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— 1743

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Ja, Jockel der Vierundvierzigste war ein weiser Regent, ein treff-
licher Vater, ein glücklicher Gatte.

Sein liebliches Ehgemahl war aus weiter Ferne zu ihm ge-
kommen, und Euphrasia hieß sie. Dabei war sie eine Frau, die den
Geist der Ausklärung mit vollen Zügen eingesogen hatte und frei
von Vorurtheilen. Ihr Herz umfaßte die ganze Welt, soweit sie
jung war und Schnurrbärte trug.

Doch in jenen Tagen, wo die Nacht des Mittelalters noch
auf die Köpfe drückte, wo der Jude nur geduldet, ein Mensch
zweiter Klaffe, durch Deutschlands Gauen irrte, zeigte die Gaugräfin
Euphrasia, weß Geistes Kind sie war. Sie antizipirte edelmüthig
die Judenemanzipation, und um den christlich-arischen Eiferern zu
zeigen, was recht und billig sei, schenkte sie ihr Herz dem Judenbaron
von Teiteles.

Teiteles war ein vielgewandter Hebräer, ein Geldmann, den
irgend ein für eine gelungene Anleihe dankbarer Fürst geadelt hatte.
Er lieh auf Zinsen und
besorgte für in- und aus- . -ä'-

ländische Monarchen, für
Prätendenten und Kron-
prinzen rc. den sündigen
Mammon. So ging er
denn auch im Hechselsinger
Schlosse aus und ein. Groß
war er und breitschultrig,
schwarze Locken krausten
sich auf seinem Haupt,
kühn und vielversprechend
sprang die Adlernase aus
dem scharf geschnittenen
Antlitz. Die Beine aber
bogen sich, entgegen den Ge-
setzen germanischen Wachs-
thums, etwas säbelartig
nach innen.

Jockel mochte den
Judenbaron — so hieß
Teiteles inHechselfingen —
gar sehr leiden und war
ihm gewogen. Euphrasia
klopfte das Herz, wenn
sie seinen Schritt hörte.

Er durfte unangemeldet
zu jeder Tageszeit in der

Gaugräfin innerste Ge- Muckenschnabels Siegoszug.

mächer treten, mit holden:

Lächeln von der wissenden
Kammerfrau empfangen.

Herrschte denn auch nach Jahresfrist Jubel in der ganzen Grafschaft,
hundertundein Kanonenschüsse wurden gelöst, in den Kirchen wurden
die Glocken geläutet und Messen gelesen, das Tedeum ward gesungen.
Ein Erbgräflein war geboren worden, und die Unterthanen waren
glücklich. Es war groß und breitschultrig, schwarze Locken krausten sich
auf seinem Haupt, kühn und vielversprechend sprang die Adlernase aus
dem scharfgeschnittenen Antlitz. Die Beinchen aber bogen sich, eillgegen
den Gesetzen germanischen Wachsthums, etwas säbelartig nach innen.
Wenn das Erbgräfchen, getragen von einer stattlichen, blonden, hoch-
busigen Amme aus dem Waldbezirk, spazieren gefahren wird, tritt
die Wache ins Gewehr, die Trommeln wirbeln und der schnauzbärtige
Sergeant brummelt in den Bart: Muß ich schon wieder präsentiren
vor dem „Jüdchen". So hieß das Volk den edlen Sprossen aus der
Ehe Jockels und Euphrasias.

Am Hechselsinger Hof gab es eine Junkerpartei, die über Jockels
Liberalismus empört war und die Zustände wie vor dem Napoleoni-
schen Wirbelsturm wieder einführen wollte. Der schlossen sich die
Offiziere des stehenden Heeres an, die aus den adligen Geschlechtern
Hechselfingens entsprossen waren und über den Zeitgeist schimpften,
der das Liebesprivileg, das sonst nur das adlige Offizierskorps bei
der Gaugräfin genossen hatte, auf den Judenbaron heruntergebracht
habe. Führer der Fronde war ein Vetter Jockels, der Raugras

„Hep, hep! Vor dem Gaugrafen sein' Ehr'!
Uf die Judeh —!"

