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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0184
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- 2526 -—-


Auf den wilden, fast schreienden Ruf
seines Lieutenants stürzte der Bursche herein.
„Zu Befehl, Herr Lieutenant!"
„Jawohl . . hm . . ja, was wollt' ich
denn? Ja, hör' mal, Friedrich, Du kannst
heut' Abend ausgehen." Der Lieutenant griff
in seine Beinkleidtasche, „hier, da ist ein
Thaler . . na, nimm nur und amüsir' Dich
mal ordentlich, hörst Du?"
„Zu Befehl, Herr Lieutenant, und mein'
schönsten Dank auch . . aber .
Der Bursche sah seinem Herrn besorgt
in das verstörte Gesicht.
„So geh' doch, Mensch! Was willst Du
denn noch?"
„Ich . . hm . ." Der Bursche schluckte,
„der Herr Lieutenant könnten mich am Ende
noch brauchen," platzte er dann heraus, „ich
glaube . . ." und er stockte wieder.
„Na, was glaubst Du?"
„Ich glaube... mir kommt so vor, als ...
als befinden sich der Herr Lieute-
nant nicht recht wohl . ."
„Unsinn! Ich bin gesund,
wie 'n Fisch im Wasser . . Geh

müßte er genau ebenso handeln, wie da-
mals . . oder doch nicht? . .
„Ja und tausendmal ja!" schrie er und
schlug mit der geballten Faust auf den
Tisch, daß es klirrte.
Der Lieutenant war wieder aufgesprungen
und stand hocherhoben mitten im Zimmer.
Den Strick hatte er vom Tisch genommen
und ihn sich mechanisch fest um beide Hände
geschlungen.
. . . Aber da, hinter der Staffelei, kam
es da nicht hervor, wie zitternde Nebel,
blaß und mit blutigen Augen und die
Fäuste . . . weit vorgestreckt . . die griffen
nach ihm.
„Ah . . verflucht!"
Unter dem Klavier hervor, aus den
Falten der Portieren, aus allen Winkeln
hetzte der Wahnsinn seine blutigen Ge-
spenster auf den Unglücklichen, der mit ver-
zogenem Munde, das Gesicht aschfahl und
die Augen rollend, sich bald hier, bald
dorthin, immer aber rückwärts bewegte und
jammernde Rufe ausstieß.
„Um Gotteswillen . . ach . . Er-



man!"
„Zu Befehl, Herr Lieute-
nant."
Und der Bursche machte
Kehrt und ging stramm aus
dem Zimmer.
„Glücklicher Mensch," sagte
Lieutenant von Brenner mit
einem Seufzer und streckte sich
wieder auf das weißschim-
mernde Eisbärenfell des Lehn-
stuhls hin.
Aber da kam es wieder über
ihn und schnürte ihm das Herz
zusammen . . Wie hatte er den
Burschen nur fortschicken kön-
nen, jetzt, gerade jetzt, wo er
ihn so nöthig brauchte, wo Alles
in ihm nach Trost, nach Men-
schennähe schrie . . . Und nir-
gends ließ sie ihn bleiben, diese
unsäglich schmerzvolle Angst...
Dort im Winkel, in der dun-
kelsten Ecke hinter dem schwar-


barmen! . .. Hilfe!"
Dabei bemühte er sich, die
bebenden Hände aus den Um-
schlingungen des Strickes zu be-
freien, aber seine konvulsivischen
Bewegungen zogen den Strick nur
immer fester.
Eben jetzt stand er vor der
Zimmerthür. Da öffnet sich, wahr-
scheinlich nicht fest eingedrückt, das
Schloß und die Thüre geht weit
auf.
Mit einem gräßlichen Schrei
fährt der Lieutenant zurück. Er
springt auf's Sopha und von
dort auf den Tisch. Die Lampe
klirrt, die Cognacflasche fällt um
und gießt ihren Inhalt über die
Plüschdecke.
Der Wahnsinnige merkt davon
nichts.
Er preßt sich die Kleider mit
den Händen eng an den Körper
und wimmert wie ein Kind.

zen Konsol, auf dem der silberne Rennpreis
stand — was war das? . .
Der Lieutenant bog den Kopf zur Seite,
aber er sah es trotzdem und fortwährend mutzte
er wieder danach Hinblicken — da lag etwas,
düster, zusammengeringelt, wie eine Schlange..
Der Lieutenant überwand sich, hinzugehen
und es aufzuheben. Es war ein gut zwei
Meter langer, hänfener Strick . . . Ah, er

Sodann ließ er sich abermals nieder.
Und, wie selbstverständlich, griffen seine
Gedanken das unheimliche Thema von vorhin
wieder auf.
Ah, das verfluchte Grübeln! Nicht allein,
daß es ihm den Kopf verdrehte, es machte ihn
auch unlustig zu allem Anderen. Der Dienst,
sein Beruf, schien ihm fad und abgeschmackt.
Bälle, Gesellschaften, Kneipereien, überhaupt

Ein Zufall lenkt seine Blicke nach oben.
Er sieht den Lampenhaken in der Decke. Da
zuckt durch sein umnachtetes Hirn, wie ein
blendender Wetterstrahl, das Gefühl der Er-
lösung. Der Gedanke, zu sterben, kommt ihm.
Heulend und mit übermenschlicher An-
strengung reißt er den Strick von seinen Händen,
daß das Blut herabrieselt. Allein er achtet
dessen nicht. Seine krampfigen Finger ent-

erinnerte sich jetzt, die Waffenliste war neulich
damit zusammengeschnürt gewesen, aber warum
hatte der Friedrich den Strick noch nicht fort-
genommen?
Zerstreut und schon wieder mit Anderem
beschäftigt, legte Herr v. Brenner den Strick
in den Hellen, glänzenden Kreis auf die zimmet-
farbige Müschdecke.

der Verkehr mit Seinesgleichen, widerten ihn
förmlich an. Vielleicht kam das aber auch
nur daher, daß er selbst sich unbehaglich fühlte
in der Gesellschaft von Menschen, die darum
wußten? . .
Verdammt nochmal! . . aber da hilft kein
Fluchen . . und, nebenbei bemerkt, wenn er
nochmal in dieselbe Lage käme, würde und

wirren auf einmal schnell und geschickt den
Strick, den er zur Schlinge knüpft und unter
höhnischem Gekicher an dem Deckenhaken be-
festigt . . .
Gleich darauf hing der Premierlieutenant
v. Brenner an der Decke. Die Lampe, die er
mit den zuckenden Füßen vom Tisch gestoßen,
brach klirrend entzwei und erlosch.
 
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