Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1347

Zwee Dcige druff denkt mein Kousin mit keen Sterbenswort mehr an
det Feier, er kickt ruhig aus sein Fenster un spuckt ruhije Birjer uff de
Mitzen. Mit Eenmal kloppt et an seine Dhicre, er macht 'n Bramsijen un
ruft dicknesig: „Herrrein!" Ratierlich denkt er doch jleich, der Affe soll ihn
lause», wie een krummbeenijer, sächsischer „Bolleziste" bei ihn rin kommt,
un ihn mit sächsische Amtsmine mit'n Jruß von'n Keenig een Dienstschreiben
Überreicht. Lach' Dir blos kcenen Ast, lieber Jacob, wenn ick Dir jetzt
mittheile, wat in den Brief stand. Nämlich mein Kousin Fritze hat als
jemeinjefährlicher, rother Sozialdemokrat mang de freiwillije Feierwehr nischt
zu suchen, davor muß er aber von sein achtzehntel bis achtundachtzigstet
Lebensjahr bei ausbrechendet Feier als keeniglicher Flichtfciermann erscheinen.
Da meechte man ja in Sachsen noch lieber Brandstifter wie freiwilliger
oder Flichtfeierwehrmann sind. Aber uff meinen Kousin Fritze kaunste Dir
verlassen, der lügt Dir nischt vor, er mißte denn jrade alleene oder in
Jcsellschaft sind.

Nu habe ick mir mit die olle, dämliche sächsische Jeschichte so feste
jequasselt, det ick von't Berlin'schc erst jarnich mehr so richtig anfangen
will. Oogenblicklich is hier ooch nich ville los, wir warten uff de Reichs-
boten un unser Pärteidag hat ooch jrade erst anjefangen. Zu dem Letzteren
wollen wir uns ville Jlick winschen, die Ersteren werden uns woll mit dem
Militäretat eene beeße Nuß zu kuacken uffjeben, mit welche traurije Aussicht
ick verbleibe, wie immer, erjebenst un mit ville Jrieße Dein treier

Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

.-♦-

Acht Stunden Arbeit, acht Stunden Erholung,
acht Stunden Ruhe?

f estesweihe, wenn sich Rinder freuen!

wie die Rleinen unter frohen Scherzen
Bunte Lichter in die Dämrn'rung streuen
Mit den leichtbeschirmten, kleinen Rerzen.
Lampions in aller Karben Klimmern;
Reichverzierte, ärmlich klein und bunte —
Und dazwischen seh' ich plötzlich schimmern.
Dreifach weiße 8 auf rothem Grunde!

R)ie des rothen Lichtes volle Strahlen
Höher dir die bleichen Wangen färben.
Ahnst du nicht, daß du der Sorge Dualen
Als vermächtniß sollst vom Vater erben;
Ahnst du nicht, daß in des Lebens Kühren
Rommen wird einst die Lrkenntnißstunde,
Da auch du zum Zeichen wirst erküren.
Jene weiße 8 auf rothem Grunde?

Komm’, mein Rnabe mit dem Völkerzeichen,
Daß ich dich auf meine Arme nehme!
Kürchte nicht, daß ich mich vor den Reichen
Ueber dein geflicktes Röckchen schäme.
Sollst erschrocken nicht das Röpfchen wenden.
Segnen will ich dich in dieser Stunde,

Kür den Kriedensgruß aus deinen Händen
Mit der weißen 8 auf rothem Grunde!

Line Korderung ist's von Millionen
Die in diese Zahlen eingewoben;

Und wo Menschen auf dem Lrdball wohnen.
Hat sie frei und stolz ihr Haupt erhoben. —
Kreue dich, mein Rind, an deinem Ziele,
Lieh, schon strahlt es überm Lrdenrunde,
Und mit Macht führt uns dereinst zum Ziele
Dreifach weiße 8 aus rothem Grunde!

* Ein Freund unseres Blattes theilt uns das obenstehende Gedicht mit dem Bemerken
mit, daß in Leipzig viele Kinder auf sogenannten Stocklaternen die dreifache 8 tragen, um
damit für den Achtstundentag zu demonstriren.

Hobrlspähnr.

Es harret mit großem Jnt'resse
Der schwarze Reaktionär —

Vom Sozialistenkongresse
Erwartet er freudige Mähr.

Er fragt: wird nun endlich gehauen?

Wird endlich die Zwietracht enthüllt?

Er möchte daran sich erbauen,

Doch niemals sein Wunsch sich erfüllt.

*

*

Der Tod Lothar Bucher's zeigt wieder, welches
Unglück Bismarck neuerdings hat. Erst verlor er
seinen Kopf, und nun hat er auch noch seine
„rechte Hand" verloren.

-i- *

*

Wie sehr auch das Zentrum der Herrschsucht Begehr
Roch immer keck entzügelt —

Es wackelt der Thurm des^Zentrums sehr,

In Bayern ward es be-Sigl't.

*

Die Liberalen und die Ultramontancn liegen sich wieder einmal in den
Haaren. Letztere möchten gern den Ketzer Harnack und seine ketzerischen Ge«
sinnungsgenossen verbrennen, die liberalen Kapitalisten wollen dies aber nicht
zugeben, weil die Ketzer jetzt so zahlreich sind, daß durch ihre Verbrennung
die Kohlenpreise gedrückt werden.

* *

*

„Mehr Militär! Mehr Militär!"

