1619
in Berlin die Trikolore und in Paris die rothe Fahne getragen, ich
habe Julius Cäsar gerichtet, Bismarck abgesetzr und Windthorst be-
graben. Ich zertrümmere die stärkste Eisdecke und fürchte den stärksten
Absolutismus nicht —"
„Ich entziehe dem Redner das Wort!" rief der Vorsitzende, sich
erhebend und voller Wuth mit der Glocke läutend.
„Das geht wirk-
lich zu weit", schnarr-
te der Herr von Ja-
nuar, „man sollte
denken, man wäre in
einer sozialdemokrati-
schen Versammlung."
Kommerzienrath
Februar nickte, der
November eilte her-
bei und sagte, er
werde einen Antrag
Einbringen, um in Zu-
kunft solche Exzesse
zu verhüten. Der
März setzte sich, dem
Hofrath Dezember ei-
nen zornigen Blick
zuwerfend, auf seinen
Platz nieder, der Mai
drückte ihm warm die
Hand.
Das Wort erhielt
nun April, den man
den Bennigsen der
Monate nennt, weil,
er weder kalt noch
warm ist. Er be-
mühte sich, seinem
Antlitz einen recht
staatsmännisch ver-
zwickten Ausdruck zu
geben und begann:
„Meine Herren!
Die lichtvollen Aus-
führungen unseres
verehrten Herrn Prä-
sidenten überheben
mich der Mühe, viel
zu sagen, wenn ich
auch nicht in allen
Punkten diesen Aus-
führungen unbedingt
beistimme —"
„Oho!" rief Herr
von Januar.
„Noch weniger,"
fuhr April fort, „kann
ich aber die Brand-
rede des Herrn März
billigen. Es ist ja
ganz schön, daß die
armen Leute Noth
leiden, aber sie soll-
ten doch nicht glauben, daß sie das Recht haben, Hilfe zu verlangen —"
„Das ist eine Gemeinheit!" rief der März.
Der Präsident rügte diesen unparlamentarischen Zwischenruf, aber
die Unruhe nahm zu und der April schloß, nachdem er noch mehrfach
unterbrochen worden war, unter allgemeiner Unaufmerksamkeit.
„Es ist von Herrn November der Antrag gestellt worden, die
Monate März und Mai aus dem Jahresverbande auszuschließen",
verkündete der Präsident.
„Unterstützt", schnarrte Herr von Januar.
„Pfui!" rief der Juni.
„Abstimmen! Abstimmen!" schrie der Kommerzienrath Februar.
Die Abstimmung
ergab die Annahme
des Antrags mit zwei-
drittel Majorität;
Juni hielt zu den
Ausgeschlossenen,
April hatte sich der
Stimmabgabe ent-
halten.
März und Mai
blieben hohnlachend
sitzen. Der Vorsitzende
erhob sich, um den
Bann über sie aus-
zusprechen.
Da plötzlich tönte
draußen das Geläute
vieler Glocken, mit
Jubelrufen unter-
mischt.
Die Thüre flog
auf und herein trat
eine schöne, majestä-
tische Frauengestalt.
Es war die Weltbe-
herrscherin, die Zeit,
und es folgten ihr
Schaaren jubelnder
Menschen, welche sich
beglückwünschten und
mit erhobenen Poka-
len sich gegenseitig
„Prosit Neujahr!"
zuriefen.
Vor dem Herr-
scherblicke der Zeit
duckte sich der eben
noch so stolze Prä-
sident Dezember und
sank in die Kniee.
„Was treibt Ihr
hier?" fragte die
Zeit. „Ihr gehört
der Vergangenheit an
und wollt über die
Zukunft bestimmen?
Ihr wollt einen Bann
aussprechen und seid
doch selbst nur dein
Urtheil der Geschichte
unterworfen! Was
EureNachfolger brin-
gen, ruht noch un-
bekannt im Schooße
der Zukunft. Möge es Besseres sein, als die Monate von 1893 ge-
bracht haben. Und nun hinweg mit Euch!"
