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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 12.1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.8182#0014
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Zur Umsturz-Debatte. <-4^-

Shr armen braven Henkerßknechle,

Wie schleicht ihr so betrübt umher!
Daß Volk hat allzu viel der Rechte,

Rein Scheiterhaufen lodert mehr.

Ihr möchtet hangen, massairriren.

Wo frei sich regt der Menschheit Geist,
Doch ach! sogar daß Ronfißziren
Macht euch noch Schwierigkeit zumeist.

Gar zuchtloß ist die Welt von heute.

Man lacht dem Adel inß Gesicht,

Wenn er von seinem Recht auf Veute,

Von seinem schweren Math stand spricht.
Man hört vom Menschenrecht der Massen
Dabon selbst manche Leitung schreibt,

And Reinen darf man köpfen lassen.

Der solchen groszen Frevel treibt.

Gß darf mit seineß Geisteß Gaben
Jetzt Jeder wirken öffentlich.

Man darf sogar Gesinnung haben!

Gß ist wahrhaftig fürchterlich!

Inzwischen rostet in Museen
Daß Folterwerkzeug unberührt.

Auch werden Deutschlandß Bcrgeßhühen
Von keinem Galgen mehr geziert.

Mein, nein, so geht eß nicht mehr weiter!
Ihr Henkerseelen habt schon Recht;

So tretet denn alß tapfre Streiter
„Lum Schutz vor Umsturz" inß Gefecht.
Waß früher „Hetzerei" man nannte.

Ist jetzt alß „Umsturz" eingeschätzt.
Wofür man Menschen sonst verbrannte,
Soll strafen sie daß Luchthauß jetzt.

Der Scheiterhaufen ist vermieden.

Daß macht euch Schmerz! Gß ist darum
Mit dem Gesetze unzufrieden
Im höchsten Grad der Rünig Stumm.
Doch müszt ihr euch begnügen eben.

Mit dem, waß noch erreichbar heut,

Gß wird sich Mancheß drauß ergeben,
Waß euer frommeß Herz erfreut.

Mur Eineß nimmer wird geschehen.

Da gebet jede Hoffnung auf:

Mie wird man unterbrochen sehen
Deß Sozialißmuß Siegeßlauf.

Er macht daß böse Werk zu Nichte,

Darüber heut ihr haltet Rath,

And vor daß Forum der Geschichte
Verweist er eure Henkerthat. m. k

Deutsche Nationalhymne

nach Annahme Ler Umsturz-Vorlage.

(Melodie: ® Tannenbaum!)

V Gummischlauch, o Gummischlauch,

Wie liebreich ist dein Wirken!

Du bannst die Arbeitslosigkeit
Und lehrst dem Volk Zufriedenheit!

<$> Gummischlauch, o Gummischlauch,

Wie liebreich ist dein Wirken!

<S> Nilpferdpeitsch', o Nilpferdpeitsch',

Wie groß ist deine Zukunft!

Sonst herrschtest du in Kamerun,

Ganz Deutschland darfst du prügeln nun --
® Nilpferdpeitsch', o Nilpferdpeitsch',

Wie groß ist deine Zukunft!

V Staatsanwalt, o Staatsanwalt,

Wie bist du stark geworden!

Sonst nur Verbrecher traf dein Bann,

Jetzt greifst du Volksvertreter an.

V Staatsanwalt, o Staatsanwalt,

Wie bist du stark geworden!

V deutsches Land, o deutsches Land,

Wie tief bist du gesunken!

Sonst bargst du Geist und Poesie,

Jetzt bist du Sträflings-Kolonie.

$ deutsches Land, o deutsches Land,

Wie tief bist du gesunken!

Die Intentionen des neuesten Kurses.

„Wo will der,neueste Kurs' eigentlich hinaus?"
Das ist die große Frage, welche seit dem letzten
Kanzler- und Köllerwechsel alle Gemächer beivegt.

Die Antwort ist nicht leicht, und der „Wahre
Jacob" mußte alle seine weitverziveigten diplo-
matischen Beziehungen in Anspruch nehmen, nin

zuverlässige Aufklärung zu erhalten. Dank unserer
Verbindung init in- und ausländischen Höfen,
Ministern und Lukanussen sind wir jedoch in der
Lage, die Absichten des neuesten Kurses unseren
Lesern darzulegen.

