Aach 6cm Diner.
Der Staatsanwalt machte eine Kunstpanse, nippte von dein Wasser-
glase, das vor ihm stand nnd fuhr sich mit dem seidenen Tuche leicht über
den kühnen, sorgsam gedrehten Schnurrbart. Im Sitzungssaale herrschte
eine schwüle Spannung, wie vor einem Gewitter, Niemand regte sich,
nur der alte Gerichtsdiencr hüstelte hinter der vorgehaltenen Hand.
„Darum, hoher Gerichtshof", setzte plötzlich der öffentliche Ankläger
ivieder ein, und die Stimme klang >vie Glas so hell bis in die letzten
Winkel des weiten Raumes, „gilt cs diesmal ein Exempel zu statuiren
und die Friedensstörer, die maulwurfsgleich das Fundament von Religion
nnd Familie, von Ordnung und Eigenthum unierwühlcn, die die sittlichen
Grundlagen unseres Staates leugnen und mit revolutionärem Hohn wider
die Heiligkeit der Gesetze freveln, mit aller Schärfe zu treffen. Kein fal-
sches Mitleid, es wäre thörichte Sentimentalität, keine unangebrachte Milde,
sie märe eine schwere Schuld gegen die Stützen der Gesellschaft. Wie ein
kunstvoller Bau durch Träger und Balken, Klammern und Pfeiler sich
unter einander hält und erhält, so daß die Entfernung auch nur eines
Theiles die ganze Konstruktion gefährdet, so, hoher Gerichtshof, ist es auch
mit der sozialen, der politischen Organisation. Und diese hier, die heute auf
der Anklagebank sitzen, wissen was sie thun, was sie sind, was sie wollen.
Nicht eher wollen sic rasten, bis der sogenannte Kapitalismus in Trümmern
liegt, und an dessen Stelle die Herrschaft des Proletariats alle Kultur, alle
Kunst, alle Wissenschaft, alles Wahre, Gute, Schöne voni Erdboden vertilgt.
„O, ich kenne sie schon, die Ausführungen des Herrn Vertheidigers,
der offen genug mit den Männern des Umsturzes sympathisirt. Er wird
Sie nicht überzeugen. Gerade daß die Angeklagten unbestraft und guten
Leumundes, brave Gatten und liebende Väter sind, gerade das steigert in
meinen Augen ihre Schuld. Mit peinlicher Vorsicht umgehen sie die zahl-
reichen Fußangeln des Strafgesetzes, verlocken durch die Makellosigkeit
ihres Wandels, durch die Reinheit ihres Wesens die leichtgläubige, antoritäts-
bedürftige Masse und werben neue, immer neue Truppen für die Armee
der Revolution.
„Sie wächst, diese Armee, schon hören ivir, hoher Gerichtshof, um
in der Sprache jenes Lassalle zu reden, den dumpfen Massenschritt der
Arbeiterbataillone. Das Gemeinwesen ist in Gefahr. Möge der hohe
Gerichtshof sehen, daß cs keinen Schaden leide. Ich beantrage deshalb
gegen jeden Angeklagten eine Gefängnißstrafe von zwölf Monaten. Die
Gesellschaft muß gerettet werden."
Eine tiefe Bewegung ging durch den Saal, nur die Angeklagten saßen
stolz, frei aufgerichtet, ruhig auf ihrer Bank, hinter der schnauzbärtig die
Gendarmen wachten, den Säbel an der Seite, den Armeerevolver in der
Gürteltasche. Die Zuhörer, fast durchgängig Arbeiter, Leute mit ver-
wittertem, versorgtein Gesicht und schwieliger Faust, schienen ergriffen.
Ein leises Flüstern ging von Mund zu Mund, von Ohr zu Ohr. Born
an der Rampe, die die Zuschauerplätze vom Zeugenstand trennte, standen
Drei, der eine breitschultrig, untersetzt, seines Zeichens, man sah's an der
Haltung, an der Art, wie er die Beine stellte, ein Schlosser, der ärgerlich
seinen rochen Schnurrbart zwirbelte; der andere, wibbelig voin Wirbel
bis zur Zehe, keinen Augenblick stillstehend, mit schlenkernden Armen und
fahrigem Blick, der Schneidergeselle, wie er im Buche stand; der dritte,
still in sich gesammelt, ein blondbärtigcr Hüne, mit muskulösen Armen
nnd kräftigen, breiten Händen, die das Gewerbe nur zu deutlich vcrriethen,
ein Rochfärber, der in einer der Fabriken am Flusse schaffte. Der Schneider
sprach: „Jeder ein Jahr, und daheim die vielen, vielen Kinder, die Frauen,
die Eltern." Pst! rief der Schlosser, und mit einem Drucke seiner Hand
beruhigte der Färber den quecksilbernen, aufgeregten Kanieraden.
Nun kam die gute, warmblütige Rede des Vertheidigers, der Gerichts-
hof zog sich zurück, und schon nach einer Viertelstunde erschien er wieder.
Die Angeklagten wurden nach dem Anträge des Staatsanwalts verurtheilt.
