1355
Nu ftett’ Dir meine Lage vor! Stnjenommen, posito, jesetzt den Fall,
ick pumpe mir bet Fahrgeld bis nach Varzin, reise ooch wirklich hin, werde
von den Altreichskanzler zu dicke Erbsen un Sauerkohl injeladen, darf Rooch
schnappen, wenn er die lange Feife roocht — — mit Eenmal bin ick inter-
essant bei Disch un denn schmeißt er mir raus! Kannst Du et mir ver-
denken, dat ick mir erst vorsichtiger Weise bei jute Freinde, jetreie Nachbarn
unsoweiter darieber erkundije, ob ick interessant bin oder nich? Denn ick
will doch dat Jeld, wat ick mir miehsam zusammenpumpe, nich unnütz weg-
schmeißen, blos um mir rausschmeißen zu lassen, wobei man denn vielleicht
noch eenen Tritt mit die beriehmten Kierassierstiebeln kriegt, bet man sechs
Wochen Kreizschmerzen hat. Denn der Deibel trau den Äptheker, so'n Kerl
hat in jeden Kasten wat.
Aber ick jloobe, Du denkst jetzt, wo ick Dir in meinen Plan injeweiht
habe, janz jemiethlich bei Dir: „Wat bet Interessante anbelangt, da braucht
sich Jotthilf nu wahrhaftig keene jrauen Haare wachsen zu lassen; Hans
Blum is ja ooch blos moralisch rausjeschmissen worden, un wat der kann,
na, bet können wir doch zehnmal!" Vielleicht hast De recht, lieber Jacob,
un wo Du recht hast, da hast De recht, bet bestreit feen Mensch, oder er
mißte jrade keene Krempe an'n Hut haben. Aber wenn Du et mir nich
übel nimmst, werde ick mir die Sache noch 'n bisken überlejen, un wenn
De bis übermorjen Mittag keenen injeschriebenen Brief von mir hast, in
den ick zärtlichen Abschied von Dir nehme, denn bin ick vorläufig noch in
Berlin, un warte ruhig ab, ob der Altreichskanzler nich vielleicht mal bei
mir kommt, ick werde ihn ooch so gut bewirthen, wie et in meine Kräfte
steht, un zu hören soll er wat kriegen, wat er vielleicht in sein janzet Leben
noch nich jehört hat.
Doch weeßt De, Jacob, nu sangen de Dage an, wo Eenen de Beene
frieren, wenn man nich ordentlich inheizt. In seinen steifen Jrogk nimmt
der Jebildete jetzt lieber eenen Schuß Rum mehr rin, un davor kann bet
Jlas ooch denn een bisken jrößer sind. Denn sowat wärmt Herz un Nieren,
un wo se nu bald Widder de jeheizten Eisbahnen annonziren, da muß der
Mensch ooch vor innerliche Wärme sorjen, denn sonst hängt ihn leicht een
meterlanger Eiszappen von de Reese runter. Et is blos jut, dat der Reichs-
tag hier is, de Situation würde sonst doch zu frostig werden. Det Eenzige,
woran man sich bei die schlechte Zeiten noch wärmen kann, det sind die
Pleiten, die hier so mit mächtijen Pomp in Szene jesetzt werden. Eener
bemogelt den Anderen, un det nennen se in die feine Jejenden „Handel-
dreiben." Ick habe ja nu keene Angst vor det Pleitejehen, oh konträr det
Jejentheil, die Leite, die det richtig verstehen, die sollen immer noch eenen
bösen Posten Jeld dran verdienen. Schade, det ich so dämlich jeboren bin
un nischt zujelernt habe.
Ru, lieber Jacob, lebe wohl, denke immer jetzt schon an een passendet
Weihnachtsjeschenk vor mir, ick zerbrech' mir inzwischen wejen Dir ooch
schon den Kopp un verbleibe wie jeweehnlich, erjebenst un mit bitte Jrieße
Dein freier Jotthilf Naucke.
An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
Belgisches.
