1227
nehmen, denn da kann man sich heechstens ärjern ieber de Dämlichkeit von
verschiedene Zeitungsschreiber. Na, ick mache mir nn absolut »lischt daraus,
wenn sich andere Leite den Kopp von uns Sozialdeuiokraten zerbrechen, ick
laß mir durch Keenen in meine Maifeier stören, ick weeß, wat ick zu dhun
habe un wir Berliner Alle, dasor jarantire ick.
Wir rufen heite laut un deitlich: „Wir wollen Verkürzung der Arbeets-
zeit." Wir wollen als Menschen leben, wir haben noch andere Pflichten
uff de Welt, als uns blos abzurackern, det wir schließlich ooch blos Maschinen
werden, det man uns ausjemerjelte Arbeeter schließlich in de Ecke schmeißt
wie ausjepreßte Zitronen. Kiek Dir um, lieber Jacob! Sehste nich de
Natur erwachen, athmet nich Alles Friede un Freide, sehste nich Ucberfluß,
jiebt die Natur nich soville, det mir Alle in Freindschaft un Frieden leben
können, wenn wir uns blos verdragcn un det, wat mir durch unsere Arbeet
Hervorbringen, richtig unter alle Menschen vertheilen? Un den Menschen
soll heite det Herz nich ieberjehen, er soll nich hinjcrissen sind, wenn er heite
die Dausende un Aberdausende von Arbeetern mit Weib un Kind rausziehen
seht, die vor den Jedanken Antreten un die eene friedliche un jesetzliche
Deinonstration vor ihre Ideale machen?
Nee, Jacob, wir feiern unser Fest, kann kommen, wat da will. Wir
treten in vor de Freiheit, vor de Wahrheit, un Jeder, der det Herz nfs den
richtijen Fleck hat, der muß sagen, det mir Recht haben. Ick wünsche Dir
un alle unsere Fremde eenen fröhlichen ersten Mai un hoffe, det sich unsere
Ziele in naher Zeit verwirklichen mögen. Wat Besseret kann ick Dir heite
nich winschen, aber ick verbleibe ooch so wie immer erjebenst nn mit Bitte
Jrieße Dein freier
Jotthilf Naucke.
An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
Ministerielles.
— Das Schwimmen gegen den Strom hat seine Schwierigkeiten, meinte
Caprivi, da ließ er Zedlitz schwimmen.
— Caprivi mit dem „Accent Graf" wollte die Flinte ins Korn werfen,
als ihm einfiel, daß in dieser Jahreszeit noch gar kein Korn gewachsen.
— Der Exminister v. Zedlitz hat sich von seinen Anstrengungen erholt
und die Hoffnung nicht aufgegeben, daß seine reaktionären Tendenzen doch
noch Schule machen werden.
— Wegen feiner Verdienste um die Verwaltung -beS Welfenfonds ist
dem Minister von Boetticher die letzte Welfenhose verliehen worden.
— Der Ministerpräsident v. Eulenburg hat sich angelegentlichst nach
dem Geheimrath Rommel erkundigt, der augenblicklich an einer heftigen
Kolik leidet.
— Im Kultusministerium wird das gefallene Schulgesetz neu bossirt,
um im nächsten Herbst den idealen Gütern der preußischen Nation ein-
verlcibt zu werden.
^><2, LieSesatlmacht.
/Xott Amor ist ein Sozialist,
Lr will die Menschen verbinden.
Das Band der Solidarität
Um liebende Herzen winden.
Das Reich der wahren Freiheit will
Lr gründen auf der Lrde
Und trachtet, daß der Iunggesell
Lin feuriger „Kreier" werde-.
Lr ist auch international.
Ihm huldigen auch die Barbaren;
Man liebt in Hinterpommern sogar
Und'selbst im Reiche des Zaren.
Lr stiftet Aufruhr, heftig und wild.
In jugendlichen Herzen
Und schleudert hinein seinen Keuerbrand,
Rlill theilen Lust und Schmerzen.
