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1981

Selbstmord auf Wache. ••§=**••

i>cim Lchießstand auf dem Posten —:

Wie das knattert
And pfaucht und zischt und durch die Lüste fegt!
Höchst körperhaft erscheint die leidste Luft:

Lin zwischen Lrd' und Himmel ausgespanntes.
Von unsichtbaren, festen Riesenfäusten
Gestrafftes Kalbsfell; hell und gell erklingt's.
Wenn eine Kugel wüthend es durchschlägt.
Und knatternd flattern rings die Fetzen! —

horch. —

An jede kleine Kugel heftet sid)

Wie ein Kometenfd)weif ein Lchlangenbüschel,
Das zeigt ihr hetzend, stachelnd, zischelnd, tuschelnd
Den Weg dahin, wo über'n Grabenrand
Nit Laueraugen sd)ielt Gevatter Nord. —
Hierher! Hier ist ein Ziel für tausend Kugeln,
And jede wär' willkommen. Line Zchmach
Und einen Lkel gilt's hier auszubrennen.

Für die ein Tod nicht zur Vernichtung reicht.-

Wie schwül der Lommermittag! Uebers Noor
Ztreicht dann und wann mit weichem Gruß der

Wind

Wie flücht'ger Zchrvalbenfittich. Leibst die Luft
Zchläft unruhvoll und wälzt im Traume sid)
Auf ihrem Rlumenlager, und ihr Hauch
Ist heißer Athem, der nad) Kühlung seufzt. —
Wie groß die Welt im breiten Lonnenglanz!
Der Ginster reckt sich straff und stramm empor
And lad)t der Lonne trotzend ins Gesid)t;
Denn er aud) sprüht in goldnen Klammenfarben
Den Daseinsjubel aus —

nur hier, nur hier

Im Herzen fchwält ein schnöd ersticktes Feuer,
Aufblakend hier und da mit blut'gem Äualm,
Der mir den Linn umschleiert, aber dann
Hinkriechend wieder unter sd)mutz'gem Rauch...

<Lin Monolog.)

Ich helf dir. Klamme:

„Rur nod) kurze Zeit:
Ablösung folgt, und lustig geht's zurück
In die Kaserne . . . ."

Heißa, eine Garbe

2d)ießt prasselnd auf, und Nillionen Kunken
Durchwirbeln feurig sengend mein Gehirn.

Ich kehre nicht zurück; id) bin entschlossen.
Bemüht eud) nicht: id) löse selbst mid) ab. —
Ich war ein Nensd), da id) zu euch gekommen.
Und war ein Mann, und eines Mannes Ltolz
Trug ich mit gutem Recht in meiner Brust.
Ihr habt mich unter eurem Aagelschuh
Zertreten, habt der Gottheit Bild in mir
Geschändet und so ganz vernichtet, daß
In schlummerlosen Nächten ich geweint,
Ruhlos geweint um mein verlornes Lelbst.

Als jener.Nensd), dem ohne Gnade

Ich überliefert bin zur Peinigung,

Befahl, daß id) — ein Mensch—gleich einem Hunde
Im Ltanbe vor ihm läge — und die Waffe
Dreihundertmal vor seinen Augen strecke —
verflucht, ich that's. Id) hab's gethan! Pfui

Teufel.

Lo lang ich lebe, muß ich vor mir selbst
Lrröthen, und bejammern, daß man sich
Rid)t selber ins Gesid)t kann spei'n. Nein Gott:
Wohl wogte plötzlid) vor den Blicken mir
In einem Augenblick ein Neer von Blut —
Dann aber war es mir mit einem Mal,

Als ob in meinem Kopfe eine Hand

Nit kalten Kingern mein Gehirn umspannte —

Lin schwarzer Vorhang rauschte langsam nieder—

Die Lider sanken unter kalten Ld)auern-

Ich that ihm nid)ts; id) folgte wie ein Hund;
Denn vor dem inner» Blick erschienen mir

Nein Vater — meine Mutter....

Vater, Vater!