A. : Was meinen Sie zu der lauten, stürmischen Art, wie die
belgischen Arbeiter das allgemeine Stimmrecht verlangen?
B. : Ich schließe daraus, daß die belgischen Machthaber schrecklich
schwerhörig sein müssen.
-»-
n Hodelspähne.
Man hörte in diesen Tagen
In Zeitungen allerlei
Gar Kluges reden und sagen
Von der Sozialistenpartei.
Um Eines nur allerwegen
War große Sorg' und Roth:
Man kann sie nicht widerlegen,
Drum schlägt man sie lieber todt.
*
Der alte Bismarck hat das große Verbrechen,
durch Fälschung der Emser Depesche den Krieg
heraufbeschworen zu haben, endlich eingestanden.
Er will, da ihn doch Niemand mehr als Heros
des Jahrhunderts anerkennt, wenigstens der
Herost rat os des Jahrhunders sein.
* *
*
Die Cholera ist nun verschwunden,
Die schreckliche Völkerplage.
Dafür hat sich eingefunden
Die Militärvorlage.
-I« *
*
Den Katholikentag in Leipzig haben die Schwarzen abgesagt; durch
ein Zusammentreffen mit Cohn auf der Michaelismesse fürchteten sie, ein
Olmütz zu erleben. * ^
Man macht fortwährend ein großes Geschrei,
Ob die deutsche Nation auch wehrfähig sei,
Darüber jedoch man gänzlich vergißt,
Daß sie nicht ausreichend nährfähig ist.
„Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage,"
Besonders auf dem Jnnungstage.
Eine große Erleichterung steht uns bevor, nämlich unsrer Taschen
durch neue Steuern.
Ihr getreuer
Säge, Schreiner.
aber der nahm sie aus sein Schloß, in blühenden
Gärten lieblich gelegen. Krystallklare Brunnen
springen, die geschornen Taxushecken grünen, der
Jasmin duftet, und die Höhen sind in den blauen
Duft der Abenddämmerung getaucht. Ach, sie ist
so jung, und ihr Blut pulst lebenswarm durch die
Adern, und er versteht die Kunst zu verführen.
Die Scherbe war damals auch noch jung und ein
Theil der köstlichen Platte, auf der zwei blinkende
Spitzgläser voll Chperwein funkelten. Das Mädchen
sah bebend auf die Platte, und gerade auf den
Schäfer und die Dame fiel ihr Blick, die so kunst-
voll aus die Scherbe gemalt waren.
Und als der Morgen kam, da war das junge
Dings die Geliebte des gnädigen Herrn und lachte
und weinte, bis er kam. Er eilte täglich zu ihr,
die ersten Wochen, — bis er eine Andere fand.
Wieder saßen sie zusammen, und er schlug ihr vor,
sie solle seinen Stallmeister heirathen, den alten
Wüstling mit dem frechen Blick und dem schlottern-
den Gang, eine standesgemäße Versorgung. Er
ging, sie blieb allein und goß mit zitternder Hand
sich in das Spitzglas, aus dem sie zum ersten Mal
mit ihm getrunken, die Tropfen, die sie in dem fein-
geschliffenen Flacon schon lange aufbewahrt. Ein
Tropfen fiel auf die Platte und entfärbte den Spitzenrock
des Rokokoschäsers, und viele Thränen fielen aus die
Scherbe. Man stirbt nicht leicht, wenn man jung ist.
Als die Selbstmörderin eingescharrt war hinter
der Hecke, wo eine uralte Linde ihren Wipfel empor-
streckt, kam er, der Herr, wieder und sah die Platte
mit bösen Augen an. Sie erinnerte ihn an dies
und an das und er zürnte nicht sich, denn er
handelte immer gut, sondern der dummen Platte.