Gott Amor ist ein Sozialist,
will, daß das Herz nicht darbe.
Der erste Mai sein Festtag ist.
Und Roth seine Liebiingsfarbe.
—EjEEEEE^g Hobrlspähne.
Der erste Mai bringt Frühlingswonne,
Der erste Mai bringt Muth und Kraft,
Der erste Mai bringt Licht und Sonne
Dem Manne auch, der wirkt und schafft.
Von Land zu Land, von Mund zu Munde
Laut schallt cs: die Erlösung bringt
Uns Einigkeit im Bruderbünde,
Der alle Völker fest umschlingt.
Man redet so viel über die Einführung einer
Einheitszeit für ganz Deutschland; so möge man
doch den achtstündigen Arbeitstag allgemein
einsllhren, das würde die nützlichste Einheits-
zeit sein. * __ *
Es jammern die Schwarzen: O große Noth!
Caprivi, der wackelt und Zedlitz ist todt,
Auf dessen Erfolge wir harrten!
Wir sahen zur Herrschaft geebnet die Bahn,
Wir gaben die Jesuilen daran.
Und nun sind wir selbst die Genarrten.
* -i-
*
Es hat schon Mancher den Achtstundentag bekämpft, der später froh
gewesen wäre, wenn er ihn gehabt hätte. Wenn z. B. die betrügerischen
Bankiers, Direktoren und sonstige Stützen der Gesellschaft im Zuchthausc
Wolle zupfen, sind ihnen acht Stunden tägliche Arbeit völlig geling.
Ihr getreuer Säge, Schreiner.
gesungen, deklamirt und endlich am Nachmittag ein
gemeinsamer Ausflug nach einem nahe der Stadt
gelegenen Vergnügungslokal unternommen. Auf-
fällig erschien es nur, daß im Verlauf des Festes
die überwachende Polizei sich zusehends vermehrte
und nach und nach einen strengeren Ton anschlug.
Doch die Arbeiter waren unterm Sozialistengesetz
an solche Dinge gewöhnt und so waren sie nur
geeignet, die Heiterkeit zu vermehren.
Durch die Redensarten des Baumeisters Meyer,
der nach und nach seinen „Pfeifenkopf gründlich an-
rauchte," war es bekannt geworden, daß der Besitzer
des Schlosses Wartenstein ein Sozialdemokrat sein
sollte. Da der Weg nach dem Vergnügungslokale
am Schlosse vorbeiführte, so faßten die Maurer den
Entschluß, den Zug halten zu lassen, und den
Parteigenossen auf dem Schlosse durch eine An-
sprache auszuzeichnen.
Bald war das mit Fahnen und Guirlandcn
geschmückte Schloß in Sicht, der Zug hielt und
unter donnerndem Hurrah begab sich eine Anzahl
Arbeiter in das stattliche Gebäude. Sie wurden
aus die Veranda geführt, wo sie der Amerikaner
im Kreise vieler hübscher Damen denn auch aufs
Freundlichste empfing. Ein älterer Arbeiter setzte
sich eben in Positur, um dem Amerikaner seiner
braven Gesinnung wegen zu gratuliren, als plötzlich
ein Tumult entstand; eine Reihe Polizisten und
Gensdarmen unter Führung des Inspektors drängelte
sich vor, und mit kirschrotstem Gesicht rief der
Letztere: „Die Versammlung ist aufgelöst!"
Die Arbeiter antworteten mit lautem Hoho!
während der Amerikaner bebend vor Zorn den
Polizeiinspektor um Aufklärung wegen der Ruhe-
störung ersuchte.
Hierauf erwiderte der Inspektor in militärischer
Kürze, daß er sich Auskunft über die Art des auf Schloß
Wartenstein heute gefeierten Festes erbitten müsse.
Mit einem Blicke der Entrüstung maß der
Schloßherr den Beamten. „Was geht das Sie an?"
fragte er barsch.
