Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0224

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2564 -

Des Wanderbursche« Freud und Leid.
Von einem alten „Aatzenkopf".

5. In der Schweix.
Da waren wir also in der Schweiz, auf
wirklichem, echten Schweizerboden, auf republi-
kanischer Erde! Es war für mich, den jungen
Schwärmer für Freiheit und Gleichheit, ein
ganz eigenartiges Gefühl, in einem Lande mich
zu befinden, worin es — nach meiner damaligen
Anschauung — keine andere Souveränität gab,
als die des Volkes; wo man nichts weiß von
Zivillisten und Apanagen, nichts von lang-
jähriger Militärdienstzeit und ähnlichen „Seg-
nungen" anderer Länder. Daß es auch eine
Souveränetät des Geldsacks giebt, die noch weit
schlimmer sein kann, kam mir zu jener Zeit
noch nicht so recht zum Bewußtsein, die spätere
Zeit aber hat mir's gründlich genug eingetränkt.
Es wandert sich herrlich am Bodensee. So
weit das Auge reicht die ungeheuere grüne
Wasserfläche, rings umkränzt von Weinbergen,
freundlichen Dörfern, niedlichen Städtchen; die
Wogen des Sees selbst durchfurcht vou stolz
einherziehenden Dampfern, die den Verkehr
zwischen Bayern, Württemberg, Baden, der
Schweiz und dem österreichischen Vorarlberg
vermitteln. Mich, der ich niemals an den
Strand der See gekommen war, dünkte das
schwäbische Meer als etwas unendlich Groß-
artiges und ich konnte meinen Reisekollegen,
den Schweizer, nicht begreifen, der immer fort
nur von Hamburg und seinen Herrlichkeiten
erzählte und für die Reize seines Heimathlandes
gar kein Auge zu haben schien. Er war aber
dafür ein um so praktischerer Mensch. Nach-
dem wir kaum eine Viertelstunde im Lande
waren, hatten wir uns auch schon auf seine
Veranlassung die zwanzig Rappen Ortsgeschenk
in Kreuzlingen geholt, ebenso im Lause des
Tages in Romanshorn und in Arbon. Weiter
wußte unser biederer Eidgenosse, daß die Zeit
des Obstkelterns, des „Mooschtens", war. In
Württemberg, Hessen, einem Theil von Baden und
der ganzen Vorderschweiz werden unglaubliche
Quantitäten von Birnen und Aepfeln verkeltert.
Das daraus gewonnene Getränk, im Mainviertel
„Aeppelwei" genannt, heißt hier kurzweg Most
(Mooscht gesprochen) und ist als Haustrunk
beim Bauer und Handwerker gleich beliebt.
Speziell im Kanton Thurgau, in dem wir
uns befanden, ist die Obstweinkultur zu Hause
und dieser Kanton wird deshalb von den übrigen
Schweizern scherzweise „Mostindien" genannt.
Unser einheimischer Kollege nun hatte eine vor-
zügliche Nase, jeden Bauernhof ausfindig zu
machen, in welchem die Apfelpresse im Gange
war. Sprach man in einem solchen Hofe vor,
so gehörte gar nicht erst ein formvollendeter
Festspruch dazu, um einen tüchtigen Schluck zu
bekommen. Der „Bur" reichte vielmehr sofort
nach Erscheinen der fechtenwollenden Gestalten
ganz freiwillig das Krügli mit dem süßen Safte
dar, und nur, wenn man etwas Brot dazu
wollte, war es nöthig, besonders anzusprechen,
denn das Brot ist in den meisten Schweizer-
kantonen ein gar kostbarer Artikel — was auch
ganz erklärlich, da das Land nur zum kleinsten
Theile die zur Ernährung seiner Bewohner
nöthigen Brotfrüchte selbst hervorbringt. Viel
lieber schenkt daher mancher Bauer dem Wander-
burschen „äs Föifi" (ein Fünfcentimesstück) als
ein Stück Brot.
Das war eine fidele Wanderschaft von Kreuz-
lingen bis Rorschach. Wir wurden, wie es das
Neue Testament von den Jüngern am Pfingst-
tag erzählt, „voll des süßen Weins", und als
es von Rorschach bis St. Gallen noch kein Ende
nehmen wollte mit den am Wege liegenden