Mit der Reitpeitsche schlug er nach ihr, daß es einen
hellen Klang gab, wie eine zersprungene Saite. Der
galonirte Diener nahm die Platte und trug sie
hinaus. Sie kam auf den Tandelmarkt, und ein
Trödler, der mit seinem Porzellan handelte, erstand
sie für ein Billiges. Sorgsam wurde sie gekittet,
so daß nur dem geübten, mit künstlichem Glas
bewaffneten Auge des Kenners der behutsam geleimte
Riß sichtbar ward. Ein reicher Emporkömtnling
kaufte sie, der als Steuerpächter die Armen aus-
geplündert halte und in seinem Landhause zu Ver-
sailles prächtiger lebte als der Graf von Artois.
Seine Frau war ein schnippisches, hochmüthiges,
bettelarmes Edelfräulein aus der sonnigen Touraine,
das die zehnfache Million geheirathet hatte und
ihren Dummkopf von Gatten mit den Kavalieren
des Hofes munter betrog. Während der nach Paris
zu seinem Bankier fuhr, tändelte sie mit dem ordens-
geschmückten Marquis und den feinen Abbss, und
ihr eifrigster Verehrer war der frühere Besitzer der
Platte, der kannte sie aber nicht, trotzdem ihm täg-
lich darauf der Pekkoblüthenthee servirt wurde.
Eines Tages, als der hohe Herr die Frau des
Emporkömmlings besuchte und diese ihm auf der
schönbemalten Platte die Theetasse reichte, hallten
die Sturmglocken, von fernher drang Schießen und
Stimmengewirr. Die Bastille ist erstürmt, ries
todesblaß ein hereinstürzender Höfling, und klirrend
lag die Platte, in viele Stücke zersprungen, auf
dem Parkettboden. Der Lakai fegte die Scherben
zusammen und warf sie auf den Kehrichthaufen.
Tausende drängten sich auf dem Grsve-Platze,
wo die Guillotine ihr Werk verrichtete. Ein Schrei
der Wuth ging durch die Menge: auf dem Henkers-
karren saßen der hohe Herr und der Steuerpächter,
die Hände auf den Rücken gebunden, den Angst-
schweiß auf der Stirn. Zuerst fiel des Steuer-
pächters Haupt. Und nun schwankte die Stufen
des Schaffots hinauf der Herr, ein Bild des Jammers,
er, der Verführer, der Unbarmherzige. Ein altes
Weib griff in einen Mullhaufen und faßte die
Scherbe. Sie schrammte dem Verurtheilten die
Stirn, ein Blutstropfen stand darauf. Eine Minute
später hatte Samson seine Arbeit gethan.
Ein Andenken, zufällig aufgerafft, wanderte die
Scherbe von Hand zu Hand. Sie sah die Restau-
ration, die Februarrevolution, das Bürgerkönig-
thum, den Staatsstreich, die Wiederaufrichtnng der
Republik, — bis sie ein Enkel achtlos in die Rumpel-
kammer warf.
Dichter und fester häuft sich der Staub, Lage
auf Lage, und bald ist nichts mehr von der Scherbe
Brsorgnitz.
Gattin eines Reichstagsabgeordneten:
Ich habe so große Sorge um meinen Mann! Er
ist nach Berlin in den Reichstag gegangen, sitzt
daselbst im Zentrum, und es heißt jetzt, dort
fallen die Abgeordneten plötzlich um, wie
die Kranken in der Cholerazeit.
Arzt: Da seien Sie ruhig; die Abgeordneten
sind unverletzlich; wenn sie Umfallen, dann
erleiden nicht sie, sondern nur die Wähler den
Schaden. ._,
Reaktionärer Moßseufzer aus Zachsen.
!ckee, tveetz Gnebbchen, die Sozialen
Siegden bei de Landöagswahlen
Schon in Sachsen, Greiz un Hessen
Un — es is Sic wie besessen! —
Guckd Nler neierdings nach Gotha,
Stchd dord Bock als beeses Nota-
Bene in dein Landdagssaal, —
SXee, de weld wert» sozial!
Der neue Kurs.
A. : Was ist's denn nun mit Caprivi's neuem
Kurs?
B. : Der entwickelt sich immer deutlicher — zum
Konkurs.
