Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1965

Vlihdratzt-Meldungen.

Berlin. Finanzminister Miquel will streiken, weil ihm zu wenig
Neue Steuern bewilligt worden sind; das Ausarbeiten von Vorlagen hat
er eingestellt. Vor Zuzug wird dringend gewarnt.

— Das preußische Kriegsministerium hat die Straßcn-
bcsprcngung für Berlin in Regie übernommen, um zu verhindern,
daß freisinnige Magistrats- und sozialdemokratische Versammluugsbeschlüsse
M viel Staub aufwirbcln.

— In Castans Panoptikum ist der Besitzer nunmehr selbst aus-
gestellt worden. Castan spielt mit einem kleinen Mädchen und der Gerechtig-
keit das liebliche Blindekuhspiel, und cs ist erfreulich auzusehen, wie geschickt
Herr Castan den Griffen der blinden Gerechtigkeit ausweicht.

Hamburg. Die kostbaren Tafclgenüsse, welche der Senat den
frenideu Gasten beim Kanalfeste bot, sollen nun auch in den Volksküchen
eingcführt werden, damit diejenigen Leute, welche solche Feste bezahlen,
doch auch etwas davon zu genießen bekonimen.

Neuukirchen. In die hiesigen Fabrikordnungen ist ein Passus
eingefügt worden, nach welchem allen hier Beschäftigten die Heraus-
forderung zum Duell strengstens verboten ist, da eine solche Gesetzes-
verletzung Moral und Sitte untergräbt.

Wien. Die Antisemiten haben die Republik proklamirt und bciRothschild
eine Anleihe gemacht, um ihre christlich-germanischen Ziele durchzuführen.
Zur Deckung der Anleihe soll die Konfiskation aller Börsen in Aussicht
genommen fein. -»-

Kuftig.

Es ist der Suff ein Laster!

So sagt ein alter Spruch;
Besonders der Spiritussäufer
Aommt stets in schlechten Geruch.

Die gehen in keine Spelunke,
wo Schnapsdunst verpestet die Luft,
Sie wissen sich solche Genüsse
Zu würzen mit köstlichem Duft.

Doch siehe, auch vornehmen Damen
Zuweilen der Spiritus schmeckt.

Die haben des Schnapses Geister
Im kölnischen Wasser entdeckt.

Sie kommen in üblen Geruch nicht.
Und kommen auch nicht in Verruf,
Indeß im Geheimen sie huld'gen
Dem parfümirten Suff.

Hobelsxäljnr.

Ich biu der Schreiner Säge
Und hoble kraftbeschwingt,

Weil ich die Hoffnung hege,

Daß unser Bau gelingt —

Der Bau der besseren Zukunft,

Der Bau der neuen Zeit,

Darin von Roth und Knechtschaft
Die Arbeit wird befreit.

In gewissen staatserhaltenden Kreisen versteht
man unter dem Begriff einer starken Regie-
rung nur, daß dieselbe starke Blamagen ver-
trägt, ohne daß die Minister stürzen.

„Mitreden will das Volk im Staat?
Wie kann es solches wagen!"

So spricht der Kanzler kummervoll —
„Ich habe ja selbst nichts zu sagen."

In Anhalt ist allen Arbeitern, welche weniger als 1050 Mark Ein-
kommen haben, das Landtagswahlrecht geraubt worden. Man hat damit
gerade das Verkehrte gethan — man hätte den Arbeitgebern dieser
Arbeiter das Wahlrecht nehmen sollen, denn wer tiicht cinsieht, daß
weniger wie 1050 Mark ein ungenügendes Einkonimen ist, der hat auch
nicht die nöthige Einsicht, um das Landtagswahlrecht richtig auszuüben.

Wenn es sich lohnt, dann zeigen
Auch große Gründer Fleiß —
So mancher Bankkrach bietet
Uns dafür den Beweis.

Nur produktives Schaffen,
Das pflegen sie nicht gern —
Im Stehlen sind sie fleißig,
Die stolzen, noblen Herrn.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Die schiefe Ebene.

(ös wächst der Reichthum stets in dieser Welt,
Ls häufen sich Milliarden auf Millionen,

Und dennoch müssen, die sie hergestellt.

In Lumpen gehen und in Höhlen wohnen.

Rach Brot hört ringsum ihr die Völker fchrei'n,
Ls dringt der Ruf durch der Paläste Mauern,
Man reicht dem Volk statt Brod nur einen Ltein
Und speist es ab mit höflichem Bedauern.

