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. 2069

An die nationalliberale Partei. 2^

(Zur Dortmunder Wahl.)

s geht ein dumpfes Weh- und Wnthgeheut
Durch alte Spalten unsrer „guten" Dresse,
Und die berücken und die Zapfe spüren
Den Gründen dieser Niederlage nach
Und suchen angstvoll sie in allen Lcken.

Uns scheint, sie liegen auf der flachen Hand,
Und die Verbohrtheit nur kann sie verkennen.
Wem die Musik in dieser Wahl mißfällt,

Der sollte nicht vergessen, daß deir Ton
Zu ihr gegeben der Vrozeß von Tsseu,

Das Meineids-Drama, das sich dort vollzog.

Als seinen Spruch das Schwurgericht gefällt,
Den Spruch, der über Schröder und Genossen
Den Stab zerbrach, da hat es auch deir Aast'
Entschieden des „(Lrwerbsgenosten Möller".

Ihr aber, die ihr jenen Spruch bejubelt
Und ihn beim Klingen der Champagnergläser
Als Sieg gefeiert, ihr habt nicht bedacht,

Daß einen Reichstagssih er kosten werde;

Kurzsichtig wart ihr wieder, wie so oft,

Und ohne Kunde der geheimen Mächte,

Die in des Volkes tiefer Seele walten.

Was diesem Möller, einem von den Türen,

Dein Typus einer uubarmherz'geu Klasse,

An diesem Wahltag das Genick zerbrach:

Das wart ihr selbst als Schwurgericht in Tssen;

Ihr schuft die Stimmung, die ihn niederwarf,

Die ihn verzehrte, wie ein Seidenssöckchen
Zn rothcr Lohe spurlos sich verflüchtigt.

Vei euch, ihr Herrn, mag Möller sich bedanken,

Vei euch der Staatsmann, dem ein solcher Spruch
Des Volksgerichtes an die Nieren gehl!

Das ist die Lehre, die euch Dortmund giebt,

Doch nühen wird sie euch genau so viel.

Als alle früheren. Heim nächsten Anlaß

Macht ihr's genau so dumm, wenn nicht noch dümmer,

Falls im Vereich der Möglichkeit das läge.

Ode

a» &tn Grobrn-Unfugs-Paragraphin.

Sei uns gepriesen. Paragraph.

Der Vrdnnng stärkste Säule.

Der Staatsanwälte Herzenslust.

Iustitia's Herkuleskeule;

Der du beschützest unser Reich
Vor Umsturz und verderben;

Denn ohne dich ging sicherlich
Längst die Kultur in Scherben.

Gleichwie der Stab in Magiers Hand.
Kannst du jedwedes Handeln.

Lin jedes Mort in Rede. Schrift.

In ein Delikt verwandeln.

Ja auch das Schweigen. auch das Ruhn.
Das Wachen wie das Schlafen.

Das Sitzenbleiben wie das Stehn.

V Perle der Paragraphen!

Du bist des Reichs Damoklesschwert.

Zein Bambus, seine Knute.

Der Freiheit Geißel. Gummischlauch
Und Girce's Zauberruthe,
verglichen mit den Schlau'n. die dich
So fein gesponnen haben.

Sind Moses, Solon und Lykurg
Dis reinsten Waisenknaben!

Zeitgemäß.

S t a a t s a n Iv a l t (}U einem alten Zuchthäusler):

Haben Sie noch etivas anzuführen, was Ihre
Strafe mildern könnte?

Angeklagter: Jawohl, ich biit — kein
Sozialdemokrat!

Japanischer Spruch.

Schlimm,

Wenn die Justiz sich irrt.

Schlimmer.

Wenn Justiz zur verbrecherin wird!

Bei Hohenlohe.

Obgleich wir unmittelbar vor der Eröffnung
einer Rcichstagssession stehen, herrscht lloch ab-
solute Unklarheit darüber, welche Pläne und Ab-
sichten in den leitenden Kreisen vorherrschen und
was ivir von der nächsten parlamentarischen
Kampagne zu erwarten haben.

