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- 1338 -

Die neue Mlliance. EL-'

XPic bist du klein, o Frankreichs Bürgerthum,
Kaum werth der Ehre noch, daß man dein spottet!
Mit Füßen trittst du deiner Väter Ruhm,

So tief bist du entartet und verrottet!

Die Freiheit zog einher auf ihrer Spur

Und Tod -er Knechtschaft war, was sie verkündet -

Du hast dem alten Erbfeind der Kultur,

Du hast dem Ruffenthume dich verbündet!

Doch wird es darum nicht zu Grunde gehn,

Das aufgeweckte, muntre Volk der Franken:

Ls wird in andern Köpfen nur erstehn
Die stolze Saat der goldnen Lichtgedanken,

Und wenn dem Zaren seine Huld erweist
Das Bürgerthum durch tausend Liebeszeichen,

So wird, beseelt von brüderlichem Geist,

Der Arbeit Volk die Ls and dem Deutschen reichen.

Durch alle Lande geht ein finstrer Geist,

Des Todes froh und stets bereit, zu „handeln";
Lr würde täglich, skrupellos und dreist,

Luroxa in ein Leichenfeld verwandeln.

Er träumt vom Schiff, das in die Lüfte springt,
Von Städtebrand und blutgetränkten Siegen,
Und wenn der finstre Anschlag nicht gelingt —
Am morschen Bürgerthum wird es nicht liegen!

Doch hebt ein Fels sich trotzig aus der Fluth,
Den Sturm und Wetter nimmermehr vernichtet:
Der Friedensbund, den wider Frevelmuth
Der herrschenden der Arbeit Volk errichtet.
Mit schwarzen Segeln schießt der Willkür Schiff,
Vom haß geführt durch Schaum und Wellen,
Doch nur getrost — an diesem Felsenriff
wird es dereinst beim ersten Stoß zerschellen!

Berlin, Ende Oktober.

Lieber Jacob!

Et is blos een wahret Jlick, bet De so vor unjefähr vierzehn Dage
nich hier warst. Ick sage Dir: an't Tempelhofer Feld konnte keen Ferde-
appel zur Erde fallen, so'n Jedrängel war da von deitsche un östreichsche
Ofsziere un janz jewehnliche Berliner Spießbirjer, die mit Ecnmal ihr
Herz entdeckt hatten un ooch ihr sachverständijet Urtheil in de höhere Ferde-
schinderei abjeben wollten. Det Jute hat et aber jehabt, et hat hier in
Berlin zum ersten Mal echte wiener Wirschte jejeben, ick bin zwar keen Lieb-
haber davon, von wejen de Hufnägel, die ick nich zwischen de Zähne ver-
dragen kann, aber Kenner haben mir versichert, det die Wirschte, die von
die dooten Ferde jemacht wurden, so fein jeschmeckt haben, wie Achtzehn-

jroschenbutter. Wat der Mensch braucht, det mitß er haben, der Ansspruch
is so klar wie Torf, un icber so'n ollen, derben, dichlijen Distanceritt
jetzt so leichte nischt, un de Hauptsache is, det er unter de richtije Pro-
tektion steht.

Ick jloobe ooch jarnich, det die Jeschichte so leicht wieder in't Loth
kommt. Denn wenn die Sorte erst eenmal Blut jeleckt hat, denn is se
unersättlich, un de Distanceritte die werden woll sobald nich wieder von
de Tagesordnung verschwinden. Mir soll et recht sein, ick sattle heechstens
meinen Stiebelknecht un reite mit. Mehr wie eenen Wolf kann man
sich ja nich reiten, un wenn so'n Stiebelknecht unter den Reiter zusammen-
brecht, is det immer noch keen jroßet Malheur, so'n Ding is leichter reparirt
wie 'n Ferd.

mU Mö -Gerechtigkeit.

in armes abgehärmtes Weib,

<Sin dünnes Kleid auf hagerm Leib,
Sehn zitternd wir und zagend wanken
Im Saal zu des Gerichtshofs Schranken.

And der gestrenge Richter spricht:

„Arau, Ihr vergaßet Eurer Rflicht,

Wie es Euch Gott und das Gefeh befohlen,
Denn Ihr habt Loh und eine Wurst gestohlen
And heimlich fort nach Laus getragen!

Was könnt Ihr zur Vertheidigung uns sagen?"

Das Weib spricht schüchtern: „Herr, mein Alaun

ist todt,

Alit meinen Kindern litt ich arge Roth,

Ja, junger schon seit vielen, vielen Wochen;

Ich krauchte etwas Loh zum Wasser kochen,

Da Hab' ich heimlich aufgemacht

Den Stall und Loh nach Laus gebracht;

Viel könnt', Lerr Richter, ich nicht tragen,

Auch hatt' ich Aurcht, vorher zu fragen."

