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— 1907

gebohrten Gängen etwelche Atzung zu suchen. Die Holzwürmer, die
b'e Wälder verwüstet, die Höhen kahl und trocken, die Hänge unfruchtbar
gemacht hatten, irrigen fciirc, dunkle Röcke, prangten mit goldencir Ketten
auf der weißen Weste, und an ihren Fingern glitzerten Diamantringe,
von denen einer gut und gerne unter Brüdern einen Bariernhof werth
war. Die waren gekommen und hatten den Bauern erst eine Hypothek
und dann noch eine auf ihr Gütchen gegeben gegen handfeste Verschreibung
und klingenden Zins mit allerlei verkniffenen Klauseln rrird Vorbehalten.
Traun, die Bäuerlein waren in Bedrängniß, der Mißwachs suchte sie
beim, und das Viehsterbeir, und die Futternoth. Nuir, als das Ziel
kam und die Gelder fällig waren, was thun? Drückte nicht der
Standcsherr gar nrächtig auf sie? Wer hielt den Wettbewerb aus!
Und die Steuern, die Lasten, die Abgaben! Immer die Hand im Sack
für die Amtskörperschaft und für den Staat, für die Gemeinde und
für das Reich, Militär und Polizei, Gebühren und Sporteln, Accise
und Auflage, und dabei die schwere, schwere Arbeit und der knappe,
knappe Verdienst. Wo waren denn die Zeiten, da der Bauer und seine
Knechte und Mägde noch reichlich die gute Milch tranken und Butter
>sch vergönnen konnten,
die Spätzle zu schmälzen
und die Knödel? Der
Sandmann mußte ja
fsvh sein, wollte er
die Steuer zusammen-
kratzen, wenn ihm die
Molkerei-Genossenschaft
d>e Milch abkaufte. Da-
für mochten die Leute
daheim dann sich mit
fchlechtem Bier begnü-
grn oder zum Fusel
greifen.

So fanden die Holz-
wucherer sichere Beute,
fchlugen rücksichtslos ein
Stück Wald nach dem
änderen aus, verheerten
die Kuppen und Höhen,
daß sie wie abgcfresse»
aussahen. Kein Heu-
fchreckenschwarm hätte
arger verwüsten können.

Wuth im Herzen, Thrä-
Usn in den Augen sahen
die Landleute, wie die
Landschaft abgeholzt

>vurde, wie die Aerte klangen und mit ihren grellen Stiinmen allen
Dörflern den Untergang verkündeten.

Der Tag war heiß, mühsam fuhr der leichte Jagdwagen die
Straße hinauf, und der Insasse, der Herr Minister der Landwirth-
fchaft, ließ halten. Er ließ den Kutscher langsam vorausfahren und
fchritt zu Fuß weiter. Seit fünfunddreißig Jahren war er nicht hier
gewesen. Damals war er noch ein jugendfrischer, munterer Gesell, ein
trinkfester Zecher, der am runden Wirthstische seinen Mann stellte. Er
war damals sogar liberal gewesen, recht liberal, und in seines Herzens
innersten Falten, in die er auch damals Niemand schauen ließ, sogar
ei» Bischen ultraradikal. Da er vor dreiundeinhalb Jahrzehnten durch
bieses Waldrevier gewandert war, lagen überall am Wege blühende
Weiler, stattliche Anwesen, behäbige Dörfer. Die Höhen waren grün
^kränzt wie fröhliche Rheinweintrinker. Heute die Höhen öde, die
^vrfschaften verfallen, das Kainszeichen der Armuth auf Aller Stirnen.
Sie Bauernhöfe verkommen, das Unkraut geil aufgewuchert in den
»Adern, früheres Ackerland brach liegend oder hungrige Weide für ab-
getriebene Ziegen und Schweine. Die Dächer windschief, die Scheiben
»erschlagen oder flüchtig mit Papier verklebt, die Düngergrube verlottert,
die Gassen voll von Steinen, Schlammlöchern und Furchen so tief wie

Karrenrad. Und ganze Ortschaften fehlten, waren wie fortgeblasen.
Sort droben auf der Halde hatte die Zwölfbauerngemeinde geblüht, wohl-
ftandige, reinliche, ordentliche Leute, auf gute Sitte haltend, unter-
^nander versippt und getreulich zusammenstehend. Wer hatte die nied-

Auf einer Steinbank ließ er sich nieder.

lichen, weißen Häuschen fortrasirt? Da war jetzt nur eine Wiesenfläche,
wo Hunderte von Schafen grasten, und links eine magere Schonung.
Eine fahrende Hütte, ein Häuschen auf Rädern stand mitten auf dem
alten Grunde der Zwölfbauerngemeinde. Darin hauste der Schafhirt,
der melancholisch an einein der Räder lehnte und strickte.