Der „Wahre Jacob" hat es daher zur Auf-
klärung seiner Leser für nöthig gehalten, den Leiter
unserer Politik, den Reichskanzler Fürsten Hohen-
lohe über die nächsten Ziele seines neuesten Kurses
interviewen zu lassen, und wir sind nun in der
Lage, das vorhandene Dunkel zu lichten.

Unser Interviewer schreibt uns:

Als ich mich bcini Fürsten Hohenlohe an-
melden ließ, hatte er gerade Besuch; einige Prinzen
aus Ostelbien waren da, ferner ein Zahlmeister
des Königs Stumm, der gerade eine Million ge-
bracht hatte — ich iveiß nicht, 31t welchen: Zwecke —
und noch ähnliches solches Volk. Der Fürst ließ mir
daher sagen, daß er mich nicht empfangen könne.

Mit überlegenem Lächeln hörte ich diesen Be-
scheid des Kammerdieners an und criuibcrtc nur:

„Sagen Sic dem Fürsten, ich sei ein Ver-
treter der Presse!"

Der Diener klappte ehrfurchtsvoll zusammen
und verschwand. Im nächsten Augenblick ivarf er
auf Befehl seines Herrn die Prinzen und den übrigen
Mob hinaus und lud mich ein, näher zu treten.
Vor den Rcpräsentänten der Presse hat Fürst
Hohenlohe nämlich eine unbegrenzte Hochachtung.

„Guten Tag, lieber Fürst", sagte ich, indem
ich es mir auf dem Divan bequem machte und
eine Zigarrette ansteckte. „Ich komme, Sie ein
wenig auszuhorchen."

„Sehr liebenswürdig", antwortete Hohenlohe.
„Von welcher Zeitung sind Sie, wenn ich bitten
darf?"

„Vom „Wahren Jacob"; Sie ivissen ja --
der immer Ihr Bild so schön bringt..."

„Sehr wohl; — sagen Sic dem Zeichner mein
Kompliment", bemerkte Hohenlohe erfreut.

„Ich möchte Sie also fragen", begann ich,
„wo Sie mit Ihrem sogenannten neuesten Kurs
eigentlich hinaus wollen?"

„Ja, ja, mit dem nettesten Kurs", entgegnete
Hohenlohe nachdenklich; „das will ich Ihnen ohne
alle Uinschweife ganz genau sagen. Also in
welcher Beziehung meinen Sie zltnüchst?"

„Nlin, zum Beispiel, ob Sie tvicdcr ein neues
Umsturzgesetz beabsichtigen?"

„Ich? Wie können Sie glauben?" fragte
Hohenlohe. „Höchstens der Köller könnte so etivas
im Schilde führen."

„Ja, der Köller", sagte ich, „der ist ein Gegner
von Kunst und Literatur, mtb mag nichts Ge-
drucktes leiden. Aber auf diesem vorsintfluthlichen
Standpttnkle stehen doch Sie nicht, Herr Fürst?"

„O nein", sagte Hohenlohe, „übrigens — wie
man's nimmt! Das viele Lesen ist entschieden
schädlich für die Angen."

„Aber man hat sich doch mit der vorigen Um-
sturzvorlage genug blamirt", entgegnete ich, „man
braucht doch diese Blamage nicht zu wiederholen."

„Nein, das braucht man nicht", stimmte
Hohenlohe bei, „also seien Sic unbesorgt, es wird
wohl nichts Derartiges kommen."

„Gut", sagte ich, „und werden Sie wieder
eine Tabaksteuer cinbringen?"

„Da haben Sie Recht", meinte der Kanzler,
„das könnte man wieder einmal versuchen."

„Aber sie ist erst kürzlich abgelehnt worden",
wandte ich ein.

„O, das macht nichts", beruhigte niich Hohen-
lohe, „der Weg zur Annahme von Steuervorlagen
ist mit Ablehnungen gepflastert."

Ich konnte das nicht bestreiten, gab aber
meiner Bcsorgniß darüber Ausdruck, daß die
Tabakindustrie schon wieder beunruhigt werdet!
würde. „Das sollte man doch vermeiden."

„Freilich, freilich", sagte der Fürst lebhaft.
„Also lassen wir cs sein."

„Miguel führt dentnach nichts Böses im
Schilde?" fragte ich weiter.

„O gewiß nicht!" bethenerte Hohenlohe.
 
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