,,Rnd warum habt Ihr Euch die Wurst genommen?"

„Ich weiß nicht, wie es über mich gekommen!
Als ich sie plöhlich vor mir sah,

Lag sie so schön, so lockend da;

Ich dacht', wie meine Kinder hungern,

Rach einem Stückchen Rrot nur lungern,

Das hat verwirrt mir wohl den Sinn.

Da bracht' die Wurst ich meinen Kleinen hin
And als ich sah, wie sie gegessen,

Lab' meines Leides ich vergessen!"

In ihren Augen, die vor Gram längst trocken,
Will die Erinn'rung neue Thränen locken.

Doch unerbittlich das Gericht

Das Weib des Diebstahls schuldig spricht.

Die Wurst erscheint als „Alundraub" zwar,

Das Loh ein „schwerer" Diebstahl war:

Vier Alonate Gefängniß und noch Last,
Damit wirb nun die arme Ilrau bestraft.

Run fühlt von Staats- und Rechteswegen
Sie christlicher Gesetze Segen!

Doch für die Kinder fühlt man Mild're Regung,
Die kommen als „verwahrlost" in Verpflegung;
Aus baß ihr Seelenheil nicht lauft Gefahr
Lehrt Liebe sie ein frommer Alissionar,

Inbeß im Kerker ihre Atutter stöhnt
And sich umsonst nach ihren Kindern sehnt,

In stuinmverzweislungsvoÜer Klage. —

So löst das Rürgerthum die soziale Nrage,

Der Liebe und Gerechtigkeit zum Ruhm,
Denn unantastbar ist das Äigenthum!

Iakob Audorf.

Blauweitz.

9erschwcnderisch streute die Abendsonne
sprühende Juwelen auf die Fluthen des
Rheins, dann tauchte sie unter den
Horizont und der Abend umhüllte den
Fluß und die beiden Städte, zwischen
denen er sein Bett gegraben, immer dichter ein mit
seinen grauen Schleiern. Jetzt erst belebten sich
die Straßen und Gassen. Von allen Seiten strömte
es herbei, hastigen Schritts, vereinzelt, zu Zwei
oder in kleineren und größeren Trupps, meist
jüngere Männer. Alle schlugen sie dieselbe Rich-
tung ein. Je näher sie dem Ziel kamen, desto
mehr verschmolzen sie zu größeren Gruppen und

desto lebhafter wurde es unter ihnen. Ein Wort
bildete das Grundmotiv der Gespräche: Bebel! Wie
sich die Zeiten geändert hatten: in der Stadt, wo noch
vor einigen Jahren jede Arbeiterversammlung ver-
boten wurde, ob die Tagesordnung noch so harm-
los, der Name des Referenten noch so unstaats-
gefährlich klang, konnte jetzt Bebel selbst eine Ver-
sammlung abhalten. Lange vor der bestimmten
Stunde war der große Saal sammt Gallerie dicht
besetzt, sogar im Flur und ans den Treppen standen
sie dicht gedrängt. Aber kein einziges Frauenzimmer
war zu sehen, wie anderwärts in Arbeiterversamm-
lungen, wo auch Frauen und Mädchen löblicher
Weise die Vorträge besuchen. Das bayrische Vereins-
gesetz leidet ja am „Weiberhaß," wie es in einem
bekannten Lustspiel heißt, und duldet kein weib-
liches. Wesen in politischen Versammlungen, viel-
leicht um das Weib seinem Beruf, himmlische Rosen
ins irdische Leben zu flechten, nicht zu entfremden,
oder aus zärtlicher Fürsorge um den weiblichen
Charakter, da bekanntlich die Politik den Charakter
verdirbt.

Der Eindruck, den die Rede auf die Arbeiter
machte, war auf den Gesichtern deutlich zu lesen,
nur mühsam konnten sie den Ausbruch der wachsen-
den Begeisterung bemeistern, die aber doch stellen-
weise in einem enthusiastischen Beifallssturm sich
äußerte. Allen zuvor that es ein blutjunger Ar-
beiter auf der Gallerie, der mit flammenden Augen
an den Lippen des Redners hing und alle paar
Sätze mit Bravo und Händeklatschen begleitete, so
daß ihn sein Nachbar, ein gesetzter Dreißiger, mehr-
mals zur Ruhe wies.

Eine Zwischenpause wurde gemacht, während
welcher die Beiden sich miteinander unterhielten.
Der Aeltere staunte über die Kenntnisse des Jungen
und seine guten Bemerkungen.

„Wie alt sind Sie denn eigentlich, Sie junges
Blut?" fragte der Aeltere.

„Aelter als ich ausschau," war die Antwort.
 
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