In seinem Talar, ein Bild des Selbstbewußtseins, saß der derweil, ein
flüchtiges Lächeln des Triumphes huschte über sein Gesicht. Ein neuer
Sieg, ein neuer Schritt vorwärts, nach oben. Und vor seinem geistigen
Auge erschien ein glänzendes Bild nach dem andern, Orden, Direktor,
Präsident, Reichsanwalt. ... Sein Auge glitt über den Zuschauerraum.
O, er kannte die drei da, diese Rädelsführer, die diesnial noch dem Fang-
nctzc der Justiz entronnen waren, er kannte sie so gut, und auch sie
würde er eines Tages mit rächender Vergeltung heimsuchen.
Das Mittagsmahl, das der Herr Staatsanwalt heute cinnahm, be-
stand aus den erlesensten Gerichten, der Rheinwein mundete köstlich, und
die Hausfrau hatte den Schluß mit der besten Marke Schaumwein, die
der gutversorgte Keller barg, weislich gekrönt. Er fühlte sich auch wohlig
und selig, als Einer, der ein gutes Werk gethan, und friedlich rauchte er
nun drunten ini Garten seine Zigarre. Ein leichter Wind wehte von den
Höhen, die sanft ans dem Thale aufstiegen. Die Luft ivar getränkt mit
Blumenduft und Sonnenschein. Von fern rauschte der Fluß, der silber-
weiß, stürmisch, jugendstark vom Gebirge herabfährt, uin drunten in der
Niederung von schlauer Menschenkunst cingefangen, eingezwängt durch Wehr
und Schleusen, Damm und Rohrwerk, Mühlen und Turbinen, ein gebän-
digter Knecht, Werke zu treiben und Räder zu drehen. Ach, da drunten
verliert er die krystallene Frische, und schwarz, düster, gebrandmarkt mit dem
Stempel des gewinngicrigcn Gewerbewesens strömt er dahin, der verlorenen
Freiheit nachträu-
itiend. Aber hier im
Villenviertel, ober-
halb der Arbeitcr-
quartiere, des ra-
genden Reviers der
sprühenden Essen
und qualmenden
Schlüte, war das
Wasser noch rein
und klar.
Den Staats-
anwalt schläferte.
Die lange Sitzung,
das Essen, der
Champagner, die
Nachmittagswärme
und das Murmeln
und Tönen des
Flusses wirkten auf
ihn ein. Auf! Er
hob sich einpor und
schritt bedächtig aus
dem Garten, den
kurzen, schattigen
Pfad hinauf, wo der
Bergwald Kühle,
Schatten,Ruhe ver-
heißt. Droben warf
Der Staatsanwalt machte eine Kunstpanse, nippte von dein Wasser-
glase, das vor ihm stand nnd fuhr sich mit dem seidenen Tuche leicht über
den kühnen, sorgsam gedrehten Schnurrbart. Im Sitzungssaale herrschte
eine schwüle Spannung, wie vor einem Gewitter, Niemand regte sich,
nur der alte Gerichtsdiencr hüstelte hinter der vorgehaltenen Hand.
„Darum, hoher Gerichtshof", setzte plötzlich der öffentliche Ankläger
ivieder ein, und die Stimme klang >vie Glas so hell bis in die letzten
Winkel des weiten Raumes, „gilt cs diesmal ein Exempel zu statuiren
und die Friedensstörer, die maulwurfsgleich das Fundament von Religion
nnd Familie, von Ordnung und Eigenthum unierwühlcn, die die sittlichen
Grundlagen unseres Staates leugnen und mit revolutionärem Hohn wider
die Heiligkeit der Gesetze freveln, mit aller Schärfe zu treffen. Kein fal-
sches Mitleid, es wäre thörichte Sentimentalität, keine unangebrachte Milde,
sie märe eine schwere Schuld gegen die Stützen der Gesellschaft. Wie ein
kunstvoller Bau durch Träger und Balken, Klammern und Pfeiler sich
unter einander hält und erhält, so daß die Entfernung auch nur eines
Theiles die ganze Konstruktion gefährdet, so, hoher Gerichtshof, ist es auch
mit der sozialen, der politischen Organisation. Und diese hier, die heute auf
der Anklagebank sitzen, wissen was sie thun, was sie sind, was sie wollen.
Nicht eher wollen sic rasten, bis der sogenannte Kapitalismus in Trümmern
liegt, und an dessen Stelle die Herrschaft des Proletariats alle Kultur, alle
Kunst, alle Wissenschaft, alles Wahre, Gute, Schöne voni Erdboden vertilgt.
„O, ich kenne sie schon, die Ausführungen des Herrn Vertheidigers,
der offen genug mit den Männern des Umsturzes sympathisirt. Er wird
Sie nicht überzeugen. Gerade daß die Angeklagten unbestraft und guten
Leumundes, brave Gatten und liebende Väter sind, gerade das steigert in
meinen Augen ihre Schuld. Mit peinlicher Vorsicht umgehen sie die zahl-
reichen Fußangeln des Strafgesetzes, verlocken durch die Makellosigkeit
ihres Wandels, durch die Reinheit ihres Wesens die leichtgläubige, antoritäts-
bedürftige Masse und werben neue, immer neue Truppen für die Armee
der Revolution.
