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— 1911

Vlihdragt-Meldungen.

Berlin. Die dem Betrieb übergebene Bauchrutschbahn von hier
uach Friedrichsruhe ist überfüllt. Soeben rutschten die Antisemiten unter
Führung Hahns ab; Ahlwardt und Böckel mußten wegen Mangel an
Kleingeld Zurückbleiben.

— Herr v. Köller wird nächstens avanciren zum Kanzler; er hat
Aussicht, den Posten in — Kamerun zu erhalten.

Friedrichsruhe. Eine große Überraschung wurde Bismarck zu
Theil; die Städte Aalborg, Schiedam, Nordhausen und Cognac ernannten
>hn zum Ehrenbürger.

Rußland. Der Zar hat geniest. Da man nicht feststellen konnte,
ob er den Franzosen oder dcvr Dreibund etwas geniest hat, so herrscht in
Tanz Europa allgemeine politische Unsicherheit.

Konservatives cKtaubensvenenmmß.

26er sich staatserhaltsnd nennet,
Ä)er ein Adelswappen führt,

Muß die heil'ge Vrdnung schützen —
A)enn durch sie er profitirt.

8ür die Monarchie besonders
Muß er stets erglühen heiß —

Aber höher noch denn alles
Lteht ihm der Eetreidepreis.

Für das Lhristenthum soll kämpfen
2mmer er mit Wort und Chat,
Leinen Wachsten soll er lieben —

Und ihm nehmen, was er hat.

Hür die Wehrkraft, für die Flotte
Cret' er ein mit Hochgenuß,

Soll gewähren jede Lumme,

Die der Bürger zahlen muß.

Schutz dann für Vetreidewucher
Fordre er vom Staat als Lohn;
wird verweigert diese Gabe,

Dann beginnt die Rebellion.

Vhne Aanitz keine Aähne,

Reine Monarchie, kein Heer!

Denn was nützt die Staatserhaltung,
wenn sie sich rentirt nicht mehr!

Eine schlecht gesetzte Zeitungsnotiz.

Herr Rintelen, der zu 8 130 der Umsturzvorlage seinen bekannten
Antrag stellte, ein ebenso orthodoxer wie rechtschaffener Mann und Reichs-
tagsabgeordneter, motivirte selbst seinen Antrag in zweistündiger Rede
und bekam Elogen genug von allen Seiten der großen Versammlung.

Hobelspähne.

Es strahlt die Welt so sonnenhell
Zur schönen Osterfeier,

Der Frühling herrscht nun offiziell
Und billig werden die Eier.

Der Reichstag eine Pause macht,

Ich habe nichts dagegen;

Nun können Schwarze über Nacht
Kein Kukuksei uns legen.

Zur Bismarckfeier stehen die Nationalliberalen
förmlich auf dem Kopfe vor Vergnügen. Das
ist aber auch seit langer Zeit das erste Mal, daß
sie ihren Kopf anstrengen.

„Jeder Spaß muß ein Ende haben", deshalb sollte man doch
auch die Umsturzvorlage, die so viel zur Erheiterung des Publikums bei-
gctragen hat, nun endlich fallen lassen.

Das junge Grün der Bäume,

Wie freut es uns im Hain,

Jedoch, ein Minister des Innern
Sollt' all zu „grün" nicht sein.

Die Antisemiten wollen die Juden verbrennen, sic kommen aber

über das Kohlen nicht hinaus.

Wenn gegen den Militarismus
Die Rothen stehn im Gefecht,
Wird stets das Volk bekennen,
Daß seine Vertreter int Recht.

Und spräche mit Engelszungen
Des Molochs oberster Knecht,
Das Volk wird nimmer sagen:
„Der Kriegsminister hat Recht!"

Es ist ein Jrrthum, wenn man glaubt, die geistige Ohnmacht
der herrschenden Klassen ließe sich durch polizeiliche Allmacht ersetzen.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Neue Deutsche Reich hätte sich dann ohne Reptitien-
fonds behelfen müssen, was ein großer Verlust für
Sitte und Moral gewesen wäre.

Bismarck war uns auch sonst unentbehrlich,
°enn kein anderer Staatsmann wäre im Stande
gewesen, die Emser Depesche so geistreich zu
„redigtren", daß darüber zwei Kulturvölker sich
gegenseitig abschlachtcn mußten. Die Franzosen
hätten ihren Kaiser ohne fremde Hilfe zum Teufel
lngen müssen, die deutschen Gründer hätten keine
Biilliarden-Aera und die Elsaß-Lothringer keinen
Diktaturparagraphen bekommen, was ihnen gewiß
äußerst schmerzlich gewesen wäre. Darum muß
man sich über Bismarcks Geburtstag freuen, denn
uhue ihn hätten wir auch kein Sozialistengesetz
^halten und die heutige Gesellschaft wäre nicht
weit heruntergekommen, daß man ihr eine
Umsturzvorlage bieten könnte.

. Also huldigt ihm, singt und dichtet ihn an,
'nict vor ihm, rutscht vor ihm auf den: Bauche,
über vor allen Dingen: schenkt ihm etwas,
°e>m das war und ist ihm stets die Hauptsache.

Äegir-Alajestätskeleidigungsprc>jesse.

Beleidigen machst du die Götter all
Auf dem Gl^mx und in Walhall;
Beleid'ge nur nicht den Aegir,

Sonst weh' dir!

