— 2164
• &&L Vergiftet
Line Lpisode aus dem Ivahlkampfe.
ie Sozialdemokraten in hatten einen empfindlichen
Verlust erlitten. Ihr Wahlflugblatt war in der
Druckerei des Parteiorgans in hunderttausend
Exemplaren konfiszirt worden.
Diese Maßregel an sich erregte nun keineswegs Erstaunen bei den Be-
troffenen. Aber eine Frage erregte lebhaftes Kopfschütteln: wie konnte der
im Dienste der Reaktion allezeit schlagfertige Polizeidirektor Rattensieber so
genau wissen, wann das Flugblatt gedruckt wurde, und wie konnte er
eine Ahnung von dem Inhalte der noch nicht erschienenen Schrift haben?
Das Personal der Druckerei war absolut zuverlässig, das Wahl-
komite bestand aus braven, ehrlichen Arbeitern — von dieser Seite war
kein Verrath denkbar, im Uebrigen konnten aber nur wenige Personen
von der Sache im Voraus nähere Kenntniß bekommen haben — wer
war nun der Verräther?
Diese Frage erörterte soeben der Redakteur des Parteiblattes,
Georg Kluge, mit dem Vorsitzenden des Wahlkomites; sie standen am
Fenster, und zufällig hinausschauend, sahen sie einen Mann auf das
Haus zuschreiten. „Da kommt der Tappel", sagte Schumann, der
Komite-Vorsitzende. „Was will denn der iinmer hier?"
„Das wissen die Götter", erwiderte der Redakteur. „Tappel ist
mit guten Empfehlungen von auswärts in diese Stadt und zu uns
gekommen, gerirt sich als Agent, Kaufmann, Baumeister re. und betont
bei jeder Gelegenheit möglichst laut seine sozialdemokratische Ueber-
zeugung; er glaubt dabei, als „Genosse" habe er daö Recht, jederzeit
in den Lokalitäten unserer Zeitung und Druckerei üngenirt zu verkehren."
„Unter Umständen kann dies bedenklich werden", bemerkte Schu-
mann. Beide Männer schauten sich an und in ihren Mienen drückte
sich ein noch unausgesprochener Verdacht auö.
Beide gingen in das Erpeditionslokal.
Dort verhandelte der Expedient Walter gerade mit einem schwarz-
bärtigen Herrn, der einen Druckauftrag gebracht hatte. Dieser Herr
war ein ausländischer Bandwurm-Doktor, welcher mittels eines von
ihm selbst erfundenen Rezeptes alle Bandwürmer der Welt zu vernichten
gedachte. Ilm seine Erfindung bekannt zu machen, ließ er Reklamezettel
drucken, welche den Zeitungen beigelegt werden sollten.
„Der gefährliche Parasit nruß ausgerottet werden! Ich lasse mich
nicht auf Halbheiten ein, ich tödte ihn unfehlbar! Es geschieht im
Interesse der leidenden Menschheit!"
Mit diesen pathetischen Worten empfahl sich der schwarze, düster-
blickende Herr von den: Expedienten Walter, und Letzterer schloß das
empfangene Manuskript in eine Schublade.
„Wer war denn das?" frug Tappel.
„Weiß ich nicht", sagte Walter. „Ich glaube wahrhaftig — es
wird heute noch regnen."
Tappel schnitt ein ärgerliches Gesicht. „Es scheint, Ihr habt
Geheimnisse vor den Genossen", sagte er tadelnd.
„Was haben Sie denn wieder zu räsonniren, Tappel?" mischte
sich jetzt der Redakteur Kluge inS Gespräch.
Tappel klagte ihm, er könne absolut nicht erfahren, wer der aus-
wärtige Genosse gewesen sei, der soeben da war.
„Hm, hm", machte Walter geheimnißvoll, „als Genossen wollen
wir den nicht ohne Weiteres nehmen, das könnte gefährlich werden..."
„Also ein Anarchist", flüsterte Tappel eifrig. Er ging nun dem
Redakteur nicht mehr vom Leibe, sondern folgte ihm ins Redaktionslokal,
wo Kluge und Schumann die Gelegenheit benützten, um dein Neu-
gierigen einen gewaltigen Bären aufzubinden. Der Fremde, Doktor
Berthier — der Name war richtig — sei ein Arzt aus Frankreich, der
in Verfolgung noch unbekannter Ziele nach Deutschland gekommen sei.
