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— 1870

Der Lalenburger (Lnöe.

von I. Sirach.

Dieses aber ist der letzte beglaubigte Streich der Lalenburger, wie
ihn die Geschichte der Stadt ausweist. Der Chronist Eusebius Pfütdigott
hat sie in die Pergamenthandschrift sorgsam eingezeichnet und die Initiale
erglänzt noch
heute in dem
frischen Farben-
schmuck, womit
sie vor vierhun-
dert Jahren der
kunstgewandte
Schreiber ver-
ziert hat. Und
unter die Er-
zählung hat er in
kühnen Schnör-
keln die Worte
gesetzt: Hier hat
dasLalenbnch ein
Ende, darunter
die aus dem
Lateinischen ver-
deutschte Doppel-
zeile:

Gottlob, das ist
der Mühsal
Schluß,

Der Schreiber
tanzt auf fro-
hem Fuß.

Es war im
Jahre des Herrn,
da begab es sich,

daß eine böse Zeit über die Lande kam, Zwist und Fehden, Brand,
Hungersnoth und ein großes Sterben. Ueber die Städte und Dörfer
flogen die grauen Teufelchen mit Spitzbärten, huschten dtirch die
Schlote, hüpften durch die Schlüssellöcher, spazierteit durch Keller mtb
Küche, Garten und Flur, Hof und Speicher, Kammer unb Erker.
Wohin sie aber kamen, begannen die Leute zu husten und zu krächzeit,
zu spucken und zu niesen, und die gelahrtesten Aerzte wußten deß
keine Abhilfe zu thnn. Nannten es die Grippe, das Volk aber hieß
es kurzlveg den Pfnüssel. Der Pfnüssel aber
trübte Atige und Verstand. Am Abendhimmel
aber ward ein Komet gesehen, ein Wunderthier
mit drei Schwänzen, lang, feurig, eine Geißel
Gottes, die Kirschen blühten schon im März,
ein schwarzer Kater fuhr nächtens auf einem
Besenstiel durch die Luft, ein berüchtigter Raub-
ritter war ins Kloster gegangen, zwei Advokaten
in Lalenburg hatten einen fetten Streithandel
ohne Verzug zu Ende geführt, der lange David
lieh auf Pfänder blos für dreißig Prozent, kurz,
es geschahen Zeichen und Wunder.

Da aber kam die größte Noth der Zeit.

Der Chronist Eusebius schreibt über die große
Plage:

„Gestiefelt und gespornt erscheinen sie, die
von aller Welt Liebesgaben haben wollen, auf
der öffentlichen Bühne, schlagen mit der Faust
auf den Tisch, sagen allen Widersachern Fehde
an und begehren, daß die Welt sich forme nach
ihrem Bilde. Werden sie hier zurückgewiesen,
so erscheinen sie desto aufdringlicher dort, erfüllen
mit wüstem Lärm die Luft, und ihr ohr-
zerreißendes Geschrei ist nur auf einen Ton ab-
gestimmt:

,Gieb, gieb, giebll"

In dichten Schwärmen treten sie auf, wie die Heuschrecken oder
die Wanderratten, die Rebläuse oder Koloradokäfer. Auf einmal
wimmeln sie ans Halm und Ar, auf Baum und Weide, auf Wiesen
und Hecken. Wie ein grauer Schleier umwölken sie den Horizont,
durchschwirren die Luft und besiedeln die Ackerfurche und den Hausflur
des friedlichen Bürgers, Tisch und Schrein, Estrich und Speicher,
Küche und Keller, ungebeten, ungeladen, zu Hunderten. In allen
Ecken und Winkeln, in allen Rinnen und Röhren schwärmen und
schweifen sie.

Wo der ArbeitsmLNn das Gläschen Schnaps zum Munde führt,
in der Pause mühseliger Arbeit, während der Schweiß über die sorgen-
gefurchte Stirn rinnt und die Linke das Werkzeug nicht losläßt, da
drängt sich in widrigem Gewühl das Geziefer und heult ihr Liebes-
gabenlied.

Sieh, die Mutter in der Dachstube, die für die Ihren sich Tag
und Nacht quält und die Nadel führt, Hemden für Spottlohn zu nähen.
Sie schneidet den Kindern die trockene Scheibe Brot, sorgsam abzirkelnd;
denn kargen muß sie blutenden Herzens, und theuer ist das tägliche
Brot. Gierig aber kreischt der wüste Chor, daß der Zoll viel zu
niedrig sei, und daß der Teufel die Handelsverträge holen solle, die sie
um den höheren Satz gebracht. Aus dem Gewalthaufen fistulirt ein
schnarrender Ober-Heuschreck von der Ruchlosigkeit der Räthe und der
Regierung, die das Getreiden:onopol verschmäht. Und die gemeinschäd-
lichen Grashüpfer geigen mit dem Schenkel der Hinterbeine an die
Flügeldecken, daß es schrillt, und jammern über die Schlechtigkeit der
Menschen. Wär' es nicht schön gewesen, das Handelsgeschäft, der Staat
als Oberverschleißer, der zu Wucherpreisen das Brotkorn abgiebt an die
elendige Stenerzahlerbagage. Derweil verlnstiren sich die Plaggeister an
diesem Aushungerungsvertrag und setzen ihr Getreide ab zu angemessenen
Preisen.

Ist nicht das ganze Gefilde bereits von der schrecklichen Plage ab-
gegrast, ist nicht das schöne Land von ihnen kahlgefressen, daß die Nation
brachliegt wie eine müde, durch Raubbau erschöpfte Ackerflur? Kein
frisches Grün, kein Laubblatt, das sie nicht benagt, kein Baum, dem
sie nicht die Lebenskraft versehrt, kein Armer, dem sie nicht den letzten
Heller ans dem Sack geholt haben.

Sie tasten die Volkskraft in ihren Wurzeln an, sie spielen die erste
Geige überall und allezeit, und Hohn sprechen sie allen Forderungen
der Masse. Unter den Lalenburgern aber gährte es damals heftig,
entlaufene Mönche predigten Ungehorsam, das gemeine Volk rottete
sich zusammen, schrie, den Herren-Geschlechtern schmecke sein saurer
Schweiß süß, und war ein Rumoren von Wiedertaufe und Ge-
meinschaft der Güter. Derweil fraß die Plündererschaar das Land
immer kahler.

Die Luft schwirrte von den Heuschrecken, eine saß auf der Perrücke des Bürgermeisters und geigte,

daß es eine Lust war.
 
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