Rach Freiheit schallt der überlaute Ruf,

Daß man die Menschenwürde nicht verletze;
Doch statt der Freiheit allerorten schuf
Man immerfort nur neue Strafgesetze.

Der Philosoph verlangt Humanität
Und läßt uns seine weisen Lätze lesen;

Uch geht, ihr armen Philosophen, geht!

Der Mensch ist Lklav' heut wie er stets gewesen.

Bildung und Wahrheit fordert Jedermann,
Der Wissensdrang wird stark und immer stärker;
Doch ach, man hält mit Dogmen uns im Bann
Und mancher denkt darüber nach im Lerker.

Die alte Welt ringsum in Waffen starrt,

Lin Ulp drückt auf die Brust der Rationen,
Lr drückt auf sie gleich noch einmal so hart,
Lchrei'n um Lrleicht'rung sie von ihren Drohnen.

Und glaubt ihr wohl, so wird es ewig geh'n,
Die ihr uns überwacht mit finstrer Miene?

Lo geht's nicht nach der Menschheit lichten Höh'n,
Rein abwärts rollt die drohende Lawine.

Lie, die geballt aus Menfchennoth und Kual,
Lie will und kann und wird nicht ruhig bleiben.
Und darum überlegt's Luch doch einmal:

R>ie lange wollt ihr's noch so weiter treiben?

Auch eine Reform.

A. : Während in Süddcutschland im Eisen-
bahnwesen durch die zehntägigen Retour-
billets ein Fortschritt im Verkehrswesen zu ver-
zeichnen ist, hat Preußen an Reformen rein gar
nichts geleistet.

B. : Doch; auch Preußen hat eine Neuerung
im Eisenbahnwesen durchgeführt.

A.: Oho! und die wäre —?

SB.: Man sagt dort statt „Coups" „Wagen-
abtheil!" - ....

Grabfchrrft für Frredbrrg,

ehemaliger preußischer Iustizminister.

Er schuf einst das Sozialistengesetz

Und that gar Manchen damit verdrießen,

Jetzt hat unerbittlich der Sensenmann

Auch ihn für immerdar — ausgerviesen!

Vorschlag zur Güte.

A. : Die Generalversainmlung der antisemiti-
schen Partei hat beschlossen, cs solle den Juden
verboten werden, ihr Geld in Grundbesitz an-
zulegen. Was sollen die Juden aber dann mit
dein vielen, dadurch frei werdenden Gelbe an-
fangen?

B. : Sie sollen es den Antisemiten

p u m p e n? ——>—

Das Wahlrecht.

Das allgemeine Wahlrecht ist
Der Kummer der Feudalen,

Sie schätzen und sie achten nicht
Des deutschen Volkes Wahlen.

Von: Volk direkt gewählt zu sein,

Ist ihnen keine Ehre.

Ihr deutschen Wähler, merkt euch dies,

Und nehmt es euch zur Lehre.

Wenn solch ein Herr um Stimmen wirbt,
Und viel verspricht euch allen —

Der meint's nicht ernst, der mag euch nicht,
Drum lasset durch ihn fallen.

Dammerstein, der edle Vlitter.

Äammerstein, der edle Ritter,

Ztürzt sich wie ein Ungewitter
Ruf die Gozialistenkrut.

Äks ein großer Drachentööter
Will nicht ruh'n er, bis ein jeder
Drache liegt in seinein Blut.

Also spricht er kategorisch:

„Diese Jiührer, die historisch
Längst bei uns geworden sind,

Will ich — es ist keine Dichtung! —
Weihen grimmiger Vernichtung,

Wann und Waus und Weib und Kind!

Kann man sie sofort nicht tööten,

Dann verschickt man einen Veden
Allsogleich nach Afrika
And läßt Alle ohne Gnaden
An der Tropensonne braten,

Vis sie braun und schwarz allda.

Aufschub kann ich nicht mehr geben,

Bis zum Gerbst muß ich's erleben
And das Reich gesäubert sein.

Denn — es ist das kein Geflunker —
Deutsches Land gehört dem Junker
And der „Kreuzzeitung" allein!" —

Ach, im Gerbst, wenn Blätter färben
Bich und holde Blumen sterben,

Was mag wohl, o Gammerstein,

Der du jetzt verlassen sitzest
And ob dunkler Zukunft schwitzest,

Dann aus dir geworden sein?

Gerechte Strafe.

A. : Das Emporkommen der Antisemiten in
Wien ist die gerechte Strafe für die reaktionäre
Haltung der österreichischen Regierung.

B. : Allerdings — sie hat so lange die Wahr-
heit verfolgt, bis der Lueger obenauf ge-
kommen ist.
 
Annotationen