereigniß. Was die Sozialdemokraten
eigentlich wollten, wußte Niemand. Aber es war
noch nicht die ungeheure sittliche Bourgeoisentrüst-
ung über die angeblich Vaterlands- und sittenlosen
ehefeindlichen Umstürzler und Atheisten überall ver-
breitet. Nur daß der Bismarck die Sozi so recht
im Magen hätte und daß diese von der ganzen
preußischen Regierung nix wissen wollten und die
Vornehmen und Reichen in den großen Städten

mordsmäßig schlecht machen thäten — das hatte
das tansendzüngige Gerücht auch hier bekannt ge-
macht. Dos giebt a Gaudi — darüber war so
ziemlich die ganze Bevölkerung einig geworden.

Der Sozialdemokrat aus der Hauptstadt — es
war der beste Bauernagitator, den die Münchner
damals versenden konnten —, hatte mit größter
Mühe in dem Flecken einen eben zugereisten Ar-
beiter als Einberufer gepreßt, der am Versamm-
lungstage erstaunlich zuversichtlich auftrat und als
ihm der Münchner von der Eröffnung sprach und
davon, daß er, der Einberufer, auch den Vorsitz
führen müsse, stolz versicherte: „Dös werd'n ma
scho kriag'n." Dann aber, als die Beiden hinterm
Vorstandstische standen und die dicht gedrängte
Menge der Versammelten erschauten, da stand die
Sache bedenklich anders. Der Agitator sah ur-
plötzlich auf dem Gesichte seines Freundes dicke
Schweißtropfen hervorbrechen und mit heiserer
Stimme entrang sich die Versicherung den bebenden
Lippen, 's war ihm auf einmal so hundsmiserabel
schlecht geworden, ne Red' könnt er »it halten.
Der Bauernagitator aber war rasch gefaßt. Er
ergriff die große Kuhglocke, die auf dem Tische
stand, und verübte dantit einen Heidenspektakel, bis
Alles ruhig geworden war. Dann sagte er: „Hier
stelle ich der geehrten Versammlung und dem Herrn
Polizeikommissär den Herrn Einberufer vor!" Der
Herr Einberufer hätte am liebsten hundert Klaftcr
tief in die Erde versinken mögen und der Polizei-
kommissär machte ein possierlich verwundertes Ge-
sicht, denn er hatte sich die Eröffnung anders ge-
dacht; aber da es auch für ihn. die erste sozial-
demokratische Versammlung war, deren Ueberwachung
ihm oblag, schwieg er weislich. Der Agitator
klingelte noch einmal feierlich und fuhr fort: „Der
Herr Einberufer eröffnet hiermit die Versammlung
und da die Versammlung damit einverstanden ist,
übernimmt er das Präsidium und mir hat er das
Wort crtheilt." Dann drückte der Agitator den
Herrn Einberufer, der aus diese Art zum Herr
 
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