Dem Inspektor stieg bei dieser Antwort die
Galle auf. Er war gewöhnt, von den polizei-
frommen Bürgern des Städtchens mit einer Art
Ehrfurcht und Hochachtung behandelt zu werden;
solche Grobheit war ihm noch nicht vorgekommen.
„Es ist wirklich ein Sozialdemokrat," sagte er sich
und nahm nun seine strengste Amtsmiene an.
„Da amtsbekannt ist," sprach er martialisch,
„daß am ersten Mai eine Anzahl sozialdemokratischer
Demonstrationen stattfinden und nach glaubhafter
Meldung die Feier in diesem Hanse zu derartigen
Veranstaltungen gehört, so ist dieselbe polizeilich zu
überwachen."
Der Amerikaner merkte nun, daß ein Miß-
verständniß obwalten müsse. Er thcilte dem In-
spektor kurz mit, daß es sich hier nur um das
Geburtsfest seiner Tochter handle. Wenn er aber
glaubte, hierdurch die Polizei beruhigt zu haben,
so täuschte er sich gründlich. Der Inspektor ant-
wortete ganz kaltblütig:
„Das kann richtig sein oder auch nicht; so oft
wir eine geheime sozialdemokratische Versammlung
entdecken, weisen uns die Theilnehmer nach, daß
sie nur einen Geburtstag feiern. Damit lassen wir
uns nicht mehr einfangen."
„Herr, Sie werden unverschämt," donnerte der
Amerikaner.
„Ich habe," fuhr der Beamte mit Nachdruck
fort, „Ordre erhalten, in dieser Gegend strengstens
jede Demonstration zu unterdrücken. Das muß
seine Gründe haben."
Den Arbeitern war die Situation inzwischen
klar geworden; sie sahen ein, daß es mit dem neuen
Parteigenossen nichts war und wollten den freund-
lichen Mann nun aus der fatalen Lage befreien.
Der Sprecher trat vor, indem er sich an den
Amerikaner wandte:
„Lieber Herr, beantworten Sie uns eine Frage:
Sind Sie Sozialdemokrat oder nicht?"
„Nein," gab der erstaunte Amerikaner zur
Antwort.
„Aber der Baumeister Meyer hat es mir doch
heute Morgen bestätigt," schrie der Polizeiinspektor.
„Wie Sie hören, hat er Ihnen falsch berichtet,"
erwiderte der Arbeiter; „auch wir haben uns
täuschen lassen ..£ bedauern nur, daß wir dem
Herrn hier Unannehmlichkeireü ScrcUct haben. Ich
denke," wandte er sich hierauf an seine ArbeitS-
genoffen, „daß wir der Sache ein Ende machen
und zu unfern Freunden zurückkehren."
Hierauf schwenkte der Zug ab, die Polizei wie
verlorene Schafe zurücklassend. Sie hatte genug
davon und in der bedrückten Stimmung, für den
Mißgriff einen gehörigen Rüffel zu bekommen, störte
sie die Arbeiter während des Verlaufs des Festes
nicht mehr. Wie die Fama erzählt, sollen der In-
spektor und der Baumeister Meyer noch in später
Abendstunde in einer Wirthschaft eine heftige Aus-
einandersetzung gehabt haben, bei welcher die Würde
der Behörde und des Standes der Arbeitgeber
mehrere böse Löcher bekam.
Der Amerikaner aber, deni das sichere Auftreten
der Arbeiter imponirt hatte, ließ es sich nicht nehmen,
mit seiner Gesellschaft inmitten der Arbeiter zu er-
scheinen und an der Maifeier theilzunehmen. Wie-
derholt äußerte er, wenn die Polizei überall in
Deutschland es so mache wie hier, dann könne man
sich nicht wundern, daß bald alle Menschen, denen
die Freiheit kein leerer Wahn sei, sich der sozial-
demokratischen Partei anschließen würden. Und am
Schluffe des Festes setzte auch er kräftig ein in das
tausendstimmige „Hoch der Achtstundentag!"
nehmen, denn da kann man sich heechstens ärjern ieber de Dämlichkeit von
verschiedene Zeitungsschreiber. Na, ick mache mir nn absolut »lischt daraus,
wenn sich andere Leite den Kopp von uns Sozialdeuiokraten zerbrechen, ick
laß mir durch Keenen in meine Maifeier stören, ick weeß, wat ick zu dhun
habe un wir Berliner Alle, dasor jarantire ick.
