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2061 •-

Der Wirth, der Viehhändler und der Handwerksbursche eilten so-
fort hinaus.

Er aber, der fetzige Geheime Kommerzienrath, Ehrenbürger und
Stadtrath a. D., der bis dahin gezittert und gebebt und den Thaler
in seinem Stiefelschaft geborgen hatte, warf noch einen Blick auf das
heftige Schneegestöber draußen, nahm dann sein Taschenmesser heraus
und zeichnete ans den Thaler seines Leidensgefährten an der von dem
Viehhändler bezeichnctcn Stelle ein Kreuz.

Als der Wirth den Thaler anfnahm, sah er nach der vorher-
gcgangencn Auseinandersetzung sofort das Kreuz, welches er sonst nicht
bemerkt haben würde. Der Handwerksbursche wurde den ihm ins Gesicht
geworfenen Beschuldigungen gegenüber grob und trotzig und sodann von
dem schnell herbeigerufenen Polizisten verhaftet und abgeführt. Wohl
zitterte der ungetreue Kamerad, als er den ins Elend Gestoßenen ab-
führen sah. Die Bemerkungen über den Dieb schnitten ihm ins Herz,
aber er hatte nicht die moralische Kraft, die Wahrheit zu sagen.

Der Vertreter des Staats hatte nicht viel Mühe mit ihm, der
Schnldbewcis >var klar und vollständig erbracht, und wenn dein Ver-
urteilten auch „mildernde Umstände" zugebilligt wurden, war ihm doch
sein ganzer künftiger Lebensweg als „Bestrafter" ein für allemal ver-
dorben.

Unsere Justiz kann einmal beim besten Willen nicht anders in
unserer vorzüglich eingerichtete» Gesellschaftsordnung:

Weder Ochs- noch Stier-
Opfer fallen hier,

Aber Menschenopfer ungezählt.

Der zukünftige Geheime Kommerzienrath und Ehrenbürger hatte

von jetzt ab großes Glück. Zunächst schenkte ihm der über die Ent-

deckung des Diebes hocherfreute Wirth beim Anblick seiner armseligen
Barschaft die Zeche, der Fuhrmann legte noch einen Zehrpfennig hinzu,

und dann war er froh fortgceilt, bis er in die Stadt kam, wo die

Arbeitsgenossen seiner Branche wegen Lohnherabsetzung streikten. Da
hatte er gleich bei einer Witwe Arbeit gefunden, die ihn bald zur ord-
nungs- und sittengemäßen Ehe nöthigte, damit dem Staate, der sich ja
auf die Familie stützt, kein Schaden erwüchse.

Die Entwitwete that ihm indessen den Gefallen, ihn bald des
Glückes der Witwcrschaft thcilhaftig werden zu lassen, und nun hatte
er auf Grund dessen, was er erbte, die Gelegenheit, durch eine zweite
Heirath noch viel mehr zu bekommen.

Zu seinem Ruhme müssen wir erwähnen, daß er als reicher Mann,
da ihm einstmals der Thaler, den er nie auszngeben gewagt, zufällig

in die Hände kam,
sich nach denr ar-
men Opfer seines
damaligen ausge-
feimten Diebstahls
erkundigte.

Die Antwort
lautete: Gestor-
ben, verdorben.

„Gestorben,
verdorben," mur-
melte auch jetzt
der Geheime Kom-
merzienrath, der,
während er diesen
Erinnerungen
nachhing, ein GlaS
Tokayer nach dem
anderen getrunken,
den Thaler mit
dem Kreuz aber
immer in der
zitternden Hand
gehalten hatte, und seine Gedanken wurden trüber und trüber.

Er sah Schneeflocken draußen, obwohl die Fenster mit schweren
Gardinen verhängt waren.

Dann dachte er an den armen Wanderburschen, gleich darauf
wieder an daö so ganz rücksichtslose Enkelkind, seinen Liebling, das den
Krönungsthaler so verächtlich auf den Boden geworfen und gerade diesen
bekreuzten Thaler haben wollte, und wie er so oft in seiner amtlichen,
wie in seiner Vereinsthätigkeit gegen das „Vagabunden- und Handwerks-
burschenthum" und die „Arbeitsscheu" und „angebliche Arbcitslosen-
noth" gewettert, und immer blieb der bekreuzte Thaler in seinen Hän-
den kleben.

So fanden ihn auch die Seinigen ain nächsten Morgen, steif und
kalt in seinem Lehnstuhl zurückgesunken, und den Thaler in seiner
erstarrten Hand.

Wohl zitterte der ungetreue Kamerad, als
er den ins Elend Gestoßenen abführen sah,
aber er hatte nicht die moralische Kraft, die
Wahrheit zu sagen.

mmm

UNSRES

BUKOERf-
 
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