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1526

kam Lawroff nach Paris und schloß sich der Internationale an.
Während der Belagerung der Stadt durch die Deutschen und der
Kommunekämpfe war er mit großer Aufopferung und Umsicht im
Sanitätskorps thätig. 1872 ging er nach Zürich und übernahm die
Redaktion der neugegründeten sozialistischen Zeitschrift „Wperiod"
(Vorwärts). Er vertrat in ihr den Sozialismus der Internationale
und empfahl den russischen Revolutionären, ihr Ziel dadurch zu
erreichen, daß sie die Masse über die sozialistischen Ideen aufklärten.

Nicht nur durch seine Schriften, auch durch sein Wort wirkte
Lawroff erzieherisch auf die russische revolutionäre Jugend ein. Er
organisirte in Zürich Vorträge und Vorlesungen über Geschichte. Philo-
sophiere. und bildete durch sie. sowie durch seinen persönlichen Umgang
ebensowohl den Geist, wie den Charakter der jungen Männer und
Mädchen, die sich um ihn drängten. Seinem Einfluß ist es zum
großen Theil zuzuschreiben, daß die leidenschaftlichen und thatfreudigen
jungen Träger der russischen revolutionären Bewegung nicht ins Fahr-
wasser des bakunistischen Anarchismus geriethen.

Später ließ sich Lawroff in Paris nieder. Hier lebte er ganz seinen
wissenschaftlichen Studien und Arbeiten.. Auf Betreiben der russischen
Regierung wurde er 1882 aus Frankreich ausgewiese». Anlaß zu der
schmachvollen Maßregel bot eine Sammlung, welche Lawroff für die
Opfer des russischen Despotismus eröffnet hatte. Die feile Liebedienerei
einer „republikanischen" Regierung vor dem halbasiatischen Zarismus
rief einen Sturm der Entrüstung hervor. Die bürgerlich Radikalen,
deren Demokratismus noch nicht in fetten Stellen und Trinkgeldern ver-
loren gegangen war. und angesehene wissenschaftliche Körperschaften,
denen Lawroff angehörte, forderten energisch eine Zurücknahme der Aus-
weisung. Die Regierung mußte sich nolens volens zu ihr bequemen
und Lawroff kehrte nach Paris zurück.

Bald darauf (1883) gründete die heldenhafte Partei der „Narodnaja
Wolja" ein wissenschaftliches Organ, den „Wjestnik Narodnoi Woli"
(Bote des Volkswillens), dessen Redaktion Lawroff übertragen wurde.
Auch in dieser Zeitschrift (1863—1887) suchte er das Verständniß der
sozialistischen Ideen zu fördern. Den gleichen Zweck verfolgte er in
mehreren Broschüren, sowie in wissenschaftlichen Artikeln, welche er

-

unter verschiedenen Pseudonymen in der russischen liberalen Presse
veröffentlichte. Den größten Theil seiner Zeit und Kraft widmete er
jedoch nach dem Eingehen des „Wjestnik" der Förderung seines Haupt-
werks: „Versuch einer Geschichte des Gedankens der Neuzeit", das 1888
zu erscheinen anfing und glänzendes Zeugniß ablegt von der reichen
Fülle der Kenntnisse des Verfassers auf den verschiedensten Gebieten
des Wissens. Daneben fand und findet Lawroff Muße, ausgedehnte
gelehrte Studien zu treiben, insbesondere aber die sozialistische Literatur
und die sozialistische Bewegung in allen Ländern aufmerksam zu ver-
folgen.

In einem abgelegenen Winkel von Paris lebt still und zurück-
gezogen der noch rüstige Siebzigjährige, dessen hohe, ungebeugte
Gestalt durch ihre stramme Haltung den ehemaligen Militär verräth.
Unter den buschigen weißen Brauen blicken gar mild und gutmüthig
die Augen, welche von vielem Studiren fast blind geworden sind.

Die enge Wohnung, vor deren Fenstern Bäume rauschen und die bis
in jede Ecke mit Büchern gefüllt, ja überfüllt ist. ist noch heute ein
Zufluchtsort, wo sich mancher Vorkämpfer, manche wackere Streiterin
der russischen Bewegung Rath und Trost holt.

