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1339

Sonst iä hier so ziemlich Alles beim Allen. De Cholera hat uns
jlicklicherweise blos Juten Morsen jesagt, aber nich, ob se wiederkommen will,
wobei denn Poststephan sich nochmals als Finanzjenie zeigen kann. Um
den Familjen der doten Postjehilfen in Hamburg zu helfen, knöppt er den
Postjehilfen im Lande die Jroschens ab. Det will ick mir merken: wenn
mich eene arme Familje von zehn Koppen um 'ne Jabe anspricht, dann
nehme ick de ersten Neune je eenen Beitrag ab und schenke det Jesainmelte
den Zehnten, der et denn mit die Andern theilt — so is Allen jeholfen
und mir kost meine Wohlthätigkeit nischt. Womit ick verbleibe wie jewchnlich,
erjebenst un mit ville Jrieße Dein treier

Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

-»-

HobrlMhne.

Zwei Jahre — ob die wohl genügen
Zur Uebung dem Militär?

Dies macht den Diplomaten
Jetzt Kopfzerbrechen sehr.

Wohl weiß man: viel kürzere Zeit oft
Genügte im Falle der Noth,

Die Abwehr zu organisiren,

Wenn wirklich das Land war bedroht.

Doch Höheres steht auf dem Spiele,
Entscheidend die Frage ist:

Kann man wohl den Stechschritt erlernen
In einer so kurzen Frist?

* *

*

rr Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen
gepflastert — und der Weg zum nationalen Bankrott mit großen
Militärvorlagen. * *

Es kommt ins Land der Winter nun —

Kannst du kein Winterkleid dir kaufen,

So wandre aus nach Kamerun,

Dort kannst du auch im Winter laufen

Im Leinwandhemdc, im bequemen,

Das kein Ex'kutor dir darf nehmen.

„Tief gesunken!" sagten die Zuschauer, als der Baare und der
Fußangel sich gegenseitig in die Arme sielen.

^hr getreuer Säge, Schreiner.

38


Nm die Wahrheit über Kuszlaud

zu erfahren, begab sich der Berichterstatter des „Wahren Jacob" zum Professor
Virchow in Berlin, um ihn nach allen Regeln der Kunst zu interviewen.
Hier das Ergebniß der Unterredung.

Virchow: Sie kommen, um mich zu interviewen, schweigen Sie, ich
weiß es. Stoßen Sie mit mir an in diesem köstlichen Wutki: Seine Maje-
stät der Kaiser aller Reußen, er lebe hoch!

Wegen der Cholera wollten Sie mich fragen? Cholera, Unsinn. Wissen
Sie, was die Cholera in Rußland ist? Ein Vergnügen. Es ist ein Genuß,
diese Krankheit z. B. in Moskau zu bekommen. In Rußland stirbt Niemand
an der Cholera, alle Maßregeln sind dagegen getroffen, besser als in Berlin.
Eine Viertelmillion Menschen soll daran zu Grunde gegangen sein? Lächerlich.
Die Kerls sind aus Bosheit gestorben, um der Regierung einen Possen zu
spielen, weil cs ihnen zu gut ging, weil -sie den Rubelkurs drücken wollten.
Sic können sicher sein, die ganze Geschichte ist ein Börsenkomplott; die
Baissiers in Berlin und London haben die Sache gemacht.

Keine Nahrungsmittel, keine Unterstützung hätten die Nothleidendcn
erhalten, die Beamtenschaft stehle wie Raben? Dummes Zeug! Geld ist
da in Hülle und Fülle, Brot, Fleisch, Wein. Ich habe mit Niemand ver-
kehrt, der Hunger und Durst litt und habe doch so viele Diners mitgemacht.
Und kein Beamter hat mich bestohlen. Das hätte ich doch merken müssen.
In Rußland stiehlt Niemand, das ist ein westeuropäischer Mythus. Bei
dem Moskauer Bankett war doch der Bruder des Zaren selbst erschienen,
und kein silberner Löffel hat gefehlt. Merken Sie sich, die Ehrlichkeit ist
die Haupttugend der russischen Bureaukratie, und die Wahrheitsliebe.

In Rußland ist das Volk zufrieden, der Galgen und die Festung stehen
leer. Es ist eine Lust in Rußland zu leben.

Warum ich nicht dort geblieben bin? Weil ich ausgchen will in alle
Welt, den Ruhm des Zarenreichs zu künden und die Wahrheit über Ruß-
land zu sagen.

Rußland hätte Schulden? Geld wie Heu. Eine orientalische Gast-
freundschaft, Champagner und die ausgesuchtesten Gerichte. Kein Nothstand
dort so wenig wie 1891 in Berlin. Ob man Rußland leihen darf? Je
mehr, desto besser. Ich soll mit gutem Beispiel voraugehen? Dazu, mein
Herr, bin ich zu bescheiden.

Herr Virchow hatte nichts mehr zu sagen. Unser Berichterstatter ging,
nachdem Herr Virchow ihm noch eine Ehrengabe, eine echte Knute, gezeigt

„Sie haben ja noch gar keinen Schnurrbart."

„Ich bin ein Schwabe," lachte der jüngere,
„wo der Verstand und der Schnurrbart später als
anderswo wächst."