Nu ftett’ Dir meine Lage vor! Stnjenommen, posito, jesetzt den Fall,
ick pumpe mir bet Fahrgeld bis nach Varzin, reise ooch wirklich hin, werde
von den Altreichskanzler zu dicke Erbsen un Sauerkohl injeladen, darf Rooch
schnappen, wenn er die lange Feife roocht — — mit Eenmal bin ick inter-
essant bei Disch un denn schmeißt er mir raus! Kannst Du et mir ver-
denken, dat ick mir erst vorsichtiger Weise bei jute Freinde, jetreie Nachbarn
unsoweiter darieber erkundije, ob ick interessant bin oder nich? Denn ick
will doch dat Jeld, wat ick mir miehsam zusammenpumpe, nich unnütz weg-
schmeißen, blos um mir rausschmeißen zu lassen, wobei man denn vielleicht
noch eenen Tritt mit die beriehmten Kierassierstiebeln kriegt, bet man sechs
Wochen Kreizschmerzen hat. Denn der Deibel trau den Äptheker, so'n Kerl
hat in jeden Kasten wat.
Aber ick jloobe, Du denkst jetzt, wo ick Dir in meinen Plan injeweiht
habe, janz jemiethlich bei Dir: „Wat bet Interessante anbelangt, da braucht
sich Jotthilf nu wahrhaftig keene jrauen Haare wachsen zu lassen; Hans
Blum is ja ooch blos moralisch rausjeschmissen worden, un wat der kann,
na, bet können wir doch zehnmal!" Vielleicht hast De recht, lieber Jacob,
un wo Du recht hast, da hast De recht, bet bestreit feen Mensch, oder er
mißte jrade keene Krempe an'n Hut haben. Aber wenn Du et mir nich
übel nimmst, werde ick mir die Sache noch 'n bisken überlejen, un wenn
De bis übermorjen Mittag keenen injeschriebenen Brief von mir hast, in
den ick zärtlichen Abschied von Dir nehme, denn bin ick vorläufig noch in
Berlin, un warte ruhig ab, ob der Altreichskanzler nich vielleicht mal bei
mir kommt, ick werde ihn ooch so gut bewirthen, wie et in meine Kräfte
steht, un zu hören soll er wat kriegen, wat er vielleicht in sein janzet Leben
noch nich jehört hat.
Doch weeßt De, Jacob, nu sangen de Dage an, wo Eenen de Beene
frieren, wenn man nich ordentlich inheizt. In seinen steifen Jrogk nimmt
der Jebildete jetzt lieber eenen Schuß Rum mehr rin, un davor kann bet
Jlas ooch denn een bisken jrößer sind. Denn sowat wärmt Herz un Nieren,
un wo se nu bald Widder de jeheizten Eisbahnen annonziren, da muß der
Mensch ooch vor innerliche Wärme sorjen, denn sonst hängt ihn leicht een
meterlanger Eiszappen von de Reese runter. Et is blos jut, dat der Reichs-
tag hier is, de Situation würde sonst doch zu frostig werden. Det Eenzige,
woran man sich bei die schlechte Zeiten noch wärmen kann, det sind die
Pleiten, die hier so mit mächtijen Pomp in Szene jesetzt werden. Eener
bemogelt den Anderen, un det nennen se in die feine Jejenden „Handel-
dreiben." Ick habe ja nu keene Angst vor det Pleitejehen, oh konträr det
Jejentheil, die Leite, die det richtig verstehen, die sollen immer noch eenen
bösen Posten Jeld dran verdienen. Schade, det ich so dämlich jeboren bin
un nischt zujelernt habe.
Ru, lieber Jacob, lebe wohl, denke immer jetzt schon an een passendet
Weihnachtsjeschenk vor mir, ick zerbrech' mir inzwischen wejen Dir ooch
schon den Kopp un verbleibe wie jeweehnlich, erjebenst un mit bitte Jrieße
Dein freier Jotthilf Naucke.
An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.
Belgisches.
