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1899

Vlihdragt- Meldungen.

Berlin. Das Zentrum verlangt einerseits gesetzlichen Schutz für
°en kirchlichen Charakter der Ehe, andererseits die Rückberufung der Je-
suiten. Um nach beiden Richtungen hin dem Zentrum seinen Willen zu
shun, sollten nur verheirathete Jesuiten nach Deutschland zurück-
^hren dürfen.

— Die alte Raketenkiste soll am 1. April zur wirklichen geheimen
Dber-Raketenkiste ernannt werden.

Dstxreutzen. In hiesigen Junkerkreisen fordert man Aufnahme
eines Paragraphen in die Umsturzvorlage, laut welchem mit Gefängniß
öis zu drei Jahren bestraft wird, wer den Nothstand der Agrarier leugnet
oder den Bund der Laudwirthe angreift.

Australien. Hierzulande wurde kürzlich einem Deutschen seine
hölzerne Tabaksdose, vermuthlich von einem Eingeborenen, gestohlen. Nur
dein Uinstande, daß Deutschland 31t wenig Panzerkreuzer in den hiesigen
bewässern besitzt, ist es zuzuschreiben, daß der Thüter entkam.

Der Spitzel-Varagraph.-^-

öW zu wenig Lumpen giebt es
3n dem Lande der Germanen,

Eine neue Spitzelzüchtung
Gilt's darum jetzt anzubahnen.

Dünn gesät noch sind die Reuße,

Db man auch sie reich dotiret,
Leiten werden, ach! Verbrechen
Heut von Spitzeln provoziret.

Dies muß endlich anders werden!
Einen neuen Paragraphen
Hat man glücklich sormuliret.

Der den Spitzel schützt vor Strafen.

Andre darf er nun verleiten
Zu den schlimmsten Attentaten,
Aber in der letzten Stunde
Nuß er schändlich sie verrathen.

Das Verbrechen, das er säte,
wird an Ienen dann gerochen.
Und der Iudaslohn wird reichlich
Dem Verführer zugesprochen.

So die Tugend und die Sitte
will man schützen vor Gefahren,
Deutsche Lhre, deutsche Treue
weiß man herrlich so zu wahren!

■ '»v>v Frage.

,,Es fällt kein Meister vom Himmel", heißt's im Sprichwort. Woher
'uag es wohl kommen, daß trotzdem so viele Jnnuugsmeister auf den
Kopf gefallen sind?

Hobrlspähne.

Wir haben sie nun überstanden,

Die vormärzlich finstere Zeit,

Vom eisigen, starrenden Winter
Der siegreiche März uns befreit;

Und wenn von der Schollen Geröll er
Zertrümmert den letzten Rest —

Wir hoffen, daß Herr von Koller
Ihn nicht arretiren läßt.

Ein chinesischer Admiral verübte Selbstmord,
weil er eine Schlacht verlor. Schade, daß dieser
Modus nicht auch für die Urheber durchfallender
Gesetzcsvorlagen üblich ist.

Es blüht uns bald die Tabaksteuer
Nun durch des Zentrums arge List,

Denn viele Schwarze finden heuer,

Daß sie ganz acceptabel ist.

Ob sie dir, Volk, bereitet Qualen,

Nichts hilft dein Protestiren dir,

Der schwarze Schädler kann sie zahlen,

Der schwarze Schädler stimmt dafür.

Nach Einführung des Umsturzgesetzes wird das Schreiuergewerbe
aufblüheu; wir werden den ordnungsliebenden Staatsbürgern je ein
Brett vor den Kopf machen müssen, — soweit sie ein solches noch nicht
tragen. Ihr getreuer Säge, Schreiner.

—>W< Kommando. *=f<—

Sozialreform wird jetzt sistirt,

„Stillgestanden!" ist kommandirt.

Dagegen für Marine und Heer

Heißt's: „Vorwärts marsch!" Nur immer mehr!

Wir haben den Abgeordneten Lieber schon längst
'ss Verdacht, daß sein Körper nur die Wohnung
für die unsterbliche Seele des Ablaßkrämers Tetzel
ofldet, und seine neuesten Leistungen auf dem Ge-
biete des Kuhhandels bestätigen diesen Verdacht
Mradezu auffallend. In der Brust des Abgeord-
neten Schädler scheinen sogar zwei Seelen zu
Lohnen, welche sich nicht immer gut vertragen,
denn die eine ist für Freiheit, die andere für Tabak.
Die Seele des Abgeordneten Hitze scheint sich manch-
mal einen Wandergewcrbeschein zu lösen, um auf
den Gebieten des Handwerks und der Sozialpolitik
Geschäfte zu machen, während die Seele Bachem's
nch dann und wann in den fernen Regionen der
Zukunft ergeht und bei ihrem nächsten Domizil-
wechsel wahrscheinlich in ein Kameel fährt.

Wenn es beim Umsturzrummel nicht gelingen
sollte, das Leugnen der Seelen unter Strafe zu
fallen, so werden die Schwarzen trotz alledcni
etwas aus der Affaire retten — nänllich ihre un-
fterbliche Blamage.

