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• 1771

Er saß selig bei ihr auf dem niedrigen Schemel, wenn sie mit ihren weißen schlanken Fingern

ihm durch die Löwenmähne strich.

Wäre sie nicht so gewitzt und geschmeidig gewesen, die kleine
Französin, wie Sepp ungelenk und täppisch war, er hätte nimmer die
Angebetete kennen gelernt.

Jedoch Mademoiselle Therese war weltklug, und aus der Höhe,
da wo die Zahnradbahn, vom Drahtseil unterstützt, an steiler Berg-
wand emporklimmt, am kühn gespannten Brückenbogen wußte sie ihm
zu begegnen. Trefflich gepflegte Weinberge und blühende Gärten, wo
in süßer Fülle das Spalierobst im Sonnenschein wuchs, satte grüne
Wiesen lagen zu ihren Füßen, auf dem See zog ein einsames Segel,
und von ferne schimmerte der Firnschnee der Alpen. Das war ein
köstliches Duften und Wachsen, ein Grünen und Sprossen ringsumher,
in der warmen, linden Luft wiegten sich die Falter, die Liebe zog
sieghaft durch die Lande.

So fanden sie sich.

Therese suchte in den Bergen Erholung von den Strapazen der
weltstädtischen Winterzeit, und Sepp, das große Kind, der stattliche,
reine Mensch gefiel ihr. Eine Abwechslung nach den
geschniegelten, geputzten, marklosen Modeherren, die
ohne Sehnen und Muskeln, ohne Frische und ohne
Kraft sind.

So hatte sie sich vorgenommen, ihr Idyll zu
spielen, den ungelenken plumpen Bären zu zähmen, und
so geschah es.

Wie Sepp sie liebte! Tag und Nacht war sie sein
einziger Gedanke, die Sinne waren ihm verwirrt, die
beschauliche Ruhe seines Wesens war dahin. Nun die
erste Leidenschaft das Gleichgewicht seines Gemüthes
mit Einem Rucke gestört hatte, war er ein Anderer.

Nur manchmal noch faßte ihn eine bohrende, furcht-
bare Angst, diese Glückseligkeit, die ihn erfüllte, könne
aufhören. Dies wäre das Ende: nicht mehr in Ver-
zückung um sie sein, sie zu küssen, zu Herzen, das ist
der Tod.

Sie aber lachte ihm den Argwohn aus der Seele,
und er saß selig bei ihr auf dem niedrigen Schemel,
wenn sie mit ihren weißen, schlanken Fingern ihm durch
die Löwenmähne strich, das Haar muthwillig scheitelte
und dann um ihn herumtanzte, ihn an sich preßte und
ihn mit heißen Küssen berauschte.

Eines Tages aber merkte er, daß sie ihn betrog.

Mit einem Anderen, einem faden Gecken: Mademoiselle

liebte die Abwechslung. Er sah das Schreckliche, und
der Schlag traf ihn mit voller Wucht, ein Hammer,
betäubend, vernichtend. Er verspürte einen unsäglichen
Ekel, Alles war leer und öde und kalt; fort, fort. Alles
ist aus. Die Glieder waren ihm bleischwer, er schleppte
sich vorwärts in der milden Juninacht, wie ein
Trunkener. War er's denn, der hier ging unter rauschen-
den Bäumen, über sich das gestirnte Himmelszelt? Die
Welt war zerstört, er war todt, alle Hoffnungen ge-
storben, seine Träume lagen in Scherben. Auf der
Brust hockte ihm ein Alp und das Athmen wurde
ihm schwer, so schwer. Und was drückte ihm denn
die Schultern wund, welche Last trug er aus dem Rücken,
ein Kreuz, das er aus sich genommen? Ach, es war
der Kasten mit der Baßgeige. Richtig, das Konzert
war zu Ende gewesen, er war heimgegangen durch
den Park, da, in einem Seitenweg, wo die Flieder-
büsche standen, hatte er sie gesehen, in zärtlichem Ge-
kose mit dem Anderen.

Ein Ende machen, rasch, sogleich! Dort läuft
der Schienenweg der Uferbahn, durch die Nacht saust
der Zug, immer näher und näher kommt die keuchzende,
stampfende, tödtliche Maschine mit den feurigen Augen,
dem lohenden funkensprühenden Athem. Noch fünf
Sekunden! Die Böschung mit einem Satz hinauf und
auf die eiskalten glänzenden Schienen, dann ist's im
Augenblick geschehen. Ein Sprung, ein Krach, der ge-
waltige Zug saust knirschend, rasselnd, stöhnend dahin,
die Splitter fliegen, und ein einziger, schmerzlicher,
das Herz zerschneidender Ton, ein Wimmern, ein Abschied verklingt
in dem Lärm.

Sepp vergeht Hören und Sehen. Als er erwacht, von dem
Nachtthau durchnäßt, frierend, mit zerschlagenen Gliedern, ist Mitter-
nacht längst vorüber. Er lebt. Beim Sprung auf das Geleise war
er ausgeglitten, sein Instrument war auf die Schienen gerollt, es war
zermalmt worden, und er sah schaudernd, wie um Haaresbreite der
Tod an ihm vorbeigefahren war.

Kopf und Herz waren frei. Zürnend, wie ein von Liebesraserei
geheilter Halbgott, in flatternden Haaren, der saubere Leibrock zerfetzt
und beschmutzt, hob er sich von der Böschung, schlug sich vor die
mächtige Brust und rief:

„Sepp, was für ein Esel warst Du!" und wandte sich eilends
in die Berge.

Der Bahnwärter aber, der seine Strecke abschritt, schlug ängstlich
drei Kreuze, da er die gespenstische Gestalt erblickte, wie sie riesenhaft aus
 
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