„Sie wächst, diese Armee, schon hören ivir, hoher Gerichtshof, um
in der Sprache jenes Lassalle zu reden, den dumpfen Massenschritt der
Arbeiterbataillone. Das Gemeinwesen ist in Gefahr. Möge der hohe
Gerichtshof sehen, daß cs keinen Schaden leide. Ich beantrage deshalb
gegen jeden Angeklagten eine Gefängnißstrafe von zwölf Monaten. Die
Gesellschaft muß gerettet werden."
Eine tiefe Bewegung ging durch den Saal, nur die Angeklagten saßen
stolz, frei aufgerichtet, ruhig auf ihrer Bank, hinter der schnauzbärtig die
Gendarmen wachten, den Säbel an der Seite, den Armeerevolver in der
Gürteltasche. Die Zuhörer, fast durchgängig Arbeiter, Leute mit ver-
wittertem, versorgtein Gesicht und schwieliger Faust, schienen ergriffen.
Ein leises Flüstern ging von Mund zu Mund, von Ohr zu Ohr. Born
an der Rampe, die die Zuschauerplätze vom Zeugenstand trennte, standen
Drei, der eine breitschultrig, untersetzt, seines Zeichens, man sah's an der
Haltung, an der Art, wie er die Beine stellte, ein Schlosser, der ärgerlich
seinen rochen Schnurrbart zwirbelte; der andere, wibbelig voin Wirbel
bis zur Zehe, keinen Augenblick stillstehend, mit schlenkernden Armen und
fahrigem Blick, der Schneidergeselle, wie er im Buche stand; der dritte,
still in sich gesammelt, ein blondbärtigcr Hüne, mit muskulösen Armen
nnd kräftigen, breiten Händen, die das Gewerbe nur zu deutlich vcrriethen,
ein Rochfärber, der in einer der Fabriken am Flusse schaffte. Der Schneider
sprach: „Jeder ein Jahr, und daheim die vielen, vielen Kinder, die Frauen,
die Eltern." Pst! rief der Schlosser, und mit einem Drucke seiner Hand
beruhigte der Färber den quecksilbernen, aufgeregten Kanieraden.
Nun kam die gute, warmblütige Rede des Vertheidigers, der Gerichts-
hof zog sich zurück, und schon nach einer Viertelstunde erschien er wieder.
Die Angeklagten wurden nach dem Anträge des Staatsanwalts verurtheilt.
In seinem Talar, ein Bild des Selbstbewußtseins, saß der derweil, ein
flüchtiges Lächeln des Triumphes huschte über sein Gesicht. Ein neuer
Sieg, ein neuer Schritt vorwärts, nach oben. Und vor seinem geistigen
Auge erschien ein glänzendes Bild nach dem andern, Orden, Direktor,
Präsident, Reichsanwalt. ... Sein Auge glitt über den Zuschauerraum.
O, er kannte die drei da, diese Rädelsführer, die diesnial noch dem Fang-
nctzc der Justiz entronnen waren, er kannte sie so gut, und auch sie
würde er eines Tages mit rächender Vergeltung heimsuchen.
Das Mittagsmahl, das der Herr Staatsanwalt heute cinnahm, be-
stand aus den erlesensten Gerichten, der Rheinwein mundete köstlich, und
die Hausfrau hatte den Schluß mit der besten Marke Schaumwein, die
der gutversorgte Keller barg, weislich gekrönt. Er fühlte sich auch wohlig
und selig, als Einer, der ein gutes Werk gethan, und friedlich rauchte er
nun drunten ini Garten seine Zigarre. Ein leichter Wind wehte von den
Höhen, die sanft ans dem Thale aufstiegen. Die Luft ivar getränkt mit
Blumenduft und Sonnenschein. Von fern rauschte der Fluß, der silber-
weiß, stürmisch, jugendstark vom Gebirge herabfährt, uin drunten in der
Niederung von schlauer Menschenkunst cingefangen, eingezwängt durch Wehr
und Schleusen, Damm und Rohrwerk, Mühlen und Turbinen, ein gebän-
digter Knecht, Werke zu treiben und Räder zu drehen. Ach, da drunten
verliert er die krystallene Frische, und schwarz, düster, gebrandmarkt mit dem
Stempel des gewinngicrigcn Gewerbewesens strömt er dahin, der verlorenen
Freiheit nachträu-
itiend. Aber hier im
Villenviertel, ober-
halb der Arbeitcr-
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genden Reviers der
sprühenden Essen
und qualmenden
Schlüte, war das
Wasser noch rein
und klar.
Den Staats-
anwalt schläferte.
Die lange Sitzung,
das Essen, der
Champagner, die
Nachmittagswärme
und das Murmeln
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Flusses wirkten auf
ihn ein. Auf! Er
hob sich einpor und
schritt bedächtig aus
dem Garten, den
kurzen, schattigen
Pfad hinauf, wo der
Bergwald Kühle,
Schatten,Ruhe ver-
heißt. Droben warf