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Kennste vielleicht Paulsborn un bet Jagdschloß Jruncwald, wo irjend
een oller Kurfürst 'ne heimliche Stiefliebste drin jehabt haben soll? Nee,
Jacob, wirklich nich? Na, denn kennst De ieberhaupt nischt un ick hätte
Dir in de Jeojraphie wirklich vor bedeitcnder jehalten. Ick sage Dir, schon
der Durscht ist bemerkcnswcrth, den Du nach eene olle, derbe, tüchtige Fahrt
anjcsichts dieser historischen Denkmäler kriegst. Un denn nu weiter bis nach
der Havel, un der Anblick denn — ick kann Dir sagen, Jacob, Du bejreifst,
wenn De det schst, ohne Weiteres, bet sich hier die vielen Restaurateure
nich ohne Jrund anjesiedelt haben.

Det wäre ja nu ooch Alles soweit janz scheen un janz jrien jewesen, wenn
nu blos Fritze Bullerkopp mit seine Braut nich mit eenmal rapplig jeworden
wäre un hätte Partout daruff bestanden, mit ihr 'ne Wasserparthie zu machen.
Meinen Sejen hatten se ja Beedc, indem ick erstens mal durchaus nich
ängstlicher Natur bin un mir zweetens um andere Leite ihre Berjniejungen
absolut nich mehr bekimmere, wie durchaus nothwendig is. Et hätte ja
ooch sonst kaum Eener wat dajejen inzuwenden jehabt, un die Beede
jondelten los un wir tranken Schoppen uff Schoppen. Die olle zukinftije
Schwiejermutter mit ihre spitze Nase, die ausscht, als ob De eenen Schmetter-
ling dran ufsspießen kannst, die saß da, jußeisern un stippte ejal eeii Stick
Nappkuchcn nach det andere in ihre Kaffeetasse un strickte an eenen mächtijen
blauen Strümp. Na, Alles war ja soweit nu janz scheen un janz jrien,
blos mit eenmal, da fing et an duster zu werden, drieben von de Jatower
Berje da kam mit eenmal sonne ziemlich schwarze Wolke rufs, — een Blitz,
een Donnerschlag, ach Herrjeses nee, un een Schrei von die zukinfiije
Schwiejermutter, der mir durch Mark un Been jing: „Meine jeliebte
Tochter Milie versauft, rettet ihr, rettet ihr!"

Nanu war ja Polen in Noth, Jacob, det kann ick Dir sagen. .Die
Olle war wie rasend, de Jöhren plärrten, die Eltern zankten sich, bis mit
Eenmal Fritze Bullerkopp von die andere Seite von't Lokal an den Arm
von seine jeliebte Milie wieder ankommt, un janz erstaunt fragt, wat denn
nu eijentlich los wäre, er wäre blos eenen Oogenblick jefahren un wäre
schon längst wieder uff festet Land. Aber die Olle kriegte et nu mit det
Wcenen, un wie et nu noch anfing, Strippen zu regnen, da war et mit die
Feststimmung aus, wir krochen in unseren Kremser rin un jondelten bedripst
zu Hause. Jn'n Kremser haben sich ja die jungen Leite mächtig abjeknutscht
— ick habe mir aber weiter nich drum jekimmert.

Aber um 'ne Erfahrung war ick ooch reicher, mit welcher Versicherung
ick verbleibe erjebenst un mit ville Jrieße

Dein treier ^

Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

- -

Die älteste politische Wetterfahne

war Abraham. Denn er sagte zu Lot: „Willst Du zur Rechten, so geh' ich
zur Linken, und willst Du zur Linken, so geh' ich zur Rechten."

''ex? Arbeitslose.

tCZxmn Trupp von Arbeitslosen
t** Satz ich jüngst, in groster Zahl.
Sie rumorten und kraketzlken,
Machten höllischen Skandal.

Jemand fragt' ich ans der Menge,
Welche gaffend stand dabei:

,,Ist dahier erlaubt dergleichen»
Duldet das die Polizei?"