Er habe eine Flugschrift gebracht, die nur von Tod und Vernichtung
handle. Diese Flugschrift solle morgen Nachmittag ganz heimlich gedruckt
und verbreitet werden.
„Kann man diesen Menschen nicht kennen lernen?" fragte Tappel.
„Warum nicht! Gehen Sie einfach zu ihm und stellen Sie sich vor."
„Ich möchte aber gern eine Empfehlung haben."
„Ist nicht nöthig", meinte der Redakteur; „da der Herr Arzt ist,
so gehen Sie einfach als Patient zu ihm."
„Das ist eine gute Idee", sagte Tappel, und ließ sich die Adresse
des Doktors geben — „am Markt Nummer 5, Sprechstunde um 3 Uhr."
Am nächsten Vormittag hatte der Expedient Walter einen Besuch
bei Doktor Berthier zu machen, um ihm den Korrekturabzug seines
Flugblattes vorzulegen. Bei dieser Gelegenheit äußerte Walter:
„Es wird heute ein sonderbarer Kauz zu Ihnen kommen, ein
Mensch, der am Bandwurm leidet, sich aber schämt, cs einzngesteheu.
Er wird von Politik und allen möglichen Dingen reden, aber lassen
Sie sich dadurch nicht irre machen; kurircn Sie ihn, er eignet sich als
Versuchskaninchen für Ihre vorzügliche Erfindung ganz vortrefflich."
„Er soll nur kommen", sagte Doktor Berthier mit Würde, „ich
tverde ihn von seinen Leiden erlösen."
Herr Tappel ließ denn auch nicht auf sich warten. Punkt 3 Uhr
erschien er zur Sprechstunde und sagte dein Doktor Berthier einige
plumpe Schmeicheleien über seinen großen Ruf als Arzt, worauf er
das Gespräch auf allgemeine politische Zustände überzuleiten suchte.
Der Bandwurm-Doktor ver-
hielt sich schweigsam und musterte
das Aussehen des Besuchers.
„Wie äußern sich die Symp-
tome des Uebels bei Ihnen?"
fragte er, die Rede seines Besuchers
unterbrechend.
• &&L Vergiftet
Line Lpisode aus dem Ivahlkampfe.
ie Sozialdemokraten in hatten einen empfindlichen
Verlust erlitten. Ihr Wahlflugblatt war in der
Druckerei des Parteiorgans in hunderttausend
Exemplaren konfiszirt worden.
Diese Maßregel an sich erregte nun keineswegs Erstaunen bei den Be-
troffenen. Aber eine Frage erregte lebhaftes Kopfschütteln: wie konnte der
im Dienste der Reaktion allezeit schlagfertige Polizeidirektor Rattensieber so
genau wissen, wann das Flugblatt gedruckt wurde, und wie konnte er
eine Ahnung von dem Inhalte der noch nicht erschienenen Schrift haben?
Das Personal der Druckerei war absolut zuverlässig, das Wahl-
komite bestand aus braven, ehrlichen Arbeitern — von dieser Seite war
kein Verrath denkbar, im Uebrigen konnten aber nur wenige Personen
von der Sache im Voraus nähere Kenntniß bekommen haben — wer
war nun der Verräther?
Diese Frage erörterte soeben der Redakteur des Parteiblattes,
Georg Kluge, mit dem Vorsitzenden des Wahlkomites; sie standen am
Fenster, und zufällig hinausschauend, sahen sie einen Mann auf das
Haus zuschreiten. „Da kommt der Tappel", sagte Schumann, der
Komite-Vorsitzende. „Was will denn der iinmer hier?"
„Das wissen die Götter", erwiderte der Redakteur. „Tappel ist
mit guten Empfehlungen von auswärts in diese Stadt und zu uns
gekommen, gerirt sich als Agent, Kaufmann, Baumeister re. und betont
bei jeder Gelegenheit möglichst laut seine sozialdemokratische Ueber-
zeugung; er glaubt dabei, als „Genosse" habe er daö Recht, jederzeit
in den Lokalitäten unserer Zeitung und Druckerei üngenirt zu verkehren."
„Unter Umständen kann dies bedenklich werden", bemerkte Schu-
mann. Beide Männer schauten sich an und in ihren Mienen drückte
sich ein noch unausgesprochener Verdacht auö.
