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1258

Ansern Herren ReichsunmitteLßaren.

(„^ovlssss oblige“)

£X)ie, auf ein Vorrecht vornehm-kühl verzichten,
Das für das Rechtsgefühl ein todtes Recht?
Dazu kann uns der Adel nicht verpflichten, —

Da kennt ihr eure Pappenheimer schlecht!

Rennt ihr die Welt denn nicht, in der wir leben,
In der nach Gold man, nicht nach Ehre strebt?
Dem, der da hat, ward hier von je gegeben —
wir haben zweifelsohne, also — gebt!

Ls tritt der Staat der Frage zögernd näher,
Doch er taxirt zu niedrig feine Pflicht,
pfui Teufel, Staat, das riecht ja nach Hebräer!
So kleinlich schachert man mit Fürsten nicht!

Zu höhrem Standpunkt mußt du dich erheben
Und ängstlich nicht mit Bureankratentrieb
In solchem Fall am schnöden Mammon kleben;
Bedenke doch: wir haben —also gieb!

Und gebt nicht karg! Ihr habt zwei tiefe Taschen
Und voll sind beide ja bis an den Rand,
wer an der Tafel sitzt, soll nicht blos naschen
Und Blödigkeit ist einfach Unverstand,
wir waren blöde nie in unsrem Streben,
wir haben uns, so lange wir gelebt,

Mit Rleinigkeiten niemals abgegeben;
wir haben reichlich selber, also —gebt!

wie lächerlich, pedantisch abzunressen,
wohin das Zünglein sich der Waage neigt!

Du hast dich sonst für fürstliche Intressen
Verständnißvoller — weit sogar! — gezeigt,
willst auf du unsre Steuerfreiheit heben,

Die uns ein modernd Pergament verschrieb,

So mußt dafür inr großen Stil du geben,
was zierst du dich? wir haben — also gieb!

And murrt das Volk, so nimm es hin geduldig
Und zage nicht — es wird dir nichts geschehn.
wir sind's den Ahnen wie den Enkeln schuldig,

Auf unsrem Scheine mannhaft zu bestehn.

Das ist die große, alte Wahrheit eben,

Die tief ins Herz uns die Geschichte schrieb:

Das Volk hat nichts, dem brauchst du nichts zu geben,
wir aber haben, sieh das ein und — gieb!

Kn den Bescher der Raketenkiste.

2!us jenem Winkel grün und weltverloren,
In dem seit deinem Sturze du geschmollt,
Hat's ab und zu an eines Lauschers Vhren
Wie fernes Wetter dumpf und matt gegrollt.
Der Wandrer sah dich hinter deinem Zaune
Kewaltig paffen ohne Rast und Ruh;

Nan sagte sich, du hättest schlechte Laune
Und hättest allerdings auch Krund dazu.

Was nutzt es dir, dem großen Nalcontenten,
Der sich verzehrt in seinem Kroll und Kram,
Daß ab und zu ein Häuflein von Studenten
Und alten Uriegern dich besuchen kam.

Was kann an solchen redesel'gen Rarren
Und ihrer Huld'gung dir gelegen sein?

Sie rauchen höchstens weg dir die Zigarren
Und trinken aus dir deinen guten Wein.

Der Schwur, daß man dir treu sei sonder wanken.
Ward telegraphisch wohl dir zugestellt.

Doch für Depeschen muß man sich bedanken
Und Telegramme kosten leider Veld.

Und wer hat depeschirt? Die Liberalen,

Die zürnend einst gedrückt du an die Wand,
Das liebe Stimmvieh nur, das bei den Wahlen
Dir und den Deinen zur Verfügung stand.

Run kommt dir endlich eine frohe Uunde
Und eine Freude, die du nicht erprobt;

Ls hat dein Lohn zu künst'gem Lhebunde
Sich einer Kräfin Vesterreichs verlobt.

Da kann der Kruß von Vben aus nicht bleiben.
Ist unversöhnlich nicht und schroff der Kroll;
Du bist so gut, den Wortlaut vorzuschreiben.
Den man dem Klückwunsch huldvollst geben soll.

