Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1946

^ Dein Bürgerthunr.

Wärt ihr nicht einzig von der Gier getrieben
Mach Gold und Auteln und noch Gang und Vaud,
War' in dess Schädclss Gede euch geblieben
Gin letztes armess Fünkchen von Verstand,

Nr müßtet heute euch zusannnenraffen
Am rücksichtslob, wie auch der F fasse klagt,

Dass böse Vfingstfest eiligst abzuschaffen.

Mit dem ihr selber euch inss Antlitz schlagt.

War'ss nicht ein Häuflein ärmlicher Genossen
Auf deren Häupter stammend sich der Geist
Herabgescnkt, vom Himmel aussgegoffen.

And furchtlos sie gemacht, beredt und dreist?

Sind, unbekümmert nicht um Aod und Leben,
Hinaussgezogen sie, ein Dutzend kaum.

Am auss den Angeln eine Welt zu heben
Durch »stress Mundes Wort, durch einen Granm?

Wie abgeschmackt, wie lächerlich, wie — kindlich!
Wann hätte jemals euch der Geist beglückt,

Guch, denen e£ im Grunde unerfindlich
Dasz ihn der Staat nicht lange unterdrückt?

Wozu auch Geist? Denn nöthig ist er schwerlich.
Sein Hochmuth macht sich ungebührlich breit;

Im besten Falle ist er sehr entbehrlich
And oft bedenklich seine Lhätigkeit.

And dringt er gar in enge, finstre Gassen,

Wie ess zuweilen seine leid'ge Sucht,

Grleuchtet er die arbeitsspflichr'gen Massen,

Wird er direkt verderblich und verrucht.

Am schnöden Amsturz weise abzuwehren.

Muß scharf dem Geist man auf die Finger sehn.
And dennoch soll man diesem Geist zu Ghren
Gin Lrirchenfest mit vollem Doiiip begehn?

Die Bibel selbst muß man mir Vorsicht lesen.
Wenn die Aulrur man zu erhalten strebt.

Denn was für Leute sind es denn gewesen.

Die dieses V fingst fest in die Wolken hebt?
Gelehrte etwa, vollgestopft mit Wissen,

In alten Schmökern jeder Art versiert?

Sie waren hungrig, hager und zerrissen
And sicher ungekämmt und unrasirt.

And ihr begeht, in aller Welt zu mehren
Die Fülle istress blutgetanften Guhmss,

Mit vollem Womp ein Ltirchenfest zu Ghren
Wcss Umsturz heischenden ApostelthumS?

Dass Volk allein kann diesem Feste schenken
Dess Herzenss warme, volle Sympathie,

Ihr aber habt ess längst verlernt, zu denken
Ihr spottet euer selbst und wißt nicht wie!

Der Städtetag.

So kehrt sie wieder denn, die Zeit des Ruhms.
Des steifen Rückgrats und der freien Rede.
Der ritterlichen, todesmuth'gen Fehde,

Die Rlüthezeit des deutschen Bürgerthums?

So strömt noch einmal denn, was wahrhaft ist,
Ruf die verlaffnen und verfallnen Schanzen,
Rm hier die alten Banner aufzupflanzen.

Zu tapfrem Streite mit Gewalt und List?

Ja, ja, nicht fehlt's an lärmendem Geschrei
Und darum dünkt's so manchem von den Braven,
Die fünfundzwanzig Jahre lang geschlafen.
Daß etwas hinter dem-Spektakel fei.

Wer aber wachte, sieht in Waffen stehn
Die alten Schwätzer nur, die alten Reimer,
Und wir — wir kennen unsre Pappenheimer
Und haben ihnen tief ins Herz gefehn.

Wann traten je sie für die Freiheit ein?

Sie pfiffen drauf, klang nur das Gold im Rasten,
Rur ihre Freiheit täppisch anzutasten.

Das soll natürlich nicht gestattet sein.

Und mit der neusten sogenannten Regung,

Die springquellgleich hervorzubrechen scheint.
Was ist im Grunde denn damit gemeint?
Doch nur die eigne Freiheit der Bewegung!

Wenn das Gesetz nur uns ein Leides that,
Rur die „Verführer" bei den Ghren packte.
Wenn Holz es nur auf unferm Rücken hackte
Und sie nicht auf die Hühneraugen trat.
Wenn uns das Ungeheuer nur umkrallt.

Das man in jeder Tonart jetzt bemängelt,
And sich an ihnen scheu vorbeigedrängelt —
Sie hätten nicht gemuckst und nicht gelallt!

Sie hätten noch ins Fäustchen sich gelacht
Und überall die Lnergie gepriesen.