A. : Was meinen Sie zu der lauten, stürmischen Art, wie die
belgischen Arbeiter das allgemeine Stimmrecht verlangen?
B. : Ich schließe daraus, daß die belgischen Machthaber schrecklich
schwerhörig sein müssen.
-»-
n Hodelspähne.
Man hörte in diesen Tagen
In Zeitungen allerlei
Gar Kluges reden und sagen
Von der Sozialistenpartei.
Um Eines nur allerwegen
War große Sorg' und Roth:
Man kann sie nicht widerlegen,
Drum schlägt man sie lieber todt.
*
Der alte Bismarck hat das große Verbrechen,
durch Fälschung der Emser Depesche den Krieg
heraufbeschworen zu haben, endlich eingestanden.
Er will, da ihn doch Niemand mehr als Heros
des Jahrhunderts anerkennt, wenigstens der
Herost rat os des Jahrhunders sein.
* *
*
Die Cholera ist nun verschwunden,
Die schreckliche Völkerplage.
Dafür hat sich eingefunden
Die Militärvorlage.
-I« *
*
Den Katholikentag in Leipzig haben die Schwarzen abgesagt; durch
ein Zusammentreffen mit Cohn auf der Michaelismesse fürchteten sie, ein
Olmütz zu erleben. * ^
Man macht fortwährend ein großes Geschrei,
Ob die deutsche Nation auch wehrfähig sei,
Darüber jedoch man gänzlich vergißt,
Daß sie nicht ausreichend nährfähig ist.
„Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage,"
Besonders auf dem Jnnungstage.
Eine große Erleichterung steht uns bevor, nämlich unsrer Taschen
durch neue Steuern.
Ihr getreuer
Säge, Schreiner.
aber der nahm sie aus sein Schloß, in blühenden
Gärten lieblich gelegen. Krystallklare Brunnen
springen, die geschornen Taxushecken grünen, der
Jasmin duftet, und die Höhen sind in den blauen
Duft der Abenddämmerung getaucht. Ach, sie ist
so jung, und ihr Blut pulst lebenswarm durch die
Adern, und er versteht die Kunst zu verführen.
Die Scherbe war damals auch noch jung und ein
Theil der köstlichen Platte, auf der zwei blinkende
Spitzgläser voll Chperwein funkelten. Das Mädchen
sah bebend auf die Platte, und gerade auf den
Schäfer und die Dame fiel ihr Blick, die so kunst-
voll aus die Scherbe gemalt waren.
Und als der Morgen kam, da war das junge
Dings die Geliebte des gnädigen Herrn und lachte
und weinte, bis er kam. Er eilte täglich zu ihr,
die ersten Wochen, — bis er eine Andere fand.
Wieder saßen sie zusammen, und er schlug ihr vor,
sie solle seinen Stallmeister heirathen, den alten
Wüstling mit dem frechen Blick und dem schlottern-
den Gang, eine standesgemäße Versorgung. Er
ging, sie blieb allein und goß mit zitternder Hand
sich in das Spitzglas, aus dem sie zum ersten Mal
mit ihm getrunken, die Tropfen, die sie in dem fein-
geschliffenen Flacon schon lange aufbewahrt. Ein
Tropfen fiel auf die Platte und entfärbte den Spitzenrock
des Rokokoschäsers, und viele Thränen fielen aus die
Scherbe. Man stirbt nicht leicht, wenn man jung ist.
Als die Selbstmörderin eingescharrt war hinter
der Hecke, wo eine uralte Linde ihren Wipfel empor-
streckt, kam er, der Herr, wieder und sah die Platte
mit bösen Augen an. Sie erinnerte ihn an dies
und an das und er zürnte nicht sich, denn er
handelte immer gut, sondern der dummen Platte.
