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1307

Berlin, Anfang September.

Lieber Jacob!

Wat nu so det Sedanfest is, det hätten mir ja nu jlicklicher Weise hinter
uns, un wat vorbei is, det dnht ieberhaupt kecnen Menschen weh, wenn er sich
von Ansang an nich ville drum jekimmert hat. Mir machen sonne patriotische
Feste ooch kecne Spur von Kopfschmerzen, indem ick zu Hause bleibe un dabei
denke wie Joldschmidts Junge. Den Kommerzienrath Wolfs und seinen Freind
Leipziger haben se ooch jlicklicher Weise injekastelt, se sitzen nu vorleifig seste
mit ihre zehn Jährekkens un wenn se' Widder rauskommen, denn wird woll
keener mehr so dämlich sind, un ihnen Jeld anvertrauen, denn sind Widder
janz neie Schwindler uffjetaucht, von die heite noch keen Mensch wat weeß.

Also Herrfurth is weg, un Eulenburg is da. Un nu det Koppzerbrechen
von de Zeitungen, warum er jejangen is. Na, ick weeß nich, Jacob, so
neijierig bin ick nu janz un jar nich, indem et mir nich een bisken interessirt,
warum er jejangen is, sondern mir als jewiegten Politiker interessirt die
Thatsache ville mehr, det er jejangen is. Von Nachrufe un sonne Sachen
bin ick keen jroßer Freind, un ick will in die Beziehung ieberhaupt am
Liebsten jarnischt jesagt haben. Herrfurth hat schon längst seine Privat-
wohnung bezogen, ick weeß ooch, wo er wohnt, un wenn ick wißte, det et ihm
anjenehm wäre, möchte ick ihn wirklich janz jerne mal besuchen, indem ick ieber
manche Sachen Uffschluß von ihm haben möchte. Vielleicht macht er sich aber
ooch jarnischt draus, wenn ick ihn besuche un so werde ick denn mit meine
Fragen lieber warten, bis er mal hier nach'n Jörlitzer Bahnhof rauskommt.

Außerdem haben wir jetzt hier ooch 'ne Wohnungsausstellung. Du,
meine Jiete, ick habe an meine Wohnung 'ne janze Masse un an meinen
Hauspascha noch ville mehr auszustellen, aber denkste, det ick deswegen jleich
nach den Ausstellungspark renne? Keene Spur, dazu bin ick ville zu be-
scheiden. Et is blos schade, det de Rejierung nischt ausstellt von ihr ollet
ausranjiertes Mobiliar, z. B. die beeden Stichle, zwischen die Caprivi
immer sitzt oder den jrünen Disch, von wo aus wir rejiert werden, oder
die lange Bank, usf die Alles, wat zum Nutzen der armen Leite sind soll,
jeschoben wird, oder die jeborstene Säule, vor die se Bismarcken jetzt halten,
un wat noch so verschiedenet aus de politische Rumpelkammer wäre. Aber
ick sage Dir ja, uff de jescheidtesten Jedanken muß ick se erst immer bringen.

Nu wollte ick Dir noch wat fragen. Sage mal, ärjerst Du Dir viel-
leicht ooch ieber den Staatsanwalt Romen in Hamburg? Ick mächtig,
denn wie ick noch 'n junger Kerl war, da habe ick mal een Meechen ewige
Treie jeschworen. Et hat mir aber jarnischt jenutzt, denn sie hat mir doch
jeheirath't. Da sehste nu ooch Widder, wat sonne staatsanwaltlichen Aus-
führungen vor'n Zweck haben. Mit den Ausdruck des Erstaunens hierieber
verbleibe ick inzwischen wie jewöhnlich erjebenst un mit ville Jrieße Dein
treier Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

—Sächsisches Tanzvergnügen. -S-

6ii Zeids bei der sack'schon Grenze,
duht es da lustig sein!

Da derfen de Damens nich danzen.

In eenem bollid'schen Verein.

Und schbield de Musik nu än Walzer,
wie schaun da de Danzer sich um;

Der Lene der danzd mid'n Gellner,

Der Andere den wirth drehd herum.

Der Dritte, der angaschiered

Den tzausknecht, es is änne Brachd,

Der Vierte danzd gar mid'n Schutzmann
Daß es nor so klapperd un krachd.

