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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0225
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2565

Becker als Abt hält seinen Soldaten eine Kapuzinerpredigt.


suppe, dann Sauerkraut mit Speck und schließ-
lich Kaffee mit gerösteten Kartoffeln und Käse.
Ein hübsch zusammengestelltes Menu! Außer-
dem hatte ich etliche dreißig Rappen Baargeld
und vier oder fünf Stücke Weißbrot. Seelen-
vergnügt setzte ich die Pfeife in Brand und
legte mich vor dem Ort in den Chausseegraben
um meine geehrten Kollegen zu erwarten. Der
Kupferschmied kam zuerst; er hatte Pech gehabt,
kein ordentliches „Mahl", wie er sich ausdrückte,
erwischt und auch nicht viel Geld bekommen.
Seine Laune verbesserte sich aber bald, als er
meine Brotvorräthe wahrnahm, welche selbst-
verständlich Kollektiveigenthum waren. Jeder
aß von den gesammten Vorräthen „nach seinen
vernunftgemäßen Bedürfnissen". Unser Münch-
ner Kindl blieb schrecklich lange aus. Wir lagen
mindestens schon anderthalb Stunden im Grünen,
als er endlich angewalzt kam. Sein Gesicht
strahlte vor Vergnügen, schon von Weitem
schwenkte er den Hut. Als er endlich, ganz
außer Athem, bei uns angelangt war, packte
er zunächst aus. Er besaß Brot für zwei Tage,
mehrere Happen Wurst, Käse, über zwei Franken
Nickelmünzen, und hatte nebenbei fünfmal zu
Mittag gegessen! Das war ein Vergnügen!
Aber wie kam er zu dieser Ausbeute? Also
erzählen! Er war in die Wohnung des Gen-
darmeriekommandanten, eines alten gemüth-
lichen „Schweden", gerathen, hatte denselben in
seiner unwiderstehlichen Weise angequasselt, von
ihm ein „Zwänzgi" und die Auskunft erhalten,
daß die andern beiden Landjäger auf Patrouille
über Land seien und erst in zwei Stunden Heim-
kommen würden; er könne also das ganze Nest
in größter Gemüthsruhe abklopfen, ohne Gefahr
zu laufen, erwischt zu werden. Das hatte sich
auch unser guter Münchener nicht zweimal
sagen lassen. Er nahm die Sache so gründlich
als möglich und hatte auf diese Weise das

Glück, die Marschkolonne auf etliche Tage mit
dem nöthigen Bedarf versorgen zu können.
In Burgdorf übernachteten wir in der so-
genannten Armenhcrberge, einer Abtheilung
des Bürgerspitals, wo man Abends und Mor-
gens eine gute Suppe und unentgeltliches Nacht-
lager bekam. Hier erfahren wir, daß in Deutsch-
land Frieden geschlossen sei, welche Nachricht
viele der anwesenden deutschen Wanderburschen
veranlaßte, ihre Route zu ändern und nach
Deutschland zurückzukehren.
Das fiel mir nun nicht ein. War ich ein-
mal s o weit gekommen, wollte ich die Schweiz
auch richtig kennen lernen und namentlich nicht
wieder herausgehen, ohne in einer größeren
Stadt gearbeitet zu haben. Dazu sollte auch
bald Gelegenheit werden. Wir kamen andern
Tags nach Bern, der eidgenössischen Bundes-
stadt, und übernachteten auch dort im Bürger-
spital. Großen Spaß machte uns da der alte
welsche Pfründner, welcher die Bedienung be-
sorgte. Er ging mit seinem großen Suppen-
kübel und dito Schöpflöffel von Einem zum
Andern, jeden freundlich angrinsend und die
Frage zurufend: Voulsr-vous sonxs?
Nachdem wir vorzüglich geschlafen und Mor-
gens einen anständigen Napf voll Kaffee mit
Weißbrot erhalten hatten, besichtigten wir die
Arbeitsnachweistafel. Richtig, da stand: Ein
Schlosser bei Th. I — r, K . . . gaffe. Ich ging
ohne Verzng hin, wurde eingestellt und fing
des Vormittags noch an. Das Handwerks-
burschenleben hatte nun bis auf Weiteres ein
Ende, es begann das Arbeiterleben in der
Schweiz. , ,
Vielfach wird behauptet, daß Derjenige,
welcher längere Zeit mit dazu beigetragen, die
Landstraße zu bevölkern, nur sehr ungern wieder
an die Arbeit gehe und sich äußerst schwer an

deren Wiederaufnahme gewöhne. Es giebt sogar
Meister, welche so fest von der Wahrheit dieser
Behauptung überzeugt sind, daß sie Gesellen,
welche schon lange laufen, nur im äußersten
Nothfall in Arbeit nehmen.
Nun ist die erwähnte Annahme bis zu einem
gewissen Grade berechtigt. Je länger der wan-
dernde Geselle ohne Ziel und ohne Mittel
herumirrt, je länger er auf das Fechten an-
gewiesen ist und dabei alle die bitteren Er-
fahrungen machen muß, die dieses Leben un-
vermeidlich mit sich bringt, desto leichter ver-
bummelt er. Es ist ihm schließlich „alles
Wurscht". Kleider und Stiefel sind beim Teufel,
der „Berliner" leer, keine Wäsche mehr vor-
handen; sehr Vielen ist wohl auch der Reinlich-
keitssinn bei diesem Nomadenleben verloren ge-
gangen, es stellen sich Hautkrankheiten und son-
stige Uebel ein. In Folge dieses äußerlichen
Zustandes wird er von der „Gesellschaft" so
wie so als Ausgestoßener betrachtet — was ist
da erklärlicher, als daß ihm Alles gleichgiltig
wird und er nur mit Grauen daran denkt,
wieder einen Platz in einer Werkstelle einnehmen
zu müssen! Was soll er in einer Werkstatt, er,
der sich „vor keinem ehrlichen Menschen sehen
lassen kann", der körperlich herunter ist und in
der ersten Zeit am Schraubstock sich kaum auf
den Beinen halten kann! Diese Gefühle greifen
namentlich bei älteren Wandergesellen, die vor-
her längere Zeit in verhältnißmäßig guten, ge-
ordneten Verhältnissen gelebt, leichter Platz als
bei jüngeren Leuten, vorausgesetzt, daß die
letzteren unverdorben und guten Humors sind.
Diese setzen sich über viele Trübsal leichteren
Herzens hinweg als der gereiftere Mann, der
all' das, was ihm widerfährt, in Verbindung
mit seinen sonstigen Erfahrungen, direkt der
Gesellschaft zur Last legt, sich als Paria fühlt
und in dieser Verbitterung dem unheilbaren
 
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