Die Pause war vorüber und die Rede nahm
ihren Fortgang. Als die Versammlung geschlossen
war, lud der ältere seinen jungen Nachbar ein,
mit ihm und andern Genossen in ein Bierhaus zu
gehen. Dort wurde lebhaft über die Rede diskutirt
und der jüngere, der sich als Schlosser Hübsch vor-
stellte, führte wieder das große Wort und sprach
so sachkundig und gewandt, daß er allgemeine Auf-
merksamkeit erregte. Besonders ereiferte er sich,
als die Rede auf die Frauen kam.

„Laßt mi außi mit d'Weibsleut," sagte ein
Heiz«r, „ihr Hirn is zu kloan, sie können unsere
Prinzipien nit verdau'n."

„Ja," bekräftigte ein Schriftsetzer, „und den
Pfaffen glauben sie auch noch zu viel."

Da hätte man nun aber den jungen Schlosser
sehen und hören sollen. Seine schwarzen Augen
schossen Blitze auf die beiden Ketzer und mit spru-
delnder Redesertigkeit führte er aus, daß die viel-
tausendjährige Tyrannei des männlichen Geschlechts
die Rückständigkeit der weiblichen Intelligenz und
Energie verschuldet hat. Die moderne Produktions-
weise aber mit ihren sozialen Ungeheuerlichkeiten
stachle das Weib zur Selbsthilfe auf, wie sie die ganze
Arbeiterklasse aufstachelt, und heute schon gebe es
Proletarierinnen genug, die es an Verständniß der
Arbeiterbewegung und lebhaftem Interesse für sie
mit jedem Genossen aufnehmen.

„Dös san halt Ausnahmen," warf der Heizer
dazwischen, und der Schriftsetzer meinte, der junge
Schlosser selbst strafe seine Worte Lügen, denn
in seinem Alter denken die Frauenzimmer nur au
ihren Putz und an Liebeleien.

Da konnte der junge Schlosser sich nicht mehr
halten. Mit einem raschen Griff löste er sein dickes
Haar und präsentirte sich in seiner wahren Gestalt

als Mädchen, das, uni nicht von der Polizei aus
der Versainmlung gewiesen zu werden, dieselbe in
Männerkleidung besucht hatte.

Verblüfft schauten die Mitglieder der Tafelrunde
drein; doch bald machte sich eine um so fröhlichere
Stimmung geltend, und mit einem kräftigen Hoch
auf die Parteigenossinnen wurde die Rachsitzung
geschlossen. Der Heizer und der Schriftsetzer aber
verschworen sich, nie wieder etwas Nachtheiliges
über die „Frauenzimmer" zu sagen.

-#-

Unglaublich, aber rvaljr.

ußangel-Baare sich versöhnten
Und jeder öeklarirte gar
Als einen Ehrenmann den andern:
Ls ist unglaublich, aber wahr.

Daß Ziffer 166

Des Strafgesetzbuchs anwendbar
Sei auf den heil'gen Rock von Trier:

Ls ist unglaublich, aber wahr.

Nach Hamburg hat zur Zeit der Seuche
Lintausend ganze Reichsmark bar
Gespendet die „Raketenkiste":

Ls ist unglaublich, aber wahr.

Um 75 000 will man

Vermehren die Soldatenschaar

Und stärker noch das Volk besteuern:

Ls ist unglaublich, aber wahr.

Hamburgs Behörden ließen drucken

Bei Auer dort ein Zirkular

Und durch Genossen es verbreiten:

Ls ist unglaublich, aber wahr.

Durch eine röthliche Rravatte
Dem Sachsenlande droht Gefahr;

Bestraft deswegen wird der Träger:

Ls ist unglaublich, aber wahr.

Vom Schwabenlande kommt die Runde,

Daß als verrückt und unheilbar
Erklärt man Hab' den Hegelmaier:

Ls ist unglaublich, aber wahr.

Die Marseillaise hörte stehend
Entblößten Hauptes an der Zar,

Die Republik hofirt der Rnute:

Ls ist unglaublich, aber wahr.

Im Anarchismus hat gefunden
Der tolle Hans ein dickes Haar
Und ist nun Heilssoldat geworden:

Ls ist unglaublich, aber wahr.

So aber Jemand möchte sagen:

Gestochen endlich ist der Staar

Herrn Lugen Richter —würd' ich sprechen:

Unglaublich, aber auch nicht wahr.

Sparsamkeit.

A. : Die „Post" schrieb, die Heeresverwaltung
wolle in der neuen Militärvorlagc die äußerste
Sparsanikeit walten lassen.

B. : Das glaub' ich gern.

A. : Wie so?

B. : Man will die horrenden Mchrfordcrnngen
an der Lebenshaltung des Volkes absparen.

— In Frankfurt wurde eine öffentliche
Schneiderversammlung aufgelöst, weil der Beamte
behauptete, die Uhr des Vorsitzenden gehe falsch,
während der Vorsitzende dies bestritt. Uns ist diese
Differenz der Uhren nicht auffallend und die Auf-
lösung erklärlich. Ohne Zweifel hat der Polizei-
beamte die Sache symbolisch anfgefaßt und die
Acußernng des Vorsitzenden dahin verstanden: auf
der sozialdemokratischen Uhr steht der Zeiger bald
auf 12 und die Uhr des Kapitalismus ist demnächst
abgelaufen, wogegen die Uhr der Polizei zurück-
geblieben ist. Grund genug zur Auslösung.
 
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