Keltern, da war es auch kein Wunder, daß
bei unserer Ankunft in St. Gallen jeder einen
„chaibenmßige Ruusch" hatte. Ein derartiges
„Rüschli" aber ist gutartig. Der Dunst ver-
fliegt bald und wir spazierten auch selbigen
Abend noch ganz stolz durch die bergige Stadt.
Unsere Portemonnaies freilich blickten uns
nicht recht vertrauenerweckend an, namentlich
das meinige, und ich erinnerte mich sehnsüchtig
an den bekannten „Abt von St. Gallen", oder
vielmehr an den Manu, der „aus Häckerling
Gold schon gemacht". So einen hätten wir
brauchen können.
Der Titel unserer Herberge hieß, wenn ich
mich recht entsinne, „Zum goldenen Schnegken"
und ich freute mich unbändig über die mir
gänzlich neue Orthographie. Aber die „Oehrli,
Schnörrli, Laberwurscht", die uns die Herbergs-
mutter für sehr billigen Preis servirte, schmeckten
trotz der „chaibemäßigen" Schreibweise ganz
vorzüglich. Was uns jetzt jedoch große Sorge
bereitete, das war das verhältuißmäßig sehr
hohe Schlafgeld. In Deutschland zahlte man
zu jener Zeit im Norden höchstens zwei Silber-
groschen für die Nacht, in Süddeutschland vier
Kreuzer, ein Sechser (sechs Kreuzer) war schon
viel. Und hier mußten wir fünfzig Rappen
(gleich vier Silbergroschen oder vierzehn Kreuzer)
bezahlen. Als wir darüber klagten, wurde uns
die recht tröstliche Mittheilung, daß in den
weiter nach dem Innern liegenden Kantonen
die Logispreise noch viel höher seien, ja daß
man im Bernerland unter einem Franken kaum
ein Nachtquartier bekäme. — Nachdem wir bei
den verehrlichen Meistern unserer Zunft „um-
geschaut" hatten, ohne jedoch eine Einladung
zum „Anfängen" zu erhalten, wanderten wir
fürbaß nach dem herrlichen Appenzell, speisten
in den Klöstern — namentlich ist mir noch eine
Linsensuppe, die wir im Kapuzinerkloster zu
Appenzell erhielten, in nichts weniger als an-
genehmer Erinnerung — und holten fleißig die
Ortsgeschenke. Wenn wir auch mitunter das
„G'frett" hatten, unser Schlafgeld zusammen-
zubringen, es reichte schließlich doch immer, und
Hunger litten wir nicht; wo gar kein Brot
aufzutreiben war, gab es wenigstens Obst in
Hülle und Fülle. So durchwanderten wir das
Toggenburgische, kamen dann, ich weiß selbst
nicht wie, auf allerlei Querzügen durch einen
Theil des „Kulturstaats" Aargau, und eines
schönen Abends, nachdem wir uns die Geschenk-
stempel in Rapperswyl, Stäfa, Meilen, Männe-
dorf, Küßnacht rc. noch hatten ins Buch drücken
lassen, lag die Metropole der schweizerischen
Industrie und Intelligenz, Zürich, vor uns.
Eine herrliche Stadt, dieses Zürich. Trotz
der vielen Schmerzen, welche die dort hervor-
gebrachten Erzeugnisse der Buchdruckerkunst*
beispielsweise Herrn von Puttkamer bereiten,
läßt es sich, um mit Paula Erbswurst zu sprechen,
„nicht anders leugnen", als daß es nicht leicht
eine angenehmere, schöner gelegene Stadt aus
dem Kontinent giebt, als Zürich. Und sind
auch die wirthschastlichen Verhältnisse des Ar-
beiterstandes dort nur ganz wenig besser als
anderwärts, so erfreut sich doch auch das Volk
dieses Kantons einer Fülle von politischen Frei-
heiten — jetzt noch bedeutend mehr als damals —,
daß jedes andere Volk die „Züribieter" darum
beneiden kann.
Man nennt Zürich, wo sich mit Vorliebe
die Deutschen festsetzen, das Schwabenparadies.
Zur damaligen Zeit verdiente es diese Bezeich-
nung mehr als je: viele Hunderte von deutschen
Handwerksburschen lagen in den Herbergen.
Der Krieg hatte sie alle hereingcdräugt, aber
nur der geringste Theil davon konnte Arbeit

* „Der Sozialdemokrat."

