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1968

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«Die Kadaver stinken schon. Mir müssen ihnen Mickersheimersche Flüssigkeit* einspritzen, um sie bis zum tzerbst frisch zu erhalten/'

<* Wird zur Ronservirung von Leichen gebraucht.)

Line sxiritistlsktze Zißung.

Die Frage „Was nun?" setzte bekanntlich alle
Führer der Reaktion in Verzweiflung, nachdem
sie den Kadaver der todten Umsturzkuh verscharrt
hatten und nicht wußten, wie sie die Blamage
verwinden und der Sozialdeinokratie trotz alledem
zu Leibe gehen könnten.

Da kam Liebermann von Sonnenberg — das
erste Mal in seinem Leben — auf einen guten
Gedanken:

„Wenn Lebende keinen Rath mehr wissen, wenn
alle Weisheit uns erstorben ist, dann müssen wir
die Todten befragen."

In der That, die Reaktionäre haben sich schoir
oft in schmierigen Lagen befunden, und doch blieb
die Reaktion stets das Unkraut, das nicht verdirbt.
Und da die heutige Technik so weit vorgeschritten
ist, daß man auf spiritistischem Wege die Geister
Verstorbener recht gut herbeizitiren und zur Rede
stellen kann, so erschien der Gedanke Liebermanns
ganz annehmbar.

Es versammelten sich also ultramontane, libe-
rale, konservative und sonstige „staatserhaltcnde"
Parlamentarier in einem entsprechend schwarz aus-
gcstatteten Salon des „Kaiserhof" in Berlin, um
die Meinung Windthorsts, Laskers und Anderer
über die heutige Lage zu hören.

Zuni Medium wurde Ahlwardt gewählt, der sich
dazu als geeignet erwies, nachdem man durch Fest-
setzung eines opulenten Eintrittsgeldes seine Seele
mit Begeisterung für das Unternehmen erfüllt hatte.

Es war finster im Lokal — eine Finsterniß,
so dicht, wie sie die in der schwarz-weißen Wolle
gefärbten Reaktionäre sich nur wünschen können.
Das Medium Ahlwardt ließ ein geisterbeschwören-
des Klopfen ertönen und rief zunächst den Geist
Laskers an.

Eine Weile blieb Alles still. Dann verbreitete
sich iin Hintergründe ein eigenthümlich ungewisses
Hell-Dunkel, wie es den Laskerschen Reden inimer
eigen war, und inmitten desselben tauchte Eduard
Lasker, der Parlamentsheld der siebziger Jahre, auf.

Er war ein wenig blaß, das lange Schweigen
seit 1884 war ihm augenscheinlich nicht gut be-

kommen. Doch begann er mit der alten Rede-
gewandtheit:

„Meine Herren! Unvorbereitet wie ich bin,
ergreife ich das Wort, um die mir gänzlich un-
bekannte Sachlage nufznklären. Es handelt sich
augenscheinlich um eine jener Verlängerungen des
Sozialistengesetzes, welche uns immer so viel zu
schaffen machten, weil die Regierung nicht für aus-
reichende Gründe sorgte —"

„Zur faktischen Berichtigung!" rief Bennigsen
dazwischen. „Wegen einer solchen Kleinigkeit wür-
den wir die abgeschiedenen Geister nicht bemüht
haben; über das Fehlen von Gründen haben mir
uns immer hinweggesetzt. Aber es handelt sich
um Erfindung eines ganz neuen Systems der
Sozialistenvertilgung, da die bisherigen Systeme
sämmtlich bankerott sind."

„Ah, Herr von Bennigsen!" unterbrach Lasker
seine Rede, „sind Sie noch immer nicht Minister?"

Bennigsen ließ ein unwilliges Gebrumm ver-
nehmen und Laskers Geist fuhr in seiner Rede
fort. Er setzte gründlich auseinander, daß in
solchen Fällen die liberale Partei die Vorschläge
der Regierung zuerst grundsätzlich ablehucn, dann
dieselben aber annchmen müsse, um, wenn sie
Gesetz geworden seien, wieder dagegen Opposition
zu machen. Diese Taktik sei in der ganzen Ent-
wicklung des deutschen Liberalismus maßgebend
gewesen.

„Aber eigentlich ist das doch recht blamabel",
bemerkte Eugen Richter.

„Ganz recht", schloß Lasker, „was mir zu
Lebzeiten nur instinktiver Leitfaden war, ist mir
inzwischen sonnenklar geworden: es ist eben die
große geschichtliche Aufgabe des deutschen Liberalis-
mus, sich unausgesetzt zu blamiren."

„Aber wohin führt das?" fragte Rickert.

Da breitete Lasker seine Geisterarme wie
segnend über die anwesenden Parlamentarier aus,
hob sich unhörbar empor, sprach langsain und
feierlich noch das eine Wort „Dalles" und ver-
schwand.

Die Gesellschaft blieb betroffen im Dunkeln
sitzen. Das Medium Ahlwardt jedoch, ivclches
sich durch keinen Dalles verblüffen läßt, setzte

sofort den Klopfapparat wieder in Bewegung und
rief: „Windthorst!"

Und Windthorst, die Perle von Meppen, kam.
Er zeigte sich zuerst von rückwärts, was daher
kam, daß er sich, als er von den neuesten
Blamagen des Zentrums erfuhr, im Grabe um-
gedreht hatte. Doch machte er bald eine Schwen-
kung, putzte seine Brille und fragte, was den
Herren zu Diensten stehe.

Man legte ihm die Frage vor, ob es wahr
sei, daß durch den Fall der Umsturzvorlage die
Bahn für ein neues Sozialistengesetz frei geworden.

Windthorst schüttelte das Haupt.

„Eine tobte Kuh wird nie ein Kalb gebären",
äußerte er diplomatisch.

„Und wer soll künftig der berufene Führer
der Zcntrumspartei sein?" wurde aus den Reihen
der Schwarzen gefragt.

Mit Spannung harrte Alles der Antwort.
Bachem, Lieber, Gröber und Graf Preystng er-
hoben sich erwartungsvoll.

Der Geist Windthorsts warf ihnen einen zor-
nigen Blick zu und begann:

„Ich will es Euch sagen! Begebt Euch ans
Brandenburger Thor, cngagirt einen der dort
stehenden Packträger, zahlt ihm pro Stunde fünfzig
Pfennig und beauftragt ihn mit der Führung der
nltramontanen Partei. Er wird sie besser führen
wie Bachem, Lieber, Gröber und Genossen!"

Die anwesenden Schwarzen waren sehr be-
troffen, die Liberalen konnten ein schadenfrohes
Lachen kaum unterdrücken.

„Wie sollen wir es anfangen, um in Zukunft
noch eine große Rolle zu spielen?" fragte endlich
Bachem.

„Dazu gicbt es nr:r ein einziges Mittel",
äußerte Windthorsts Geist zögernd. Seine Stimme
hatte jetzt einen wehmüthigen Klang.

„Welches ist das Mittel?" riefen die Schwarzen.

„Werdet Sozialdemokraten!" antwortete
Windthorst und verschwand.

Beklommenes Schweigen herrschte. Endlich
ermannte sich Kardorff.

„Genug von den Rednern! Rufen wir einen
Mann der That — rufen wir Moltke!"
 
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