Wir rufen heite laut un deitlich: „Wir wollen Verkürzung der Arbeets-
zeit." Wir wollen als Menschen leben, wir haben noch andere Pflichten
uff de Welt, als uns blos abzurackern, det wir schließlich ooch blos Maschinen
werden, det man uns ausjemerjelte Arbeeter schließlich in de Ecke schmeißt
wie ausjepreßte Zitronen. Kiek Dir um, lieber Jacob! Sehste nich de
Natur erwachen, athmet nich Alles Friede un Freide, sehste nich Ucberfluß,
jiebt die Natur nich soville, det mir Alle in Freindschaft un Frieden leben
können, wenn wir uns blos verdragcn un det, wat mir durch unsere Arbeet
Hervorbringen, richtig unter alle Menschen vertheilen? Un den Menschen
soll heite det Herz nich ieberjehen, er soll nich hinjcrissen sind, wenn er heite
die Dausende un Aberdausende von Arbeetern mit Weib un Kind rausziehen
seht, die vor den Jedanken Antreten un die eene friedliche un jesetzliche
Deinonstration vor ihre Ideale machen?
Nee, Jacob, wir feiern unser Fest, kann kommen, wat da will. Wir
treten in vor de Freiheit, vor de Wahrheit, un Jeder, der det Herz nfs den
richtijen Fleck hat, der muß sagen, det mir Recht haben. Ick wünsche Dir
un alle unsere Fremde eenen fröhlichen ersten Mai un hoffe, det sich unsere
Ziele in naher Zeit verwirklichen mögen. Wat Besseret kann ick Dir heite
nich winschen, aber ick verbleibe ooch so wie immer erjebenst nn mit Bitte
Jrieße Dein freier
Jotthilf Naucke.
An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
Ministerielles.
— Das Schwimmen gegen den Strom hat seine Schwierigkeiten, meinte
Caprivi, da ließ er Zedlitz schwimmen.
— Caprivi mit dem „Accent Graf" wollte die Flinte ins Korn werfen,
als ihm einfiel, daß in dieser Jahreszeit noch gar kein Korn gewachsen.
— Der Exminister v. Zedlitz hat sich von seinen Anstrengungen erholt
und die Hoffnung nicht aufgegeben, daß seine reaktionären Tendenzen doch
noch Schule machen werden.
— Wegen feiner Verdienste um die Verwaltung -beS Welfenfonds ist
dem Minister von Boetticher die letzte Welfenhose verliehen worden.
— Der Ministerpräsident v. Eulenburg hat sich angelegentlichst nach
dem Geheimrath Rommel erkundigt, der augenblicklich an einer heftigen
Kolik leidet.
— Im Kultusministerium wird das gefallene Schulgesetz neu bossirt,
um im nächsten Herbst den idealen Gütern der preußischen Nation ein-
verlcibt zu werden.
^><2, LieSesatlmacht.
/Xott Amor ist ein Sozialist,
Lr will die Menschen verbinden.
Das Band der Solidarität
Um liebende Herzen winden.
Das Reich der wahren Freiheit will
Lr gründen auf der Lrde
Und trachtet, daß der Iunggesell
Lin feuriger „Kreier" werde-.
Lr ist auch international.
Ihm huldigen auch die Barbaren;
Man liebt in Hinterpommern sogar
Und'selbst im Reiche des Zaren.
Lr stiftet Aufruhr, heftig und wild.
In jugendlichen Herzen
Und schleudert hinein seinen Keuerbrand,
Rlill theilen Lust und Schmerzen.