Antzaltisches.

„ In Anhalt will man das Landtagswahlrecht
andern, damit kein Sozialdemokrat in den Landtag
Eoninit. Den Fortschritt der sozialdemokratischen
Bewegung wird man dadurch nicht anhalten.

Gerechte Würdigung.

Bismarck tnMtrfj ist rrliannk,
ainn ward rin Titel, ein gerechter:

Wetzgrr haben ihn ernannt
Deutschlands grohem LH re n schlachte r.

Der Wabe und der Fuchs.

Eine alte Fabel in neuer Fa?on. Dem Reichstagsabgeordneten

und Oberpräsidenten a. D. Graf Stolberg gewidmet.

Ein Rabe saß behaglich auf einein Bauin und
labte sich an einem Stück Käse. Da schlich ein
Fuchs heran und begann: „Guten Morgen, Herr
Rabe! Wie schön du bist! Wie prächtig dein Ge-
fieder ! Gewiß kannst du auch recht schön singen!
Wie hübsch wäre es doch, wenn du im Reichstag
säßest und stinlUltest das Lied des Grafen Kanitz
an!" Der geschmeichelte Rabe öffnete seinen
Schnabel und begann das Lied des Grafen Kanitz
zu pfeifen. Dabei ließ er aber den Käse fallen,
welchen der Fuchs sich lachend schmecken ließ.

Der Aerztekannnern Eingabe

an den preußischen Kultusminister.

Ls heulen und jammern — die ärztlichen Rammern:
„Hilf uns, o Bosie! — Der rothe Genosse —

Drang bereits ein in Heilkünsiler-Areisen!"

Drum sollen sie fortan Heulkünstler heißen.

Zweideutig.

Frage: Wer hat die theuersten Wohnungen
inne?

Antwort: Die se miethen.

Sächsisches.

„In welchem Lande", fragte eilt Lehrer seine
Schüler, „wird am meisten Cheinie getrieben?"

„In Sachsen", antwortete ein kleiner Junge.

„Warum denn nun gerade in Sachsen?"

„Nun, mein Vater sagt, in Sachsen thäten se
jetzt alles ailflösen."

Verkehrte Auffassung.

Schusterjunge <der einen stark schielenden Herr»
beobachtet, welcher in der Zeitung liest): Kiek Nllll, Aujllst,

die neueste Erfindung. Mit een Ooge treibt er
Astrononiie, niit det andere liest er Miqueln seine
neie Steier-Rede.

Das Bismarck-Museum.

Der erhebende Verlauf des großen deutschen
Nationalfestes voin 1. April zu Friedrichsruh hat
eine Anzahl patriotischer Männer auf den Ge-
danken gebracht, ein Bismarck-Museum zu errichten.
Dasselbe soll etwa fünfzig Millionen kosten und
im Teutoburger Wald neben dein Denkmal Her-
mann des Cheruskers errichtet werden, da, wie
Jedermann weiß, Bismarck und Herinailn die
beiden größten Deutschen sind. Hermann besiegte
die Röiner, Bismarck besiegte die Sozialisten nicht,
aber daruin ist er nicht kleiner, denn das hätte
auch Hermann der Cherusker nicht gekonnt.

Für das Museum sind bis jetzt folgende Gegen-
stände angemeldet:

1. Die eiserne Ruthe, mit der Deutschland dreißig Jahre
lang regiert worden ist.

2. Der Maßkrug, aus dem Bismarck im Münchener Hos-
bräuhaus getrunken hat und dessen Ränder auf Kosten der
nationalliberalen Partei in Schöppenstedt vergoldet worden sind.

3. Ein Markstück, welches ein armer Bauer dem Fürsten
schenken wollte und welches der Fürst edelmüthig zurück-
gewiesen hat.

4. Die Prozeßakten sämmtlicher in Deutschland statt-
gehabten Geheimbundsprozesse..

5. Der Steckbrief Bismarcks gegen seinen Tagelöhner, der
ihm die Miethe nicht bezahlt hat.

6. Die ursprüngliche Emser Depesche (die „Chamade") und
die „redigirte" Emser Depesche (die „Fanfare").

7. Die Pfändungsbefehle gegen die Reichstagsabgeordneten,
die von ihrer Partei Diäten bezogen hatten.

8. Einige tausend Todtenschädel und dreißig Waggon-
ladungen voll Knochen aus den Kriegen von 1864,1866 und 1870.

9. Die Porträts von Jhring-Mahlow, Schröder, Peukert
und Naporra, in Lebensgröße gemalt.

10. Die Quittungen über erhaltene Summen aus dem
Welfenfonds, die zu verbrennen man vergessen hat.

11. Die berühmte Pistole, die der Fürst Bismarck bet
Königgrätz mit sich geführt und mit der er sich erschießen
wollte, wenn es schief ginge.

12. Die Strafanträge, welche Fürst Bismarck wegen Be-
leidigung gegen Näherinnen und Wäscherinnen gestellt und
eigenhändig unterzeichnet hat.

13. Proben von Gefängnißkost und ein Züchtlingsgewand,
wie es die verurtheilten Journalisten zu Bismarcks Zeit
fragen mußten.

14. Alle gegen die Sozialisten ergangenen Ausweisungs-
dekrete.
 
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