—Kulturbild. *#t<-

Uach einem Vorfall in der Provinz Lachsen.

(CT

r"5 wandert die Mutter querfeldein
Durchs Schneeaefilde beim Sternenfchein;
r’i« wandert geschwind,

"ss, scharf weht der wind,
vl- beiden Al-inen,

c langen vor Hunger und Frost an zu weinen.

-.Seid ruhig!., die zitternde Mutter spricht,
..Dort sch' ich freundlich blinken ein Licht,

"tzd wenn's nicht trügt,

«rn Dorf dort liegt;

«>n menschlich Erbarmen

Iri’ speisen dort euch am wfen, am warmen.
Unwohl sin» wir mittel- und heimathlos,

"och ist auch der Menschen Güte noch groß!" —
"üd wie sie so keucht,

Ust das Dorf erreicht;
j.aum kann sie noch rühren
le Finger, mit denen sie pocht an di« Thüren.

Doch ach, die sich öffnen, schließen sich schnell,

Nur grobes Schimpfen und Hundegebell!

Man treibt, o Graus!

Aus dem Dorf hinaus
Die Wandrer, die armen.

Und hat nicht mit Mutter noch Uindern Erbarmen.

Uein Dbdach, das die Verstoßenen schirmt,
Derweil sic das Schneegestöber umstürmt;
Verzweifelnd irrt
Und sinnvcrwirrt
In fremden Gründen

Die Mutter einher, bis die Kräfte schwinden.

Da sinken sie hin, es umfaßt sie mit Macht
Lin Schlaf, aus dem man nicht wieder erwacht.
An unsrer Uultur,

Der herrlichen nur
Sind sie verdorben —

Bei wilden wären sie nicht so gestorben!

—- Schnitzel. —

„Wo Rauch ist, da ist auch Geld", sagt Miquel, da
nahm er eS den Rauchern aus der Tasche.

Man muß es der agrarisch-junkerlichen Rechten im Reichs-
tag zu gute halten, daß sie ihr Mißfallen durch Grunzen,
ihren Spott durch wieherndes Gelächter und ihre Be-
geisterung durch Beifalls-Gebrüll zum Ausdruck bringen.
Das entspricht ihrem Charakter als Landwirthe, die viel mit
Schweinen, Pferden und Ochsen umgehen.

Wenn der Reichstag gescheit ist, wirft er den Maulkorb
der Umsturzvorlage in den Papierkorb und hängt dem
Militarismus den Brotkorb höher.

A. : Warum steht denn in den Parlamentsberichten bei
Rösicke der Beisatz: „wild"?

B. : Wahrscheinlich, weil er immer noch wild ist über den
verlorenen Bierboykott.

* *

Moritz: Aette, sag' mer, was is Bimetallismus?

El kan: Werd' ich Dir sagen, Moritzleben. Wenn ich
kauf den Meter Stoff um an Tholer und verkauf ihn um zwei
Tholer, so heißt das Bimetallismus.

WaS ist ein krasser Widerspruch?

'U9;;rachjs6raoj isj söv^aoa
-kanstmK agq 6unh;v.w^ s;q 'jgiaitfpJ ßunipg suw uusgx

Anträge zum Amflurzgesrtz.

Dem leuchtenden Beispiel desZentrums folgend,
haben liberale und antisemitische Abgeordnete noch
folgende Anträge zu § 130 gestellt:

Mit Gefängniß bis zu zwei Jahren soll bestraft werden:

1. Wer die sittliche Berechtigung des Mogelns beim
Skat spiel leugnet;

2. wer das Schnaps trinken durch beschimpfende Aeuße-
rungen h e r a b w ü r d i g t;

3. wer behauptet, daß das Tabakrauchen die Gesund-
heit untergräbt;

4. wer sich weigert, saures Bier zu trinken und
dadurch Andere zur Unzufriedenheit mit den bestehenden Bier-
verhältnissen anreizt;

5. wer in der Betrunkenheit beim Nachhausegehen

Schwankungen verübt und dadurch den Zickzack-Kurs
der Berliner Politik in achtungsverletzender Weise
ptzrsiflirt. ___

Lur MFmarcir-Feier.

(8s gratulirt von Kerzen dir
Du deinem achtzigsten Jahre,

Är, dem du reichlich Ktoff stets gabst,

Der „Jacob" heut, der wahre.

Die Andern wedeln und schmeicheln dir,

Dem Junker und Diplomaten,

Ich aber will dich nach Gebühr
iKelohnen für deine Thaten.

Alit einem Ktrohkranz will ich dein Haupt,
Das eifenstirnige, Kränzen,

And geb' dir den Drden der Korruption
Aiit den Reptilienschwänzen.

Dar» m.

A. : Wie kommt der Kapitalismus dazu, sich
als Freund des Handwerks aufzuspiclen, während
er dasselbe doch immer tiefer herunterdrückt?

B. : Nun, er drückt das Handwerk so lange,
bis es endlich auf seinen „goldenen Boden"
kommt.
 
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