finden. Ich gehörte zu den Pechvögeln, es gab
keine Kondition für mich. So setzte ich denn
meinen Stab weiter, wiederum südwärts.
Schön war das Wetter und schön die Gegend.
Mit leichtem Sinn und leichtem Beutel wan-
derten wir dahin und sangen dazu:
„Alleweil fidel, fidel, fidel —
Traurig sein kann ich nit — bei meiner Seel'."
Namentlich unser ungarischer Kupferschmied
konnte dies Lied wunderbar singen: das Deutsch,
die Stimme, es war wirklich großartig! Wel-
chen Genuß gewährte es mir aber auch, wenn
der edle Magyar „ansprach"! Da hörte man
nichts von der alten abgebrauchten Phrase „ein
armer Reisender" rc., sondern „Bruder un-
garisches" sagte immer kernig und so recht gut-
herzig, daß man ihm gar nichts verweigern
konnte: „Mutterr, göb'n's uns a Stück Brrrot,
mir Hom Hungerr."
Zwischen Aarau und Olten oder zwischen
Olten und Aarau — bei den tollen Kreuz- und
Querfahrten, die wir machten, weiß ich wirklich
nicht mehr, welche Stadt wir zuerst berührten —
gesellte sich ein Böhm' zu uns. Der Schlosser
aus Wahlen hatte uns seit ein paar Tagen
verlassen. „Landsmann böhmisches" war seines
Zeichens „Tailleur" und ein eingefleischter
„Wenzel", der die Anfangsgründe der deutschen
Sprache erst auf der Wanderschaft sich angeeig-
net hatte. Wenn wir uns erlaubten, ihm etwas
zu korrigiren, oder ihm gutmüthig nachhelfen
wollten, nannte er uns verächtlich „viereckigte
deutsche Kupp", was uns stets in die unbändigste
Heiterkeit versetzte. Wir waren nun ein nettes
Kleeblatt! Um unfern Wenzel ein wenig zu
foppen, erlaubte ich mir einmal die nachstehende
Anekdote zu erzählen, die viele unserer Leser
vielleicht kennen, manche aber auch nicht kennen
werden.
„Drei Handwerksburschen, nämlich ein Deut-
scher, ein Ungar und ein Böhm, waren in einer
ungarischen Herberge über Nacht geblieben. In
ihrer Kammer hing die Taschenuhr des Herbergs-
vaters. Am andern Morgen, als sie wieder
auf der Landstraße waren, sagte der Deutsche:
,Das war eine schöne Uhr, die da in unserm
Zimmer hing', worauf der Ungar meinte:,Hätten
mir soll'n stehl'n', während der Böhm kaltblütig
erklärte: ,Hob ich schon.'"
Die Geschichte versetzte den Sohn des Wenzel-
reiches in eine solche Wuth, daß er sein ganzes
Lexikon von deutschen und tschechischen Schimpf-
wörtern auskramte und mich gewiß durch-
geprügelt hätte, wenn ich ihm in Bezug auf
Körperkraft nicht erheblich „über" gewesen wäre.
Auch der magyarische Kupferschmied war etwas
in seiner „nationalen" Empfindlichkeit gekränkt,
doch war er ein viel zu guter Kerl, als daß er
mir die Geschichte nachgetragen hätte. Unfern
Wenzel aber verdroß die Sache so sehr, daß er
uns am andern Morgen erklärte, nicht weiter
mit uns walzen zu wollen, welchen Entschluß
er auch sofort ausführte.
Es war eigentlich recht schade um die ver-
lorene Unterhaltung; wir bekamen aber bald
besseren Ersatz. Kurz vor Lenzburg im Kanton
Bern gesellte sich ein Münchener Bildhauer
(Holzschnitzer) zu uns, ein fideles junges Blut,
ein Kerlchen mit köstlichem, übersprudelndem
Humor, mit einem Wort ein echtes „Münchner
Kindl". Der Junge kam aus Frankreich herüber,
hatte auch sonst ein schönes Endchen von der
Welt gesehen und konnte erzählen, wie nicht
leicht Einer.
In Lenzburg langten wir zur Mittagszeit
au. Wir vertheilten unsere Streitkräfte zum
Requiriren von Mittagessen und verloren uns
bald aus dem Gesicht. Ich erhielt einmal Milch-
 
Annotationen