An deiner Hand bin ich durch meine Jugend
Gewandelt wie durd) einen Lommertag.

Du hast mir eine Welt geschenkt wie diese.

Die tausend Träume spinnt aus Lonnenstrahlen.
Id; stand, ein Knabe, zwischen deinen Knieen
And sd)aute träumend durd) dein großes Auge
Mit langem Blick in meiner Hoffnung Land.
Lin Knabe, stand id) zwischen deinen Knieen,
And aus des Kinderauges 2d)immer tauchten
Die fernen Küsten deiner Hoffnung auf.

Dod) Hoffnung sank ins Grab....

Mir ist, als kämst du
Zum letzten Gruß nun übers Noor gegangen:
Das Lonnenlicht küßt deiner Haare Lilber
iltit schwesterlicher Freundlichkeit — V du.

Du hättest nicht getragen, was id) trug.

And willst and) nicht, daß id) es länger trage.

An meiner Leiche, Vater, liebe Mutter,
vereint ihr bald die brennend heißen Chränen.
vielleid)t ist's euer Tod — id) kann's nid)t wenden.
Bedenkt, daß id) den großen Haufen Leiber
vergrößre, der fd)on bald zum Himmel reid)t.
Ja, glaubt mir's: bald ist er so hod) gethürmt.
Daß der Verwesung grauenvoller Hauch
Dem Herrn der Welt sein Paradies verpestet.
Dann wird vom Gipfel jenes Leid)enbergs
Lin Vogel kommen, der die schwarzen Flügel
vom Aufgang breitst bis zum Niedergang.
Wenn er die schweren feud)ten Ld)wingen

schüttelt,

Lo rausd)en aus den Wolken Ltröme Bluts;
Wie Lturm und Wetter fegt sein Flug die Lrde,
And langgezogen gellt von Zeit zu Zeit
Zem Lchrei nad) Lühne durch die Todtenstille.

gefangen, fühlten sie zwanzigmal, wie der Tod an
ihnen vorüberzog.

„Himmel, Herrgott!" sagte Maurice, „wir
kommen da nicht heraus."

Er war leichenfahl und ein Schauer erfaßte
ihn von Neuem; und auch Jean, der so tapfer
war und ihn des Morgens aufgcriditet hatte, er-
blaßte, von einer eisigen Kälte ergriffen. Das war
die Furcht, die schreckliche, ansteckende, unmider-
stehlick)e Furcht. Abermals verzehrte sie ein lech-
zender Durst, eine unerträglidie Trockenheit des
Mundes; die Kehle schnürte sich ihnen mit hef-
tigem Schmerz zu, als würden sie erdrosselt. Das
war von Uebclkcitcn, von einem Gefühl des Ekels
in der Magengrube begleitet, indeß die Spitzen der
Nadeln ihnen die Beine zerstachen. Und in dieser
ganz und gar physischen Qual der Furcht sahen
sie mit zusammengepreßtem Kopf Tausende von
schwarzen Punkten einherschwirren, als hätten sic
int Vorüberstreichm die fliegende Wolke von Kugeln
unterscheiden können.

„Ah, verdammtes Pech", murinelte Jean, „das
ist gleichwohl ärgerlid), sich hier den Schädel für
die Anderen einhauen zu lassen, indeß die irgend-
wo rrd)ig ihre Pfeife rauchen."

Maurice fügte verstört und erregt hinzu:

„Ja wohl, waruin denn gerade ich und nicht
ein Anderer?"

Es war die Empörung des Ich, die selbst-
sück)tige Wuth des Individuums, das sid) nicht
für die Gattung opfern, nid)t sterben will.

„Und wenn man nod) den Zweck ivüßte",
sagte Jean, „wenn es zu etwas tarigcn würde."

Indessen gewöhnten sich Maurice und Jean
and) an diese neue Lage; und in das Ucbermaß
ihres Sdircckcns n>isd)tc sid) eine Art Bewußt-
losigkeit, eine Art Rausch, die Tapferkeit war.