Da verschwand das Kollegium, welches eben noch so eifrig debattirt
hatte, und mit Glockenton und Gläserklingen trat das Jahr 1894
seine Herrschaft an. ^
in Berlin die Trikolore und in Paris die rothe Fahne getragen, ich
habe Julius Cäsar gerichtet, Bismarck abgesetzr und Windthorst be-
graben. Ich zertrümmere die stärkste Eisdecke und fürchte den stärksten
Absolutismus nicht —"
„Ich entziehe dem Redner das Wort!" rief der Vorsitzende, sich
erhebend und voller Wuth mit der Glocke läutend.
„Das geht wirk-
lich zu weit", schnarr-
te der Herr von Ja-
nuar, „man sollte
denken, man wäre in
einer sozialdemokrati-
schen Versammlung."
Kommerzienrath
Februar nickte, der
November eilte her-
bei und sagte, er
werde einen Antrag
Einbringen, um in Zu-
kunft solche Exzesse
zu verhüten. Der
März setzte sich, dem
Hofrath Dezember ei-
nen zornigen Blick
zuwerfend, auf seinen
Platz nieder, der Mai
drückte ihm warm die
Hand.
Das Wort erhielt
nun April, den man
den Bennigsen der
Monate nennt, weil,
er weder kalt noch
warm ist. Er be-
mühte sich, seinem
Antlitz einen recht
staatsmännisch ver-
zwickten Ausdruck zu
geben und begann:
„Meine Herren!
Die lichtvollen Aus-
führungen unseres
verehrten Herrn Prä-
sidenten überheben
mich der Mühe, viel
zu sagen, wenn ich
auch nicht in allen
Punkten diesen Aus-
führungen unbedingt
beistimme —"
„Oho!" rief Herr
von Januar.
„Noch weniger,"
fuhr April fort, „kann
ich aber die Brand-
rede des Herrn März
billigen. Es ist ja
ganz schön, daß die
armen Leute Noth
leiden, aber sie soll-
ten doch nicht glauben, daß sie das Recht haben, Hilfe zu verlangen —"
„Das ist eine Gemeinheit!" rief der März.
Der Präsident rügte diesen unparlamentarischen Zwischenruf, aber
die Unruhe nahm zu und der April schloß, nachdem er noch mehrfach
unterbrochen worden war, unter allgemeiner Unaufmerksamkeit.
„Es ist von Herrn November der Antrag gestellt worden, die
Monate März und Mai aus dem Jahresverbande auszuschließen",
verkündete der Präsident.
„Unterstützt", schnarrte Herr von Januar.
„Pfui!" rief der Juni.
„Abstimmen! Abstimmen!" schrie der Kommerzienrath Februar.
Die Abstimmung
ergab die Annahme
des Antrags mit zwei-
drittel Majorität;
Juni hielt zu den
Ausgeschlossenen,
April hatte sich der
Stimmabgabe ent-
halten.
März und Mai
blieben hohnlachend
sitzen. Der Vorsitzende
erhob sich, um den
Bann über sie aus-
zusprechen.
Da plötzlich tönte
draußen das Geläute
vieler Glocken, mit
Jubelrufen unter-
mischt.
Die Thüre flog
auf und herein trat
eine schöne, majestä-
tische Frauengestalt.
Es war die Weltbe-
herrscherin, die Zeit,
und es folgten ihr
Schaaren jubelnder
Menschen, welche sich
beglückwünschten und
mit erhobenen Poka-
len sich gegenseitig
„Prosit Neujahr!"
zuriefen.
Vor dem Herr-
scherblicke der Zeit
duckte sich der eben
noch so stolze Prä-
sident Dezember und
sank in die Kniee.
„Was treibt Ihr
hier?" fragte die
Zeit. „Ihr gehört
der Vergangenheit an
und wollt über die
Zukunft bestimmen?
Ihr wollt einen Bann
aussprechen und seid
doch selbst nur dein
Urtheil der Geschichte
unterworfen! Was
EureNachfolger brin-
gen, ruht noch un-
bekannt im Schooße
der Zukunft. Möge es Besseres sein, als die Monate von 1893 ge-
bracht haben. Und nun hinweg mit Euch!"
Da verschwand das Kollegium, welches eben noch so eifrig debattirt
hatte, und mit Glockenton und Gläserklingen trat das Jahr 1894
seine Herrschaft an. ^