Die ganze Sache läuft, wie man schon an
verschiedenen Anzeichen bemerken konnte, auf eine
Scheidung der Ehe zwischen Reichstag und Regie-
rung hinaus. Die Regierung ist des Reichstags
überdrüssig, weil er in der Bewilligung ihres
Nadelgeldes, das sie für buntes Tuch und blanke
Knöpfe braucht, so häufig knausert.

Es galt also, den Reichstag loszuwerden.
Dazu hatte der frühere „neue Kurs" nicht das
geringste Geschick, und deshalb mußte er fallen.
Caprivi hätte den Reichstag einfach aufgelöst;
dann wäre neu gewählt worden, und der lästige
Geselle war wieder da. Eulenburg hätte den
Reichstag lieber mittels Staatsstreich abgcschafft;
ein radikales Mittel, aber dazu wäre die Ein-
willigung der Schwiegerinutter, nämlich des
Bundesraths, nicht zu haben gewesen. Schwieger-
mutter Bundesrath fürchtet nämlich, daß sie eben-
falls „gegangen werden" könnte, wenn einmal in
dieser Weise aufgeräumt wird.

Es mußten also die großen Diplomaten Köller
und Hohenlohe ans Werk gehen, um den Reichstag
zu bändigen, und sie haben die Sache bereits mit
vielem Geschick begonnen. Ihr Plan ist, den
Reichstag weder aufzulösen, noch gewaltsam zu
zerschmettern, sondern ihn einfach von der Gesetz-
gebung wegzugraulen.

Schon bei der Lokalcinweihung wurde dies
markirt durch einen Strick, mittels dessen die
Reichstagsmitglieder in ihrem eigenen Hause von
der „höheren" Gesellschaft ferngchalten waren.

„Geht mir drei Schritt vom Leibe, Ihr stinkt
nach Volk", sagte die Hohenlohe'sche Diplomatie
durch diesen beredten Strick zum Reichstage.

Wer von den konservativen und liberalen
Größen, die doch auch gern „etwas sein" möchten,
konnte da noch Werth auf die Abgeordnetenwürde
legen?

Und wie konnte man dem Reichstag sonst
noch sein Dasein verleiden? Diäten hat er nicht,
die kann man ihm nicht nehmen; indessen — er
hat gebeten, wie früher auf allen deutschen Bahnen
gratis fahren zu dürfen. Ein bescheidenes Ver-
gnügen — aber er soll es doch mehr haben!

Wird abgelehnt! Seid froh, daß man Euch
| nicht im Viehwagen befördert.

Der Reichstag nimmt den Fußtritt bescheiden
hin, ohne zu mucksen, sein Stolz ist ja längst
gebrochen.

Was hat er nun noch zu verlieren?

Richtig — die Immunität! Das fehlte
noch, daß ein Volksvertreter immun sein sollte!
Immun sind ja nicht einmal die Gerichtsschreiber!

Der Hohenlohe trägt selbst den Zettel ins
Haus, welcher den Verlust der Immunität an-
kündigt, und der Köller bemerkt dazu: „Ob Euch
das paßt oder nicht, ist gleichgiltig; spätestens
nach Schluß der Session holt der Teufel Eure
immunen Abgeordneten und übergiebt sie denr
Richter."

Und der Reichstag? Was that er dagegen?

Er lief davon. Die große Umsturzvorlage
fand ein beschlußunfähiges Haus. So gründlich
hatte vor den Weihnachtsferien der Hohenlohe'sche
Kurs bereits mit dem Reichstage aufgeräumt.

Die Politik des Weggraulens der Volksver-
tretung wird daher nach diesen ersten Erfolgen
mit neuem Muthe fortgesetzt werden. Die Oppo-
sition wird allmälig nach Plötzensee übersiedcln,
die Nationalliberalen und das Zentrum aber
werden durch Erheben von ihren Sitzen für jede
neue Steuer stimmen, weil sie meinen, daß das
Sitzenbleiben nicht mehr zulässig ist, und wenn
 
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