So schreien Junker und Pfaffe,

Es laufen zu viele Leut' noch unihcr
Ganz ohne jegliche Waffe.

Nun denn! prcssirt's Euch gar so sehr —

Wir wollen den Spaß Euch gewähren,

Wir wollen Euch schenken das ganze Heer,

Doch sollt Jhr's auch ernähren!

* *

*

Ans den Brettern, welche die Zunftfanatiker vor dem Kopfe haben,
wird der Sarg des Jnnungswesens gezimmert.

Ihr getreuer ^äge, Schreiner.

ä gutes, ä gehorsames Kind. Ordnen werd' ich
die Geschäfte des Herrn Baron Schwiegersohns.
Mer haben's, mer kennen's. In Eile

Dain Moses.

XI.

Ihre am 1. April vollzogene Vermählung be-
ehren sich hiedurch anzuzeigen

Rebekka von Röckeritz, geb. veilchenfelö,

Edgar Freiherr von Aöckeritz,
Rittergutsbesitzer, Reservelieutenant, Reichstags-
abgeordneter.

XII.

Depesche.

Dora Hüpfer, Balleteuse, Hornstraße 100.
Morgen Eröffnung der Session. Komme heute
Abend. Wollen pyramidal vergnügt sein.

Edgar.

■ ->*<■ •

Aeöer die letzte Krankgrit des Kerrn Miquel

zirkuliren verschiedene Gerüchte. Die Einen be-
haupten, er litt an Verstopfung der Steuerquellc,
Andere denken an Durchfall der Militärvorlage,
während Manche von einem Bruch mit dem Reichs-
kanzler wissen wollen.

—3* Erbfolge, k—

ucher war Lassalle's €rhe
Und bei Bucher's Todesfälle
Trat als Grbe ein der Bisnrarck,

So beerbt er auch Lassalle.

Doch gerecht ist die Geschichte,
wenn der Bismarck geht zum Sterben,
weiß er, daß die Sozialisten
Seines Wirkens Früchte erben.

Der Vorthrrl.

Fabrikant (salbungsvoll): Nicht wahr, ihr Leute,
man kann dem lieben Herrgott nicht genug dafür
dankbar sein, daß die diesjährige Kartoffelernte
so gut ausgefallen ist!"

Arbeiter: Ja wohl, nun sind auch einmal die
Armen im Stande, jemand die Haut ab-
ziehen zu können.

AaMang zur Ko1umßus-§em.

Das »vor eine große §eiev,

Begangen in Ost und West
And doch ein dunkler Zchatten
Fiel auf das Kolumbus-Fest.

Denn »viißrend den Kclden man riigmte,
Der viel errungen gat,

Da mußte man auch vermelden
Do manche böse Tljat.

Wie roß die Bpanier Herrschten
Hm neu entdeckten Land,

Wie sie in die friedliche Wildniß
Getragen Mord und Brand.

Doch geute? tzn Mfrikas Innern
Zpielt noch dasselbe Ztiick,

Doch Hat's einen schönen Kamen:
„Koloniale Politik."

Ein historischer Punkt.

Führer lauf einem Thüringer Hügel): Hier isi ein
historischer Punkt. Wenn Hoheit hier niesen, können
alle Dero Unterthanen „Prosit" rufen.

Modernes Lrmittelungsverfagren.

Wn der Gegend von Speyer, wo sehr kluge
Leute wohnen, hat man bekanntlich die Re-
traten ohne deren Wissen darauf hin ge-
prüft, ob sie sozialdemokratische Führer oder ziel-
bewußte Sozialdemokraten sind, oder ob sie wenigstens
unbewußt zur Sozialdemokratie Hinneigen. Die fort-
geschrittene Technik des amtlichen Ermittelungsver-
fahrens feierte dabei einen großen Triumph, denn
man fand namentlich viele unbewußte Sozialdemo-
kraten. Nachdem auf diese Weise die Schleier der
Philosophie des Unbewußten gehoben sind, wäre cs
aber eine Sünde, bei der Analyse von Rekruten
stehen zu bleiben, denn an einem verdorbenen Re-
kruten ist nicht mehr viel zu retten. Man sollte
vielmehr alle Hebammen verpflichten, regelrecht
darüber Bericht zu erstatten, zu welchen Partei-
richtungcn sich die Säuglinge unbewußt bekennen.
Das dürfte mindestens nicht schwerer fallen, wie
hinsichtlich der Rekruten. Wenn ein Säugling seine
Milch, die ihm verabreicht wurde, wieder äusfpuckt,
so bekennt er sich unzweideutig zu den Unzufrie-
denen; er ist Sozialdemokrat und statt der Amme
muß ihm ein Schutzmann beigegeben werden.
Wenn ein Säugling während der Taufe schreit, ist
er als Atheist zu bezeichnen; wenn er mit den Beinen
strampelt, zeigt er sich dem Fortschritt, geneigt, und
es müssen über alle solche verdächtige Säuglinge
heimliche schwarze Listen geführt werden... Wenn
aber der Säugling lächelnd mit seiner eigenen Nase
spielt, ist er ein zufriedener Nationalliberaler; wenn
er seine Windeln nicht sauber hält, neigt er zum
Agrarierthum, und wenn er die große Fußzehe in
den Mund steckt, ist er ein Ultramontaner, denn
er zeigt damit, daß er sich in alle politischen und
sonstigen Lagen des Lebens zu schicken weiß.
 
Annotationen