Gott Amor ist ein Sozialist,
will, daß das Herz nicht darbe.
Der erste Mai sein Festtag ist.
Und Roth seine Liebiingsfarbe.
—EjEEEEE^g Hobrlspähne.
Der erste Mai bringt Frühlingswonne,
Der erste Mai bringt Muth und Kraft,
Der erste Mai bringt Licht und Sonne
Dem Manne auch, der wirkt und schafft.
Von Land zu Land, von Mund zu Munde
Laut schallt cs: die Erlösung bringt
Uns Einigkeit im Bruderbünde,
Der alle Völker fest umschlingt.
Man redet so viel über die Einführung einer
Einheitszeit für ganz Deutschland; so möge man
doch den achtstündigen Arbeitstag allgemein
einsllhren, das würde die nützlichste Einheits-
zeit sein. * __ *
Es jammern die Schwarzen: O große Noth!
Caprivi, der wackelt und Zedlitz ist todt,
Auf dessen Erfolge wir harrten!
Wir sahen zur Herrschaft geebnet die Bahn,
Wir gaben die Jesuilen daran.
Und nun sind wir selbst die Genarrten.
* -i-
*
Es hat schon Mancher den Achtstundentag bekämpft, der später froh
gewesen wäre, wenn er ihn gehabt hätte. Wenn z. B. die betrügerischen
Bankiers, Direktoren und sonstige Stützen der Gesellschaft im Zuchthausc
Wolle zupfen, sind ihnen acht Stunden tägliche Arbeit völlig geling.
Ihr getreuer Säge, Schreiner.
gesungen, deklamirt und endlich am Nachmittag ein
gemeinsamer Ausflug nach einem nahe der Stadt
gelegenen Vergnügungslokal unternommen. Auf-
fällig erschien es nur, daß im Verlauf des Festes
die überwachende Polizei sich zusehends vermehrte
und nach und nach einen strengeren Ton anschlug.
Doch die Arbeiter waren unterm Sozialistengesetz
an solche Dinge gewöhnt und so waren sie nur
geeignet, die Heiterkeit zu vermehren.
Durch die Redensarten des Baumeisters Meyer,
der nach und nach seinen „Pfeifenkopf gründlich an-
rauchte," war es bekannt geworden, daß der Besitzer
des Schlosses Wartenstein ein Sozialdemokrat sein
sollte. Da der Weg nach dem Vergnügungslokale
am Schlosse vorbeiführte, so faßten die Maurer den
Entschluß, den Zug halten zu lassen, und den
Parteigenossen auf dem Schlosse durch eine An-
sprache auszuzeichnen.
Bald war das mit Fahnen und Guirlandcn
geschmückte Schloß in Sicht, der Zug hielt und
unter donnerndem Hurrah begab sich eine Anzahl
Arbeiter in das stattliche Gebäude. Sie wurden
aus die Veranda geführt, wo sie der Amerikaner
im Kreise vieler hübscher Damen denn auch aufs
Freundlichste empfing. Ein älterer Arbeiter setzte
sich eben in Positur, um dem Amerikaner seiner
braven Gesinnung wegen zu gratuliren, als plötzlich
ein Tumult entstand; eine Reihe Polizisten und
Gensdarmen unter Führung des Inspektors drängelte
sich vor, und mit kirschrotstem Gesicht rief der
Letztere: „Die Versammlung ist aufgelöst!"
Die Arbeiter antworteten mit lautem Hoho!
während der Amerikaner bebend vor Zorn den
Polizeiinspektor um Aufklärung wegen der Ruhe-
störung ersuchte.
Hierauf erwiderte der Inspektor in militärischer
Kürze, daß er sich Auskunft über die Art des auf Schloß
Wartenstein heute gefeierten Festes erbitten müsse.
Mit einem Blicke der Entrüstung maß der
Schloßherr den Beamten. „Was geht das Sie an?"
fragte er barsch.
