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— 2046

Er hörte auf, gegen die Bettler zu donnern, beschwichtigte sich, trat zu dem Käsig und begann die Eigenschaften
seiner Thiere zu rühmen, indem er sie mit Zuckerstückchen fütterte.

brachte oft ganze Tage ohne Brot und die Nächte unter freien: Himmel
zu! Und der Bursche besaß Geist, Gemüth, Ehrlichkeit und Sanftmuth.
Herr Klinkerfuß konnte sich nur beglückwünschen, wenn er ihn in seine
Werkstätte nahm.

Das Professorengesicht des Herrn Buchdruckereibesitzers umdüsterte
sich ob meiner Bitte, und eine Grimasse gab seinem Mund plötzlich
die Form eines Hufeisens. Denn er mochte die Bettler nicht, nein!
Und indem er seinerseits das Wort ergriff, warf er es mir als Un-
klugheit vor, daß ich mich mit einem Verurtheilten befasse, dessen Strafe
nach seiner Meinung niemals ausreichend sein könne! Wer sich ein-
fallen lasse, die öffentliche Ruhe und Ordnung zu stören, sei ein Böse-
wicht. Ein guter Arbeiter solle stets nur an seine Pflicht denken; diese
Pflicht sei arbeiten, Steuer zahlen u. s. w.

Ich glaubte mich verpflichtet, den Ausführungen des Herrn auf-
merksames Gehör zu schenken. Eine unbestimmte Hoffnung gab nur
Geduld. Vielleicht ließ er sich doch erweichen, meinen Schützling in
Arbeit zu nehmen.

Während der Rede fielen n:eine Augen auf einen vergoldeten Käfig,
in dem sich eine weiße Maus befand, mit lebhaften Augen, spitzem,
netten, säubern Schnäuzchen und langem Schwänzchen. Bald sprang
sie in eine Trommel und trieb diese mit aller Kraft ihrer kleinen, rosigen
Pfötchen hernm; bald stand sie, einem kleinen Menschen ähnlich, auf-
recht, holte sich mit ihren Klanen eine Näscherei herunter und knusperte
daran.

Welch hübsches Mäuschen! Aber sieh, da kommt seine Gefährtin,
nicht minder weiß, aus ihrem Bauiuwollennest und — schau, wie
wundernett! — drei kleine, ganz kleine Mäuslein, die ihre Schnauzen
herausstecken! Offenbar Neugeborene. Eine ganze Faniilie!

Herr Klinkerfuß bemerkte mein Staunen. Er hörte auf, gegen
die Bettler zu donnern, beschwichtigte sich, trat zu dem Käfig und be-
gann, die Eigenschaft seiner Thiere zu rühmen, indem er sie mit Zucker-
stückchen fütterte.

Inzwischen nahm ich das Gespräch wieder auf;
ich drang nochmals in ihn, meinem arn:en Teufel
Arbeit zu geben. Ich versuchte, Herrn Klinkerfuß
zu erweichen. „Der Hunger", sagte ich, „ist ein
böser Rathgeber; Jemanden aus dem Elend zu
retten, ist eines gerechten Mannes würdig." Und
ich fühlte in mir den Muth, der Eitelkeit des Herrn
zu schmeicheln, indem ich durchblicken ließ, daß dieser
gerechte Mann ganz gut Herr Klinkerfuß selbst
sein könnte.

Allein in dem Augenblick, als ich eine stumme
Nachgiebigkeit in seinem Gesicht zu beinerken glaubte,
entstand plötzlich ein großer Lärm auf der Treppe.
Mit einem Sprung öffnete Herr Klinkerfuß das
Fenster. Verschiedene Stimmen riefen:

„Haltet sie! wir haben sie! O das Mistvieh!"
Und Herr Klinkerfuß schrie mit den anderen:
„Schlagt sie todt, schlagt sie tobt 1"

„Was ist denn los?" fragte ich.

„Eine Maus!"

„Wie, eine von Ihren weißen Mäusen?"
„Nein, eine gewöhnliche Maus, eine graue
Maus. Stellen Sie sich vor, daß dieses Gezücht
trotz den Katzei: bis in meine Werkstätten koinmt.
Sie benagen all mein Papier. Aber sie haben
eine gefangen, Gott sei Dank! Die wird todt-
geschlagen!"

Und der Herr Chef vergaß seine Würde, beugte
sich mit der Hälfte des Leibes zum Fenster hinaus
und schimpfte auf das arme Thier, welches mau

in einem Winkel mit den Absätzen zertrat.-

Schaudernd wandte ich unwillkürlich die Augen
dem vergoldeten Käfig zu. Und diese Thiere schienen
die quietschenden Laute zu hören, die einen: ihrer
Genossen in: Todeskampfe ausgepreßt wurden. —
Das Männchen richtete sich auf und spitzte die
Ohren. Es horchte ein Weilchen. Dain: sprang
es mit einem Satze in die Troinmel und begann
zu treten. Seine Gefährtin blieb in ihren: Baumwollnest.

„Nun, Herr Klinkerfuß, haben Sie sich entschlossen?" wagte ich
schüchtern zu fragen.

„Nein, nein! Es thut mir recht leid, Ihnen einen Korb
gebe,: zu müssen, ich kann Ihren den: Gefängniß entsprungenen
Schützling beim besten Willen nicht aufnehinen. Uebrigens, un: die
Wahrheit zu sagen, brauche ich augenblicklich keinen Setzer. Ich sollte
eigentlich noch einen entlassen. Also — —."

Ich ging verbitterten Herzens fort. Närrisch wie ich war, hatte
ich nicht übel Lust, die Vorübergehenden, die Bäume, kurz Jeden zu
frage,:, warum ein Lebewesen alles Gute genießen darf, während das
andere elend zu Grunde gehen muß, in Folge jenes Zufalls, der weiße
oder graue Mäuse hervorbringt.


Verantwortlich für die Redaktion Georg Baßier in Stuttgart. — Druck und Verlag von I. H. W. Dietz in Stuttgart.
 
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