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1886

Eine Münchener Redoute — Tausende von Menschen in den grotesken
Trachten des Karnevals, die Damen theils nonnenhaft verhüllt in
Dominos, theils kühn dekolletirt, fluchen unablässig durch die Säle
und Galerien, Zimmer und Korridore, Trepp' auf, Trepp' ab, vom
großen Festsaale hinunter in die trauliche Bierhalle, überall Musik,
überall Lachen und Gläserklingen.

„Wer ist denn dös?" fragten mehrere Masken, als der Bäcker-
meister Huber mit seiner dreizinkigen Göttergabel im Gewimmel auf-
tauchte.

„Ich bin der Aegir", sagte Huber würdevoll, „der die Wasser-
fluthen regiert."

„Uijeh — der Schutzheilige von Wörishdfen", hieß es.

„Schaust mir aa net aus, als wannst a Wasser möcht'st", spottete
ein Anderer.

„Wo hast Deinen Drachen?" fragte ein Dritter, dem es erinnerlich
war, daß im „Sang an Aegir" ein Drache vorkoinmt.

Bei dem Wort „Drache" schaute sich Aegir-Huber ängstlich um.
Er dachte an seine Fra» und an die Strafpredigt, welche sie ihm
halten würde, wenn sie
wüßte, daß er sich an
diesem Orte befände.

Langsam und bedächtig
lenkte er seine Schritte
zur Bierhalle.

„Da ist ja der Aegir
schon wieder!" hieß es
kurze Zeit darauf. Der
Student Pimpel in sei-
nem Aegirkostüm war
erschienen und stolzirte
breitspurig umher.

„Sie Aegirl, Ihn«
fehlt was!"

„Blech! Wat soll
mir denn fehlen?" sagte
Aegirl-Pimpel gereizt.

„Das große Messer,
wo zu der großen Gabel
g'hört", war die Ant-
wort.

„Laßt meine Jabel
in Ruhe, sonst spieß'
ick Euch uff, wieJurken-
salat!" drohte Aegir-
Pimpel.

Ringsum Gelächter.

Ein Domino umarmte Pimpel und versicherte, er sei Schneider und
wolle Alles wieder zunähen, was der Wassergott aufschneide. Ein
Anderer bemerkte:

„Du, Dei' Kronerl is fei' von Pappen. Wird denn dös nit woach,
ivannst abitauchst?"

Eine Satanella lockte: „Geh' zu, Aegirl, zahl'a Flaschen Schampus."

„Habe keen Jeld", sagte Aegir-Pimpel, da ihm gerade keine geist-
reichere Bemerkung einfiel. Aber Satanella ließ nicht locker, sie klammerte
sich an den preußischen Aegir, der ihr bald darauf bei einer Flasche
Deidesheimer seine Liebe erklärte.

Aegir-Huber befand sich noch in der Bierhalle, als im Hauptsaale
nochmals ein „Herr der Fluthen" erschien. Es war Freimund, der
die dritte Aegirmaske trug. Man konnte ihn von den beiden Anderen
nicht unterscheiden, denn Perrücke und Bart dieses Meergreiskostüms
bedeckten den größten Theil des Gesichts. Doch war sein Auftreten ein
anderes. Ein halbes Dutzend Wassergeister in glitzernden Mänteln um-
gaben ihn und brachten den „Sang an Aegir" fast wörtlich nach dem
Original zu Gehör. Rur hatten sie die Wasserfluthen in Bier ver-
wandelt und als Melodie die bekannte „Ang5t"-Weise gewählt, nach
der man auch das „Petroleumlied" singt. So stiminten sie an:

„O Aegir, Herr der Finthen,

Philister huld'gen Dir,

Denn das Gehirn der guten
Ersäufest Du in Bier

„<So, also hier find' ich den Herrn Gemahl!"

In grimmer Fehd' dem Durste nur
Gilt stets ihr Kampfesdrang,

Wir aber für die Weltkultur
Erheben unfern Sang:

Hier Petroleum, da Petroleum!

Petroleum um und um" u. s. w.

lind die letzte Strophe lautete:

„Und wenn im Hofbräuhausc
Sich Brün auf Brüne drängt,

Den Feind, total besoffen.

Das Radiweib umfängt,

Dann töne laut vom Platzl her
Bei Krug- und Gläserklang,

Dir, Aegir, hoher Gott zur Ehr',

Wie Sturmwind unser Sang:

Hier Petroleum, da Petroleum,

Petroleum um und um,

Laßt die Humpen frisch voll pumpen,

Dreimal hoch Petroleum."

Aegir aber stampfte
mit seinem Dreizack den
Boden und donnerte die
Masken, welche sich
schaarenweise um ihn
versammelten, an:
„Menschenkinder!
Die Verwässerung aller
Eurer Rechte und Frei-
heiten ist soweit ge-
diehen, daß die Wasser-
götter ans Land steigen
müssen, um Euch für
Euren Jndifferentis-
mus zu züchtigen. Ich
werde, dainit Ihr aus
Eureni geistigen Bären-
schlafe erwacht, ein Um-
sturzgesetz über Euch
verhängen, welches auch
dem Dümmsten die
Augen öffnen soll. Du,
zumBeispiel" —wandte
er sich an einen Harle-
kin, welcher Purzel-
bäume schlug, „betreibst
den Umsturz gewohn-
heitsmäßig und wirst

deshalb nach Kamerun verbannt. Du aber", sprach er zu einem kleinen
Männlein, „kommst ins Zuchthaus wegen Vergehen gegen die militärische
Macht."

„Wieso denn?" fragte der Kleine.

„Weil Du das Militärmaß nicht erreicht hast und dadurch der
Armee einen Soldaten entziehst."

„Und ich", fragte ein „deutscher Michel", der die Schlafhaube über
die Ohren gezogen und die Hände in die Tasche gesteckt hatte.

„Du wirst wegen Beleidigung des Eigenthums bestraft. Siehst
Du nicht, daß Du das Grundeigenthum mit Füßen trittst? Oder
weißt Du nicht, daß der Boden dieses Saales Eigenthum eines Grund-
besitzers ist?"

„Ein gestrenger Herr", spottete ein Anderer und blies eine Tabak-
wclke gegen Aegir.

„Du", drohte Letzterer, „kommst wegen Schädigung der heiinischen
Tabakindustrie ins Loch!"

„Warum?"

„Weil Du eine egyptische Zigarrette rauchst."

„Fehlgeschoffen", rief der Raucher, „es ist Pfälzer Tabak init
egyptischer Etikette."

„Aha", sagte Aegir, „dann wirst Du wegen Betheiligung an einer
Urkundenfälschung eingesperrt."

„Was geht den Wassergott das Rauchen an?" rief eine Maske.
„Mache keine schlechten Witze", rief Aegir, „denn ich betrachte das
 
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