Beide gingen in das Erpeditionslokal.
Dort verhandelte der Expedient Walter gerade mit einem schwarz-
bärtigen Herrn, der einen Druckauftrag gebracht hatte. Dieser Herr
war ein ausländischer Bandwurm-Doktor, welcher mittels eines von
ihm selbst erfundenen Rezeptes alle Bandwürmer der Welt zu vernichten
gedachte. Ilm seine Erfindung bekannt zu machen, ließ er Reklamezettel
drucken, welche den Zeitungen beigelegt werden sollten.
„Der gefährliche Parasit nruß ausgerottet werden! Ich lasse mich
nicht auf Halbheiten ein, ich tödte ihn unfehlbar! Es geschieht im
Interesse der leidenden Menschheit!"
Mit diesen pathetischen Worten empfahl sich der schwarze, düster-
blickende Herr von den: Expedienten Walter, und Letzterer schloß das
empfangene Manuskript in eine Schublade.
„Wer war denn das?" frug Tappel.
„Weiß ich nicht", sagte Walter. „Ich glaube wahrhaftig — es
wird heute noch regnen."
Tappel schnitt ein ärgerliches Gesicht. „Es scheint, Ihr habt
Geheimnisse vor den Genossen", sagte er tadelnd.
„Was haben Sie denn wieder zu räsonniren, Tappel?" mischte
sich jetzt der Redakteur Kluge inS Gespräch.
Tappel klagte ihm, er könne absolut nicht erfahren, wer der aus-
wärtige Genosse gewesen sei, der soeben da war.
„Hm, hm", machte Walter geheimnißvoll, „als Genossen wollen
wir den nicht ohne Weiteres nehmen, das könnte gefährlich werden..."
„Also ein Anarchist", flüsterte Tappel eifrig. Er ging nun dem
Redakteur nicht mehr vom Leibe, sondern folgte ihm ins Redaktionslokal,
wo Kluge und Schumann die Gelegenheit benützten, um dein Neu-
gierigen einen gewaltigen Bären aufzubinden. Der Fremde, Doktor
Berthier — der Name war richtig — sei ein Arzt aus Frankreich, der
in Verfolgung noch unbekannter Ziele nach Deutschland gekommen sei.
Er habe eine Flugschrift gebracht, die nur von Tod und Vernichtung
handle. Diese Flugschrift solle morgen Nachmittag ganz heimlich gedruckt
und verbreitet werden.
„Kann man diesen Menschen nicht kennen lernen?" fragte Tappel.
„Warum nicht! Gehen Sie einfach zu ihm und stellen Sie sich vor."
„Ich möchte aber gern eine Empfehlung haben."
„Ist nicht nöthig", meinte der Redakteur; „da der Herr Arzt ist,
so gehen Sie einfach als Patient zu ihm."
„Das ist eine gute Idee", sagte Tappel, und ließ sich die Adresse
des Doktors geben — „am Markt Nummer 5, Sprechstunde um 3 Uhr."
Am nächsten Vormittag hatte der Expedient Walter einen Besuch
bei Doktor Berthier zu machen, um ihm den Korrekturabzug seines
Flugblattes vorzulegen. Bei dieser Gelegenheit äußerte Walter:
„Es wird heute ein sonderbarer Kauz zu Ihnen kommen, ein
Mensch, der am Bandwurm leidet, sich aber schämt, cs einzngesteheu.
Er wird von Politik und allen möglichen Dingen reden, aber lassen
Sie sich dadurch nicht irre machen; kurircn Sie ihn, er eignet sich als
Versuchskaninchen für Ihre vorzügliche Erfindung ganz vortrefflich."
„Er soll nur kommen", sagte Doktor Berthier mit Würde, „ich
tverde ihn von seinen Leiden erlösen."
Herr Tappel ließ denn auch nicht auf sich warten. Punkt 3 Uhr
erschien er zur Sprechstunde und sagte dein Doktor Berthier einige
plumpe Schmeicheleien über seinen großen Ruf als Arzt, worauf er
das Gespräch auf allgemeine politische Zustände überzuleiten suchte.
Der Bandwurm-Doktor ver-
hielt sich schweigsam und musterte
das Aussehen des Besuchers.
„Wie äußern sich die Symp-
tome des Uebels bei Ihnen?"
fragte er, die Rede seines Besuchers
unterbrechend.