Jener sagte: »»Eiherrchäses!
Mann, wie gommen Sie mir vor!
Här'n Se» diese Arbeitslosen
Sein ja een Studenten-Korps!«


-14 -• K: Hobrlsxähne. e

Der Sommer naht mit Licht und Klang,

Im Aether die Lerchen sich wiegen —

Ich steh' an meiner Hobelbank
Und sch' die Spähne fliegen.

Ein rosiges Glühen, ein blinkender Schein,

Dann breiten die Schatten sich drüber,
lind eh' ich der Lust mich des Sommers kann weihn,
Ist die Herrlichkeit lange vorüber.

Zu den größten Erfindern der Neuzeit ge-
hört unstreitig der Finanzminister Miguel. Er
erfindet fortwährend neue Steuer-Projekte.

Es drohen schon wieder die Offiziösen,

Den Reichstag nächstens aufzulösen,

Als wäre der Reichstag, das fromme Schaf,

Noch immer nicht genügend brav.

* *

*

Nachdem Fusangel den Fürsten Bismarck wegen Beleidigung verklagt
hat, lvird man sehen, ob das Gericht die Klage annimmt, oder ob es der
Meinung ist, der Vater der Reptilien könne überhaupt Niemanden mehr
beleidigen. * *

Ist in der Tasche des Volks noch ein Nickel,

Den nicht zu holen vermochte der Miguel,

Den nicht die Steuern und Zölle verschlingen,

Den Parlarnente zur Strecke nicht bringen,

Wird er geholt mit Geschick und Genie
Durch eine neue Schloß-Lotterie.

* *

*

In Paris hat sich gezeigt, daß es nicht gut ist, die Frequenz einer
Gastwirthschaft durch Anarchisten« und Polizei-Verkehr zu heben, denn eine
auf diese Weise gehobene Wirthschaft fliegt zuletzt ganz in die Luft.

Ihr getreuer

Säge, Schreiner.

drängen, ohne daß sie es gewahr werden. Verübst
du einen bösen Streich, so sorge als verständiger
Jüngling dafür, daß irgend ein Tolpatsch dafür
büße. Die Kunst, anders zu reden, als man denkt,
muß schon früh geübt werden. Hüte deine Zunge,
beherrsche dich, wenn es dir Nutzen bringt und räche
dich stets, aber nur wenn du des Erfolges sicher
bist! So bist du ein Muster guter Führung und
blinkender Sittlichkeit.

Auf der Hochschule wirst du dich einem Fache
widmen, das dich schnell vorwärts bringt. Jus
studirst du und Korpsstudent wirst du. Hast du als
stuckiosuz juris das Recht, sechs Semester zu
bummeln, so hast du als buntbemlltzter, bänder-
geschmückter S.C.-Student die Pflicht, dies zu thun.
Du wirst kneipen, fechten, flaniren, Schulden kon-
trahiren und eine Stütze der Regierung sein. Jetzt
lernst du Politik zu treiben. Deine Meinung wird
stets die sein, welche von oben gewünscht wird, und
du wirst sie wechseln, wenn sie oben gewechselt wird.
Du hast den Stolz keiner eigenen Meinung.

Das Referendarsexamen und das Assessorexameu
find Klippen, an denen du nicht scheiterst. Bist
du eines Kanzlers Sohn, so wird ein Auserlesener
dich vorbcreiten, dem daun der „Geheime Legations-
rath" gewiß ist. Regel 3 läßt sich wie folgt zu-
sammenfassen: Lerne was du mußt, scheine mehr
als du bist, denke Anderer Gedanken, sei stets der
Meinung des Gouvernements.

Dritte Lektion.