Un duhd Bollezeistunde schlagen,

Un dreden de Üachdwächder ein.

Die reißen die lustigen Danzer
Gleich mid in den wärbel hinein.

Zum Schluß gommd der Bärgermeester,
Goch der ward sogleich angaschiert.

So wär'n in Lrmanglung von Damen
Hier Alle trakdird un bussird.

Denn sehd Ihr, mir Sachsen sein Helle,
Un wenn's mid die Damen nich gehd.

Da mach' mer weeß Anäbbchen ä Dänzchen
Sogar mid der Gbrigkeed.

♦M~z33 Hobelsxähne.

Nun ändert sich das Wetter,

Von hinnen der Sommer geht.

Nun fallen die welken Blätter
Und werden vom Winde verweht.

So ist auch der Herrfurth gefallen,
Geräuschlos, ein welkes Blatt.

Keine Klage hört man erschallen,

Daß er uns verlassen hat.

Es schweigt selbst das Zeitungsgesinde
Der offiziösen Welt —

Sie sparen ihre Tinte,

Bis der Caprivi fällt.

-i- *

* ,

Leute, die von allen Genüssen übersättigt
sind, predigen mit Vorliebe den Hungernden die Enthaltsamkeit.

* *

-i-

Ein junges Lämmchen, weiß wie Schnee,

Die harmlose Unschuld, die wahre,

Gras't auf der Weide des fetten Prosit's,

Das Lämmlein, cS heißt Baare.

Man halt sich darüber auf, daß zur Theilnahme an der Feier der
Entdeckung Amerikas kein deutsches Kriegsschiff abgesaudt wird. Ich
meine, die Absendung eines deutschen Lockspitzels genügte, den» die
Lockspitzel sind ja bei Uns die wahren Entdecker.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

und durch alles Unschöne wie Unharmonische aus
das empfindlichste verletzt werde. Nun fällt Ihr
Gütchen, das Sie braver, würdiger Mann gleich
Ihren Voreltern im Schweiße Ihres Angesichts
bebauen, in häßlichem Winkel mitten in die wun-
derbar abgerundeten Bezirke meines Herrensitzes,
der dadurch einem feinen Gewebe gleicht, das an
einer Ecke zerfetzt ist. Um diesen schönheitswidrigen
Eindruck, der mir täglich Sinn und Herz beschwert,
zu beseitigen, müßte ich mein Gut durch Aufnahme
Ihres Hofes in mein Gebiet arrondiren. Die Ge-
setze der Aesthetik stehen mir höher, als alles Andere,
und ich sehe mich deshalb zu meinem aufrichtigen
Bedauern gezwungen, Ihnen die Hypothek, die ich
auf Ihrem Hof stehen habe — als erste und ein-
zige — bis Michaelis zu kündigen. Sollten Sie
nicht im Stande sein, die Hypothek zurückzuzahlen,
so müßte ich die Subhastation veranlassen. Viel-
leicht aber verstehen Sie die zarten Empfindungen
eines schönheitssrohen Mannes zu würdigen und
überlassen mir freihändig Ihren Hof. Sie könn-
ten dann als Inste oder Hofgänger bei mir ein-
treten. Auch für Ihren ältesten Sohn fände sich
Beschäftigung, wenn er meine Lieblingsmagd vom
Fleck weg — die Geschichte eilt — heirathen würde.
Die Aesthetik über Alles! Ich habe meinen An-
walt beauftragt, die nöthigen Schritte sofort und
ohne alle Rücksichten zu thun. Im Interesse des
Landschaftsbildes, das sich nach der Arrondirung
prächtig ausnehmen wird, werden Sie gewiß ein
Uebriges thun. Mit Achtung