Entbehrungen der härtesten Art haben Lawroffs Charakterkraft
nicht zu brechen vermocht, die bittersten Enttäuschungen schwächten
nicht seine begeisterte Hingabe an den Sozialismus, seinen festen
Glauben an dessen endlichen Sieg.

- Die Bedeutung, welche Lawroff als Gelehrten zukommt, das was
er für die russische revolutionäre Bewegung geleistet hat. sichern ihm
für immer einen Platz in der Geschichte, sichern ihm aber auch für
immer die dankbare Anerkennung und Sympathie Aller, welche mit
ihm dem gleichen Ziele zustreben: der Befreiung der arbeitenden, aus-
gebeuteten. geknechteten Masse. Mit den Trägern der russischen Be-
wegung zusammen grüßt das kämpfende Proletariat aller Länder den
Veteran des russischen Sozialismus an seinem siebzigsten Geburtstag,
ehrt es in ihm den Mann, der durch sein Wort und sein Beispiel
mehrere Generationen der russischen gebildeten Jugend zum edelsten i
Streben erzogen und zum Kampfe für Volkswohl und Volksfreiheil
geführt hat. c. z.

<•---:--—-

-E- Die Freiheit»

Sin wilder Kttabe bin ich noch gewesen.

> Mit scheuem Blick und krausem, dunklem Haar.
Da hat die Göttin hehr und wunderbar
Zu ihrem künft'gen Kämpfer mich erlesen.

Sie beugte still sich über meinen Schlummer
Und hauchte einen Kuß auf meine .Stirn;

Der brannte fort seitdem in meinem Hirn
Bei Tag und Nacht. in Jubel und in Kummer.

Und als der Traum, mit dem das Schicksal segnet
Die Rinderzeit, für immer ausgeträumt.

Da hat mein Herz sich zornig aufgebäumt.

Ivo es dem Druck, der Tyrannei begegnet;

Und wo die Herrschsucht unerbittlich thronte.

Da ward die wctterbraune Wange blaß
Und nur gesunder, echter war mein Haß.
weil er im Herzen eines Knaben wohnte.

Leichter als Staub wog der Verzicht auf Lhren,

Unf Ruhm und Gold und Ruhe für mein Herz;

Ich gab sie lächelnd hin — nur einem Schmerz
Von rein'rer Art vermocht' es nicht zu wehren.

Als klein und schwach mußt' ich mich selbst erkennen.

Und wünschte doch in meine Kaust den Blitz.

Den rächenden, um auf dem goldnen Sitz
Die Tyrannei vernichtend zu verbrennen.

Im Aug' der Kreiheit zählt' ich jede Thräne
Um einen treuen, frühgeknickten Sohn
Und warf im Lied der jungen Seele Hohn
Den Sklaven und Tyrannen in die Zähne.

Dem Lied erstarkten allgemach die Schwinge».

Und ich erkannte, wilder Kreude voll.

Daß mir in Bitterkeit und Grimm und Groll
Lin Trost geblieben war: ich konnte singen!

Und niemals anders ist mein Lied erklungen.

Als mich's das Herz, das pochende, gelehrt;

Das war die Waffe, die ich heiß begehrt.

Und unermüdlich Hab' ich sie geschwungen.

Ls riß mich fort — vermag denn auch zu weichen
Aus Reih und Glied, wer für die Kreiheit ficht?
wer ihr geschworen, zählt die Narben nicht.

Die ihrer Kämpfer stolze Lhrenzeichen.

Und es ist wahrlich leicht, den Schwur zu halten
Im Kampfgewühl, in Sturm und Sonnenbrand,
Kür den. der ein Mal voll und tief empfand
Des Kreiheitszaubers ungebrochnes Walten,
wir Alle. Alls wollen nicht — wir müssen.

Die Kreiheit. die dem Knaben auf die Stirn
Den Kuß gehaucht — wenn ausgebrannt das Hirn.
Soll sie zum Lohn den Mund des Codten küssen.

.—

H. t.
 
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