Mit der Reitpeitsche schlug er nach ihr, daß es einen
hellen Klang gab, wie eine zersprungene Saite. Der
galonirte Diener nahm die Platte und trug sie
hinaus. Sie kam auf den Tandelmarkt, und ein
Trödler, der mit seinem Porzellan handelte, erstand
sie für ein Billiges. Sorgsam wurde sie gekittet,
so daß nur dem geübten, mit künstlichem Glas
bewaffneten Auge des Kenners der behutsam geleimte
Riß sichtbar ward. Ein reicher Emporkömtnling
kaufte sie, der als Steuerpächter die Armen aus-
geplündert halte und in seinem Landhause zu Ver-
sailles prächtiger lebte als der Graf von Artois.
Seine Frau war ein schnippisches, hochmüthiges,
bettelarmes Edelfräulein aus der sonnigen Touraine,
das die zehnfache Million geheirathet hatte und
ihren Dummkopf von Gatten mit den Kavalieren
des Hofes munter betrog. Während der nach Paris
zu seinem Bankier fuhr, tändelte sie mit dem ordens-
geschmückten Marquis und den feinen Abbss, und
ihr eifrigster Verehrer war der frühere Besitzer der
Platte, der kannte sie aber nicht, trotzdem ihm täg-
lich darauf der Pekkoblüthenthee servirt wurde.
Eines Tages, als der hohe Herr die Frau des
Emporkömmlings besuchte und diese ihm auf der
schönbemalten Platte die Theetasse reichte, hallten
die Sturmglocken, von fernher drang Schießen und
Stimmengewirr. Die Bastille ist erstürmt, ries
todesblaß ein hereinstürzender Höfling, und klirrend
lag die Platte, in viele Stücke zersprungen, auf
dem Parkettboden. Der Lakai fegte die Scherben
zusammen und warf sie auf den Kehrichthaufen.
Tausende drängten sich auf dem Grsve-Platze,
wo die Guillotine ihr Werk verrichtete. Ein Schrei
der Wuth ging durch die Menge: auf dem Henkers-
karren saßen der hohe Herr und der Steuerpächter,
die Hände auf den Rücken gebunden, den Angst-
schweiß auf der Stirn. Zuerst fiel des Steuer-
pächters Haupt. Und nun schwankte die Stufen
des Schaffots hinauf der Herr, ein Bild des Jammers,
er, der Verführer, der Unbarmherzige. Ein altes
Weib griff in einen Mullhaufen und faßte die
Scherbe. Sie schrammte dem Verurtheilten die
Stirn, ein Blutstropfen stand darauf. Eine Minute
später hatte Samson seine Arbeit gethan.
Ein Andenken, zufällig aufgerafft, wanderte die
Scherbe von Hand zu Hand. Sie sah die Restau-
ration, die Februarrevolution, das Bürgerkönig-
thum, den Staatsstreich, die Wiederaufrichtnng der
Republik, — bis sie ein Enkel achtlos in die Rumpel-
kammer warf.
Dichter und fester häuft sich der Staub, Lage
auf Lage, und bald ist nichts mehr von der Scherbe
Brsorgnitz.
Gattin eines Reichstagsabgeordneten:
Ich habe so große Sorge um meinen Mann! Er
ist nach Berlin in den Reichstag gegangen, sitzt
daselbst im Zentrum, und es heißt jetzt, dort
fallen die Abgeordneten plötzlich um, wie
die Kranken in der Cholerazeit.
Arzt: Da seien Sie ruhig; die Abgeordneten
sind unverletzlich; wenn sie Umfallen, dann
erleiden nicht sie, sondern nur die Wähler den
Schaden. ._,
Reaktionärer Moßseufzer aus Zachsen.
!ckee, tveetz Gnebbchen, die Sozialen
Siegden bei de Landöagswahlen
Schon in Sachsen, Greiz un Hessen
Un — es is Sic wie besessen! —
Guckd Nler neierdings nach Gotha,
Stchd dord Bock als beeses Nota-
Bene in dein Landdagssaal, —
SXee, de weld wert» sozial!
Der neue Kurs.
A. : Was ist's denn nun mit Caprivi's neuem
Kurs?
B. : Der entwickelt sich immer deutlicher — zum
Konkurs.