Dem Inspektor stieg bei dieser Antwort die
Galle auf. Er war gewöhnt, von den polizei-
frommen Bürgern des Städtchens mit einer Art
Ehrfurcht und Hochachtung behandelt zu werden;
solche Grobheit war ihm noch nicht vorgekommen.
„Es ist wirklich ein Sozialdemokrat," sagte er sich
und nahm nun seine strengste Amtsmiene an.
„Da amtsbekannt ist," sprach er martialisch,
„daß am ersten Mai eine Anzahl sozialdemokratischer
Demonstrationen stattfinden und nach glaubhafter
Meldung die Feier in diesem Hanse zu derartigen
Veranstaltungen gehört, so ist dieselbe polizeilich zu
überwachen."
Der Amerikaner merkte nun, daß ein Miß-
verständniß obwalten müsse. Er thcilte dem In-
spektor kurz mit, daß es sich hier nur um das
Geburtsfest seiner Tochter handle. Wenn er aber
glaubte, hierdurch die Polizei beruhigt zu haben,
so täuschte er sich gründlich. Der Inspektor ant-
wortete ganz kaltblütig:
„Das kann richtig sein oder auch nicht; so oft
wir eine geheime sozialdemokratische Versammlung
entdecken, weisen uns die Theilnehmer nach, daß
sie nur einen Geburtstag feiern. Damit lassen wir
uns nicht mehr einfangen."
„Herr, Sie werden unverschämt," donnerte der
Amerikaner.
„Ich habe," fuhr der Beamte mit Nachdruck
fort, „Ordre erhalten, in dieser Gegend strengstens
jede Demonstration zu unterdrücken. Das muß
seine Gründe haben."
Den Arbeitern war die Situation inzwischen
klar geworden; sie sahen ein, daß es mit dem neuen
Parteigenossen nichts war und wollten den freund-
lichen Mann nun aus der fatalen Lage befreien.
Der Sprecher trat vor, indem er sich an den
Amerikaner wandte:
„Lieber Herr, beantworten Sie uns eine Frage:
Sind Sie Sozialdemokrat oder nicht?"
„Nein," gab der erstaunte Amerikaner zur
Antwort.
„Aber der Baumeister Meyer hat es mir doch
heute Morgen bestätigt," schrie der Polizeiinspektor.
„Wie Sie hören, hat er Ihnen falsch berichtet,"
erwiderte der Arbeiter; „auch wir haben uns
täuschen lassen ..£ bedauern nur, daß wir dem
Herrn hier Unannehmlichkeireü ScrcUct haben. Ich
denke," wandte er sich hierauf an seine ArbeitS-
genoffen, „daß wir der Sache ein Ende machen
und zu unfern Freunden zurückkehren."
Hierauf schwenkte der Zug ab, die Polizei wie
verlorene Schafe zurücklassend. Sie hatte genug
davon und in der bedrückten Stimmung, für den
Mißgriff einen gehörigen Rüffel zu bekommen, störte
sie die Arbeiter während des Verlaufs des Festes
nicht mehr. Wie die Fama erzählt, sollen der In-
spektor und der Baumeister Meyer noch in später
Abendstunde in einer Wirthschaft eine heftige Aus-
einandersetzung gehabt haben, bei welcher die Würde
der Behörde und des Standes der Arbeitgeber
mehrere böse Löcher bekam.
Der Amerikaner aber, deni das sichere Auftreten
der Arbeiter imponirt hatte, ließ es sich nicht nehmen,
mit seiner Gesellschaft inmitten der Arbeiter zu er-
scheinen und an der Maifeier theilzunehmen. Wie-
derholt äußerte er, wenn die Polizei überall in
Deutschland es so mache wie hier, dann könne man
sich nicht wundern, daß bald alle Menschen, denen
die Freiheit kein leerer Wahn sei, sich der sozial-
demokratischen Partei anschließen würden. Und am
Schluffe des Festes setzte auch er kräftig ein in das
tausendstimmige „Hoch der Achtstundentag!"