Louis. Die Edelsten und Besten verschworen sich, dem furchtbaren
Treiben des Umsturzes Einhalt zu thun, die Ordnung, die Familie,
die Religion zu schützen. Das Gefäß war voll bis zum Ueberlaufen.
Hatte nicht der Major von Dachläufer gestern wieder eine Wette um
zehn Pistolen an den Teiteles verloren! Teiteles hatte aus die Farbe
des Kleides, das die Gaugräfin ain Abend auf dem Hofball tragen
werde, gewettet, und richtig, er hatte gewonnen. Euphrasia war in
theesarbenem Seidenkleids erschienen. Zog Teiteles nicht öffentlich,
in der Weinstube, auf der Promenade Zettelchen aus der Tasche und
lispelte mit leichtem Anstoßen der Zunge: Das ist von der Euphrasia!
Hölle und Teufel, das ging nicht weiter. Und debattirte nicht die
Kammer über die Judenemanzipation! Es galt einen Schlag zu führen,
der tödtlich traf.

Die Verschwörer hatten den besten Pistolenschützen, den Fähnrich
von Heuler, vorgeschickt, um dem Teiteles ans Leben zu gehen. Aber
ein Fremdling, der sich ins Mittel legte, schlug sich mit Heuler und
schoß ihn mausetodt, der Judenbaron aber blieb munter
am Leben. Der Raugras Louis berief seine Getreuen
und sprach: „Nur Eines hilft noch, die Revolution.
Am Abend des Verfassungsjubiläums putschen wir und
jagen ^en Judenbaron zum Teufel." Es lebe die Ord-
nung! riefen die Junker. Und so geschah es.

Die Dämmerung des Abends war kaum angebrochen,
als ein gewandter Lakai bereits den würdigen Mucken-
schnabel, den eben Amnestirten, in des Raugrafen Louis
Kabinet führte. Muckenschnabel zog den linken Fuß beim
Gehen ein wenig nach; die Springer, die er am Fuß
getragen, und die Klötze, die er im Zuchthaus am Beine
geschleppt, hatten ihre Spuren hinterlassen. In der
beweglich-langfingrigen Hand hielt er die
hohe Mütze mit breitem Schirm, und nülde
fiel das Licht des Kronleuchters aus den
glattgeschorenen Kopf.

„Muckenschnabel", rief
der Raugras, „ich weiß.
Du bist ein Patriot, Du
liebst Deine Heimath, Du
bist bereit, das Bestehende,
Thron, Altar, Eigenthum
und Familie, mit fester
Hand zu schützen." (Mucken-
schnabel hat mittlerweile einen
goldenen Theelöfsel, den der un-
vorsichtige Bediente ans dem Tisch
hat liegen lassen, in die Tasche
gesteckt.)

„Muckenschnabel, das
Vaterland baut auf Dich,
es ist in Gefahr und ruft
Dich, den trefflichsten seiner Söhne. Kamerad, vierzehn Jahrhunderte
schauen auf Dich herab. Die gesellschaftliche Ordnung, der öffentliche
Friede, die Krone, Muckenschnabel, bedarf Deiner und Deiner Freunde.
Auf, sammle die Befreundeten, rette den Staat!" (Muckenschnabel, er-
griffen, schnäuzt sich mit des Rangrafen Batisttuch die Nase und macht die Bewegung des
Geldzählens.)

Raugras Louis: „Wie viel? Hier hast Du zwanzig Louisdors.

(Will die Börse herausziehen und findet die Tasche leer. Kleine Pause.) O Dll Schelm,
Du Schäker Du! (Giebt ihm Geld aus einer Schatulle.) Die Losung heißt:
Hep! Hep! Ihr stürmt das Haus des Judenbarons. Was darin ist,
gehört Euch. Faßt ihn und (er macht die Handbewegung des Aufhäugens)-"

Zwei Stunden später drängen sich an die Hundert in der räucherigen,
engen Gaststube der Wirthschaft „Zur Blendlaterne", wo das Diebs-
gesindel von Hechselfingen, Zuhälter und Dirnen ihren Unterschlupf
haben. Ein halbes Dutzend Talglichter brennen auf den schmierigen
Tischen. Der Wirth, Tretmühlen-Huber, schenkt ein Glas Branntwein
nach dem anderen ein. Am Mitteltisch sitzt Muckenschnabel, ein derbes
Frauensmensch auf dein Schooß und lallt Koseworte, neben ihm sitzen
der Raugras und etivelche junge Lieutenants. In einer Viertelstunde
beginnt der Tanz. Junker und Muckenschnabel's Rotte verbrüdern
 
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