Seidenhut, Frack, weiße Binde, Glaces, gute
Konnexionen, starke Protektion, unübertreffliche Bieg-
samkeit des Rückgrats, Schneidigkeit nach unten, Er-
gebenheit nach oben, das ist alles, was du nun brauchst,

um zu steige». Beherrsche die Situation, beute die
Talente, welche arbeiten, aus und zeige deinem Chef,
daß du zu Allem fähig bist, was er verlangt. Im
Kulturkampf verspeise täglich ein Dutzend Jesuiten,
beim Gang nach Kanossa stehe nackt im Schloß-
Hofe, wenn dein Vorgesetzter das Büßerhemd trägt!
In der Aera des Freihandels sei Manchcstermann
bis aufs Messer, und wenn Schutzzölle verlangt
werden, so beweise, daß nur sie uns retten können.
Habe für jede Behauptung eine eiserne Stirn und
bringe Zahlen für jeden Satz, den du aussprichst.
Vertheidige das Sozialistengesetz und begründe,
daß es überflüssig sei, verachte den Arbeiterschutz
und wirke für Ärbeiterschntzkonferenzen; stehe mit
jedem Kanzler und falle mit keinem; diene jedem
Minister und lasse jeden gehen; bleibe aber du auf
deinem Posten!

Auch Parlamentarier darfst du werden. Hier
entfalte deine Begabung, das Chamäleon im Farben-
wechsel zu übcrtrcffen, bis zum Gipfel der Voll-
endung. Mache dich rar und spiele ab und an
den Scheinoppositiouellen! Das Mädchen, das sich
sofort crgiebt, die Festung, die gleich kapitulirt, und
der Politiker, der ohne Ünrstände sich verkauft, sind
keinen Schuß Pulver werth. Prostituire dich, aber
mit Geschick, laß dich kaufen, aber um hohen Preis!

So naht mälig die Stunde, die dich höher,
immer höher, bis zuin Ministersessel führt. Das
ist noch nicht das Ziel, es ist erst der Anfang des
Ziels. Sich hier zu behaupten, das ist die Kunst.
Viele sind berufen, Schnallenschuhe und Eskarpins
zu tragen, Wenige sind anserwählt. Habe scharfe
Ohren, eine glatte Zunge, einen geschmeidigen
Rücken und Argus-Augen! Tritt leise auf, wenn
du die Hintertreppen des Ränkespiels hinabwandelsl

und sei stets in der Gunst des Herrn. Er scheine
zu rathen und sei berathen, er entscheide, du aber
sousflire! Und bedenke, daß du eher aufhörst,
Minister, als ein Charakter zu sein. Das Porte-
feuille aber mußt du festhalten. Hinter den Con-
lissen mußt du die Drähte ziehen, auf der Bühne
deine Hände in Unschuld waschen. Will der Hof
eine schöne Aussicht für seine Residenz, so begünstige
eine Lotterie, die das Geld für den Neubau auf-
bringt! Und wenn das Schloß mit einem Teich
umgeben werden soll, so bewundere den Plan!
Den Residenzbewohncrn blühen dann, so sagst du
beifällig, die Freuden der Seestadt, die Reize eines
Kriegshafens, das Schauspiel von Seegefechten.
Ankernde Torpedoboote, scheiternde Schiffe, z. B. der
Kreuzer K., beleben anmuthig die glitzernde, blaue
Fläche.-

Nachschrift des Herausgebers.

Die anziehende Niederschrift bricht jählings an
dieser Stelle ab. Eine Erklärung dafür bietet fol-
gende Zeitungsnotiz:

t _ „Der —minister .... ist ein Opfer der letzten Minister-
krisis geworden. Als gebrochener Mann zieht er sich mit
einer Pension von achtzehntausend Mark und einer Dom-
herrnpfründe von neuntausend Mark auf sein Gut Streberwitz
bei Drehscheibe in der Muckermark zurück."

Aber auch als Torso ist dies Schriftchen eine
kulturgeschichtliche Urkunde von Bedeutung. Des-
halb veröffentliche ich cs, nachdem es manche Jahre
in den Geheimarchiven geschluttimert hat, in der
für solche historische Dokumente allein zugänglichen
Zeitschrift, dem „Wahren Jacob."

Der Herausgeber.
 
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