Die da in Rerker und Exil verwiesen.

Was ihnen schlummerlose Nächte macht.

Ihr Schmunzeln und ihr Nicken — es verhieß
Der Nacht des Staates einen jeden Rnebel
Und Rautschukparagraph für „die um Bebel",
Wenn man sie selbst hübsch ungeschoren ließ.

Das hat die edle Rommission versöhn;

Das deutsche Bürgerthum hat nicht die Nuße
Auf Wunsch des Zentrums stets mit einem Fuße
In dem bewußten Freiquartier zu stehn.

Für seine Meinung brummen mag der Lump,
Der sich mit einer Redensart vergessen;

Dazu noch die geschäftlichen Intressen —
Rurzum, das ganze Nachwerk war zu plump.

Gelingt es aber, ein Gesetz zu baun.

Das uns durch Zehnen und durch Nerven schneidet.
Wobei jedoch das Bürgerthum nicht leidet.

So mögt ihr seelenruhig ihm vertrau».

Und schrie er heute „Freiheit" noch so laut —
Ls würde dann mit Wollust euch pariren
Und das Gesetz inbrünstig apportiren
Der fromme — Lsel in der Löwenhaut.

Pfingst-Betrachkung.

„Spät kommt es, doch es kommt", das Pfingst-
fest des Jahres 1895. Die jungen Frühlings-
blüthen sind meist abgefallen, wie ultramoniane
Umsturzanträge; der Mai ist verflossen, wenn der
Pfingstmorgen anbricht, und Herr v. Köller wird
hoffentlich auch bald zu den verflossenen Ministern
gehören. Die Debattenstürme des Reichstags
haben sich gelegt und auch die deutschen Professoren
können sich wieder auf den Bauch legen, wie sie
es gewöhnt sind, nachdem sie in eine Oppositions-
bewcgung hineingezogen worden waren, welche
ihnen die ungewohnteste Bewegung ist, die sie in
neuerer Zeit erleben konnten.

Ein feierlicher Pfingstfricdc hat sich über die
Welt gebreitet. Weltfriede herrscht von Wei-Hai-
wei bis Lennep-Mettmann. In Wei-hai-wei

siegten die Japanesen, dagegen haben in Lennep-
Mettmann die Chinesen gesiegt. Die Chinesen
sind stark in Folge ihrer Zahl, und wenn sie nur
fest zusammen halten, dann können sie in Bezug
auf menschlichen Fortschritt noch manches Große
und Bedeutende verhindern. Die kampflustigen
Japaner geben also Frieden, obgleich ihnen Ruß-
land unter gütiger Beihilfe der deutsch-französischen
vereinigten Diplonmtie das annektirte Festland
zu Wasser gemacht hat. Was der Friedensliga
nie gelingt: ein Einvernehmen zwischen Deutsch-
land und Frankreich herzustellen — einer ganz
gewöhnlichen russischen Jntrigue ist es gelungen!
Man soll daher die pouunerschen Junker nicht
mehr schelten, sofern sie nach dem Beispiel Ruß-
lands schauen, wenn sie wissen wollen, wie die
Welt regiert wird. Schon Bismarck hat nach
diesem Rezept gehandelt und hat in entscheidenden
Momenten — z. B. hinsichtlich der Emser Depesche
oder der Parteizugehörigkeit Hödels — der Welt
einfach einen „Russen" aufgebunden und mittels
dieses Russen seine Pläne durchgesetzt.

Wenn aber alles Frieden hält, so sollte man
auch den „Wahren Jacob" in Frieden lassen, statt
daß man ihn weit hinten in der schlesischen Türkei
des Umsturzes beschuldigt, weil er den ersten Mai,
den Feiertag des Weltfriedens, verherrlicht hat.
Die Juristen, welche so viel auf ihre Standes-
ehre zu halten pflegen, sollten es auch für Ehren-
sache halten, über den G e r i ch t s st a n d im Klaren zu
sein. Sie sollten wissen, daß man ein Blatt, welches
in einem der süddeutschen Kulturstaaten erscheint,
nicht da hinten in Ostelbien aburtheilen kann.

Wollen die Leute in Ostelbien auch einmal
etwas für die menschliche Kultur leisten, so haben
sie daheim ja hinreichend Gelegenheit dazu. Sie
können z. B. Berechnungen darüber anstellen, wie
viele neue Hypotheken die jetzt überschuldeten Be-
sitzthümer der ostclbischen Junker tragen könnten,
wenn der Antrag Kanitz durchginge. Man würde
 
Annotationen