Ein altes Männlein iin Kittel, das ihn: entgegenkam, gab ihm
Bescheid. „Ja, Herr, die Leut' sind auf die Gant gekoinmen, einer
nach dem anderen. Die letzten hat der Standesherr, der Graf von
Grafenberg, ausgekauft und hat sie nach Amerika geschickt. Run gehört
ihm Alles. Er macht Weideland daraus und Jagdgründe." Ob er
den Grafen kenne, fragte der Alte.

Der Gefragte konnte sich kaum des Lächelns erwehren. Ob er
den inächtigen Großgrundbesitzer, die Zierde der ersten Kammer kannte,
er, der Minister, der in einem Anflug romantischer Laune — auch
Minister empfinden bisweilen roinantifch — einmal einen Ausflug in
die Bezirke unternonrmen, die er als junger Mann so vergnügt durch-
wandert hatte.

Steiler und steiler wurde die Straße, und der Wanderer führte

das seidene Tuch seuf-
zend immer lvieder zur
Stirne. Einige Bäume
am Wege luden zur
Ruhe ein, auf eine
Steinbank ließ er sich
nieder. Hundert Schritte
weiter stand eine Hütte,
verwahrlost, verwittert,
ein Denkmal bitterer
Armuth. Die Augen
der Exzellenz nahineu
zu an Schärfe. Er sah
durch die Wäi:de. In
dem dunklen, feuchten
Gelaß hockte ein Mann
am Webstuhl, die keu-
chende Brust vornüber
gebeugt, mit entzündeten
Augen dem Hinüber,
Herüber des schießen-
den Schiffchens folgend.
Das stieß und polterte
und klapperte; dcrStaub
wirbelte empor undsuchte
AuSgang durch die Feu-
sterritzen. Es roch nach
Hunger und Schweiß.

In diesem engen, luftarmen, lichtariuen Raum waren viele Menschen
zusammengehudelt, zu leben, zu schaffen, zu schlafen. Hier wurde gekocht,
gewaschen, gewebt. Zwei Kinder, kränklich, blaß, niit rhachitischeni
Knochengerüst, so zart und jung noch, hockte:: an: Erdboden und spulten.
Draußen blauer Himmel, Bergluft, Spielplatz für tausend, tausend
Kinder. Drinnen der stickige Werkstattdunst, der harte Frohndienst
un:s tägliche Brot, der Kan:pf mit dem schwarzen Elend, der nie auf-
hört und nie, nie zum Siege führt. Denn mächtiger ist das Elend
als die Armen; es schlägt, cs fesselt, es knechtet, cs tobtet sie. Es
macht sie hohläugig und hager, es legt den Kenn frühen Todes in die
Brust des Säuglings, es füttert sie mit Wasser und Erdäpfeln und
läßt sie sich abplacken vom frühen Morgen, wenn die Hähne krähen,
bis in die sinkende Nacht, wo der Kicnspan glinnnt und die Schiffchen
sausen, herüber, hinüber, und der Garnstaub in die Kehle dringt und
in die Lunge, Millionen haarscharfer, unendlich kleiner Pfeile mit giftigen
Widerhaken, die sich in das lebendige Blut, in die zarten Gelvebe ein-
kralleu und tobten, tobten, tobten. Draußen im Sonnenbrände, barhaupt
und barfuß, im zerschlissenen, geflickten Rocke, gräbt und hackt die
Mutter auf dem Fetzen Kartoffelland, das wie ein Lappen an dem
Häuschen hängt. Und wenn das Stück Leinewand fertig ist, komutt
der spindeldürre Weber wohl auch noch heraus und gräbt und hackt und
müht sich.

Und am nächsten Tage sieht man ihn ziehen, ihn und seine Frau,
bepackt mit der Leinewand. Nach einigen Stunden haben sie die Stadt
 
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