Sie beeilten sich sck)ließlich nicht einmal mehr,
wie sic so den flnd)ivürdigcn Wald durchschritten.
Das Granen war noch gewackisen inmitten dieses
Volkes bombardirter Bäume, die, ans ihren Posten
getödtct, von allen Seiten niedcrstürzten, gleich
starren, riesenhaften Soldaten. Unter dein Laub-
werk in der köstlichen grünen Dämmerung, tief
innen in diesen geheimnißvollcn, mit Moos ans-
tapezirten Verstecken schnaubte der Tod. Die ein-
samen Quellen wurden entweiht, Sterbende röchel-
ten in verlorenen Winkeln, wohin bis jetzt sich
bloß Liebende verirrt hatten. Ein Mann, dem
die Brust von einer Kugel durchbohrt wurde,
hatte, indem er mit dem Gesicht zur Erde fiel,
gerade nock) Zeit, zu rufen: „Getroffen!" Ein
Anderer, dem beide Beine von einer Granate zer-
schmettert worden waren, lack)te, da er nick)ts von
seiner Verwundung ivußte, sondern glaubte, über
eine Wurzel gestolpert zu sein. Andere, tödtlich
getroffen, sprachen und liefen mit durchbohrten
Gliedern noch mehrere Meter, bevor sie in jähem
Krampfe sich überschlagen. Im ersten Augenblick
spürte man die tiefste Wunde nicht, und erst
später begannen die furchtbaren Schmerzen und
machten sick) in Schreien und Thränen Luft.

O, der verruchte Wald, der nicdergemetzelte
Forst, der sich unter dem Schluchzen der sterben-
den Bäume allgcmack) mit dem heulenden Jammer
der Verwundeten erfüllte. Zn Füßen einer Eiche
sahen Maurice und Jean einen Zuaven, der mit
offenen Emgeiveiden den unaufhörlichen Schrei
eines abgestochenen Thiers ansstieß. Nicht weit
davon lag ein Anderer in Flammen: sein blauer
Gürtel brannte, das Feuer griff um sich und ver-
sengte seinen Bart, indeß er, da ihm offenbar die
Lenden zermalmt waren, sick) nickst rühren konnte
und heiße Thränen weinte. Dann sah man einen

Hanptmann, dem der linke Arm weggerisscn, die
rechte Seite bis zum Sck)enkel zcrfleisck)t war, auf
dem Bauch ausgestrcckt, sick) ans den Ellenbogen
dahinschleppen und mit schriller, grauenvoll flehen-
der Stimme bitten, man möge ihm den Nest geben.
Andere noch, viele Andere litten entsetzlich und
besäten die grasbewachsenen Fußwege in so großer
Zahl, daß man sick; in Ack)t nehmen mußte, um
sie nicht auf dem Marsche zu zertreten. Aber die
Verwundeten und die Todten zählten nicht mehr.
Der Kamerad, der fiel, wurde im Stich gelassen,
vergessen. Nicht einmal ein Blick wurde nack)
rückwärts geworfen. Das war die Bestimmung.
Ein Anderer kam dran, viclleickst man selbst.

Plötzlich, als man den Saum des Waldes er-
reichte, erscholl ein Schrei wie zum Appell:

„Zu mir her!"

Es war der Unterlieutenant, der Fahnenträger,
der eine Kugel in die linke Lunge bekommen hatte.
Er war gestürzt und spie aus vollem Munde Blut
hervor. Und da er sah, daß Niemand stehen blieb,
hatte er die Kraft, sich anfznraffen und zu rufen:
„Zur Fahne!"

Mit einem Satz kehrte Rochas um und ergriff
die Fahne, deren Schaft zerbrochen war; indeß
der Unterlieutenant, durch den blutigen Schaum
verschleimt, die Worte murmelte:

„Ich ... ich Hab' mein Theil... Hol's der
Teufel... Rettet die Fahne!"

von dem Bilde:

-«xD Der letzte Schuß 'a*®-

von

G. Marcus

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