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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0259
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2601

In der Küche des Klosters zu Stams.


knödel, Sauerkraut, Schweinebraten, jeder eine
Maß Bier, nnd beim Abgang noch je ein großes
Stück Weißbrot. Mir schien's, als ob es einigen
der schwarzäugigen Tirolerinnen gar nicht un-
angenehm gewesen wäre, wenn wir bei ihnen
geblieben wären.-Das geht aber nicht,
wo so viele wohlgenährte Paters mit Argus-
augen über ihre „Rechte" wachen.
Auf dem Marsche durch das wunderliebliche
„heilige Land Tirol" kam uns wieder meine
Kenntniß der süddeutschen Idiome gut zu statten.
Die armen Sächser wären wirklich außer Stande
gewesen, sich mit den Einheimischen auch nur
über das Allernöthigste zu verständigen. Und
das that uns doch bei der gähnenden Leere
unserer Taschen, die den Lehrsatz von dem
„absoluten Nichts" trefflichst demonstrirte, so
sehr noth! Dazu kam noch, daß ich auch mit
den religiösen Gebräuchen der strenggläubigen
Tiroler vertraut war und meinen „Englischen
Gruß" beten konnte, wie irgend Einer. Eines
Abends spät sprachen wir bei dem Besitzer
eines sehr einsam gelegenen Bauernhofes um
Nachtquartier an. Der Bauer hockte, den Kopf
auf die Faust gestützt, hinter dem großen eichenen
Tisch. Die niedrige Stube war mit einigen
zusammengebundenen Kienspänen schwach be-
leuchtet. Der Eintritt von drei mit großen
Walzknüppeln versehenen Kerlen mochte dem
Landmann nicht ganz angenehm sein. Ich
brachte möglichst treuherzig unser Begehr vor.
„Künnt's beten ah?" fragte er, uns mißtrauisch
anstarrend. Als die Frage bejaht war, fügte
er hinzu: „Nit, daß oan d'Uhr von der Wänd
stehlt's, wie's mir voriges Jahr mit oan von
Enk gangen is." Wir gaben ihm die heilige
Versicherung, daß wir nicht gekommen seien,
ihm die Uhr oder sonst was zu stehlen, worauf
er sich beruhigte, jedem ein Stück Brot verab-
reichte und uns nach dem gemeinsam verrich-
teten Abendgebet, mit der Laterne in der Hand,
in den Stall begleitete, wo er in drei leeren

Kuhständen uns das Lager aus Stroh und Heu
bereitete.
Es war eine bunte Gesellschaft in dem Stall:
ein Pferd, vier Kühe, etliche Kälber, ein Ziegen-
bock mit drei oder vier weiblichen Familien-
angehörigen, eine Schaar Hühner unter dem
Szepter eines sehr energischen Hahnes — und
drei Handwerksburschen! Aus einem anstoßen-
den Raume hörten wir auch das melodische
Grunzen der Schweine. Ich lag neben einer
stattlichen Milchkuh, die ein Kälblein ihr eigen
nannte. Morgens in aller Frühe erwachte ich
mit einem eigenthümlichen Gefühl: das Kalb
hatte den Kopf zwischen den Brettern des Ver-
schlages durchgesteckt und beleckte mein Gesicht
mit rührender Zärtlichkeit. Seine Alte muhte,
der Hahn krähte, die Ziegen meckerten mit
ihrem Bock nm die Wette — ein herrliches
Morgenkonzert! Bald kam auch die Bäuerin,
um die Kühe zu melken, und wir mußten uns
bequemen, aus den Halmen zu kriechen und
Toilette zu machen. Wir erhielten sodann eine
tüchtige Schüssel voll Milchsuppe, ein Stück
Schwarzbrot mit auf den Weg und trollten uns
mit einem kräftigen „Vergelt's Gott" von dannen.
In dem Städtchen Imst, wo in den fünf-
ziger Jahren, zur Zeit des Krimkrieges, König
August von Sachsen bei einem Sturz aus dem
Wagen Allerhöchst Seinen Hals gebrochen, be-
sahen wir uns das Bett, worin er verschieden
sein soll und an welchem noch die Allerdurch-
lauchtigsten Blutflecke gezeigt werden, und meine
Kollegen zeichneten als brave sächsische Landes-
kinder auch ihre Namen in das aufgelegte
Fremdenbuch ein. Später dachte ich mit größerem
Interesse an das reizend gelegene Städtchen
zurück, als ich nämlich erfahren, daß zur Zeit
des italienischen Krieges Wilhelm Hasen-
clever längere Zeit dortselbst als Gerbergeselle
gearbeitet hatte.
Wer je eine Fußtour durch Tirol gemacht,
weiß, welch' ein unvergleichlich schönes Land

die „gefürstete Grafschaft" ist. Speziell das
Innthal ist großartig. Auf beiden Seiten steile,
himmelhoch anstrebende Berge, in der Mitte
des Thales der rasch sich dahinschlängelnde
Inn, der sich beeilt, aus dem engen Thal zu
kommen, um seine grünen Fluchen mehr in die
Breite ausdehnen zu können, und neben dem
murmelnden Wasser, auf dessen Rücken hier
schon mächtige Flöße einhertreiben, die Land-
straße, welche freilich für den, der in der Eigen-
schaft eines arbeits- und mittellosen Handwerks-
burschen sie „betippelt", dem Zauber des farben-
reichen landschaftlichen Bildes erheblichen Ab-
bruch thut.
Kurz vor Innsbruck, bei Zierl, stießen wir,
nachdem uns Tage lang nichts als plärrende
Wallfahrer begegnet waren, auf eine Zigeuner-
bande, die sich etwas abseits von der Heerstraße
in einem schattigen Waldkessel gelagert hatte.
Die braunen Söhne Aegyptens, denen man
nachsagt, daß sie nur zu nehmen gewohnt seien,
mochten uns wohl ansehen, daß wir wenig zu
beißen hatten, denn sie luden uns freundlich
ein, uns bei ihnen zu lagern, brachten uns
Fleisch und Weißbrot, regalirten uns mit gutem
Tiroler Rothwein und fidelten uns schließlich
allerlei schnurrige Stücke vor, so daß wir uns
in eine ganz andere Welt versetzt glaubten.
Einige Zigeunermädchen von eigenartiger orien-
talischer Schönheit führten uns zu Ehren einen
wunderbaren Tanz auf. Die wandernde Ge-
sellschaft war aus der Schweiz ausgewiesen
worden und befand sich nun auf dem Wege nach
Ungarn.
In Innsbruck kamen wir an einem Sams-
tag Abend an. Wir logirten uns im schwarzen
oder rothen Adler ein. Gegenwärtig ist das
Standquartier der Fachvereine in dem Lokal.
Am Sonntag konnten wir nicht „umschauen",
auch die Post war nicht geöffnet; es war daher
auch nicht möglich, dem sehnlichst erwarteten
Geldbrief nachzufragen. Wir begaben uns in
 
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