* * *

4. Der Fabrikant B. an drn Fabrikanten w.

Lieber Kollege! Da ich weiß, daß Sie gleich
mir von den besten Beweggründen geleitet werden,
so bin ich gerne bereit, Ihnen unfern Werkmeister
R. aus ein Vierteljahr zu überlassen. Dieser zu-
verlässige Mann versteht es, den Abnahmebeamten
die Arbeit so bequem wie möglich zu machen und
ihnen die Kontrole der Schienen auf jede Weise zu
erleichtern. Schönheitsfehler beseitigt er wunderbar,

das Kitten und das Abfraisen von Stempeln, die
Herstellung von Stempeln nach Blciabdruck, kurz
alle die Geschäfte, die ein gutgeleitetes Werk diskret
besorgen läßt, kennt er aus dem Grunde. Ich
ralhe Ihnen eitle elektrische Klingel, die das Pförtner-
haus mit der Stempelabtheilaug verbindet, an-
bringen zu lasse». Kommt ein Revisor unangemeldet,
so wird er durch die herrschende Unordnung, wie
sie beim schnellen Arbeiten so leicht vorkommt, un-
angenehm berührt, und der Ordnungssinn, das ist
das Wichtigste. Ertönt aber das Läutesignal, so
kann vorher der Arbeitsraum so nett wie einSchmuck-
kästchen gemacht werden. Auch die Stempelabdrücke
müssen sorgsam ausbcwahrt werden, damit nicht ei»
gewinnsüchtiger Arbeiter — Sie wissen ja, wie
profitlüstern das Volk ist — heimlich mit ihnen
Mißbrauch treibt und die Bahnverwaltung über's
Ohr haut. Mit stempelhaftem Gruß

* * Ihr-

*

5. Otto an Herbert.

Mein Sohn! Wenn das Vaterland ruft, scheue
ich kein Opfer. So lieb mir das Denkmal am
Starnberger See wäre, ein Landgut am Chiemsee
ist nützlicher. Dort allein kann ich von den Strapazen
der Agitation mich erholen und Kraft zu neuen
Thaten finden. Mögen die Gegner diesen Ent-
schluß auch verhöhnen, Du weißt, nur idealer
Patriotismus treibt dazu

Deinen heisergeredeten Vater.

Das Nomen.

Schon oft hat sich im politischen Kampfe das
Bedürfniß »ach neuen Worten herausgestellt, um
neu austretende Zeiterscheinungen treffend zu be-
zeichnen, und die Presse hat diesem Bedürfniß ab-
gcholfen. So ist auch jetzt für das gewerbsmäßige
Verunglimpfen politischer Gegner ein zutreffender
Ausdruck nöthig gewesen und durch Zufall ein
passendes Wort gefunden worden. Romen heißt

dieses Wort, und man sagt: ich vorne, du romst,
er romt, wir romen u. s. w. Romen ist ein regel-
mäßiges Zeitwort, wen» man auch in dem, was
cs bezeichnet, eine Unregelmäßigkeit sehen kann.
Es wird in unserer Zeit viel geromt und das Romen
ist noch nicht strafgesetzlich verboten, wenn sich auch
manchmal der Staatsanwalt schon damit beschäftigt.
Das Romen wird hauptsächlich gegen unterdrückte
Parteien geübt, ist aber doch der öffentlichen Moral
so schädlich, daß Jeder, der geromt hat, mindestens
wegen groben Unfugs bestraft werden sollte.

Wagnerianer.

Erster Reisender: Rach Bayreuth fahren
Sie? Was thun sie dort?

Zweiter Reisender: Ich will Wagner's Par-
sifal, den reinen Thoren sehen.

Erster Reisender: O, darum brauchen Sie
nicht nach Bayreuth zu fahren. Da betheiligen
Sie sich nur an der einheimischen Zünftler-
bewegung, dann sehen Sic den reinen Thoren
ganz umsonst. _

Genus; sucht.

Der Gipfel der Genußsucht ist, wenn ein Wirth
seinen Gästen den Saal zu Versammlungen ver-
weigert und sie dadurch zum Boykott nöthigt, nur
um sein ganzes Bier allein trinken zu
können. _

Im Bureau.

Sekretär: Was haben Sie wohl an der
Sonntagsruhe auszusetzen?

Konzipient: Daß nicht alle Tage Sonn-
tag ist. -

Vorsicht.

Wie wir hören, sind in sämmtlichen Geschäften
des Hauses Rothschild jedem Kassierer zwanzig
Mark jährlich zugclegt worden, um so eine Wieder-
holung des Falles Jäger zu verhüten.
 
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