Und was erfolgt? Will sich kein Bote zeigen.
Dem seine Botschaft Lchwalbenslügel lieh?

Ls kommt kein Klückwunsch und der Rest ist

Schweigen,

Denn ausgespielt hat deine Dynastie.

Sin Klück für Tyras, daß er längst begraben,
Bevor sein Herr, der Kanzler, abgesägt;

Sr würde heute schlechte Tage haben,

Die auch ein Reichshund knurrend nur erträgt.

Ihm ist der Uerger keine Lebenrwürze,

Und da bei ihm er immer tiefer bohrt,

Nacht euch gefaßt darauf, daß es in Kürze
In der Raketenkiste stark rumort.

Nur los! Lin Schauspiel, das wir gern genießen!
Denn in des Himmels Wölbung wird kein Loch
Der alte, grimme Feuerwerker schießen,

Und schließlich platzt das bunte Ding ja doch!

Mißverständnisse über Rußland.

Denkschrift

des Keheimen Ztaatsraths Zwar» Knutkow.

s zieht nur ein Reich, das ist das Reich
aller Reußen. Darin regiert der Zar.
Seine Unterthancn haben ihn zum Fressen
gern. Er ist auch darnach. Jeden Morgen liegen
in der Peters- und Panlsfeste, einer in strengem
klassischem Baustil durchgeführten Villegiatur be-
sonders geliebter Unterthanen, Hunderte auf den
Knicen und beten für das Wohl des Kaisers.
Ein Westeuropäer, dessen durch eine verfaulte Kul-
tur zerrüttete Sinne die urwüchsige Schärfe und
Reinheit längst verloren haben, würde freilich be-
haupten, die Bewohner jener Festung fluchten dem

Zaren, den Ministern, den Richtern, der Polizei,
dem ganzen vermaledeiten Gemeinwesen, das sie
in Ketten schlage und sie an den Galgen hänge.
In den Goldbergwerken von Kara, fern in Sibi-
rien, wo sich Kosaken und Wölfe gute Nacht sagen,
und der Eisbär ein familienhaftes Hausthier zu
werden beginnt, fahren jeden Tag neue Diener des
Zaren in die Grube, um ihr halbes Leben dort in
dunkler Nacht aus daS Angenehmste zu verbringen.
Bei den hellen, glockenreinen Klängen einer Musik,
welche diese glücklichen Bergleute selbst machen —
sie tragen zu diesem Zwecke lange, gutgefügte eiserne
Ketten am Hals, Arm und Fuß — schürfen sie das
gelbe Metall, das dem Kaiser gehört. Sie ruhen
und sie rasten nicht, bis sie manches Pfund des
theurcn Erzes zusammengeklopft, und kommt ein
durch Brandy und andere Exzesse erschöpfter Dankee
in jene köstlichen Gefilde Sibiriens, wo es immer
Winter ist, so vermag dieser Kennan mit seinem
getrübten Auge nur Wahnbilder zu schauen. Er
halluzinirt, und so ist es kein Wunder, daß seine
Berichte von Märchen und fabelhaften Geschichten
wimmeln und so unwahr sind, wie die Rapporte
der russischen Regierung durch ihre Unbefangenheit,
Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit — sie sind deshalb
weltberühmt — löblich hervorragen. Die blassen
Schattengesichter, der schwarze Hunger, die Onal
der Knutenhiebe, die Wundmale der Fesseln, die
Fieberluft der Gefängnisse, die mörderische Nässe
und Kälte der Bergwerke, Sinnestäuschung, nichts
als Sinnestäuschung.

Da der Zar eine beinahe göttliche Verehrung
genießt, so hat sich im Laufe der Jahrhunderte ein
eigener Kultus ausgcbildet, der leider auch oft den
Anstoß zu den häßlichsten Mißverständnissen gegeben
hat. An jedem größeren Ort finden sich die Heilig-
lhümer, welche durch ihre schmucklose Einfachheit
wie die erhabenen Wahrzeichen einer alten Helden-
zeit wirken. Sie bestehen entweder aus drei Pfosten
mit Querhölzern oder (eine Form, die sich jetzt mehr
 
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