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2949 •

einzelnen Bestimmungen der Reichsverfassung/ die
für den preußischen Magen unverdaulich waren,
denn es war vorauszusehen, daß die Bourgeoisie
trotz aller erhabenen Schwüre, an dieser Ver-
fassung kein Tipfelchen mehr zu ändern, mit sich
handeln lassen würde, wie sie denn auch sehr bald
mit sich handeln ließ. Das Wesentliche war eben
der Anspruch der Nationalversammlung, über die
Köpfe der deutschen Dynastien hinweg die deutsche
Verfassung schaffen und die deutsche Krone ver-
geben zu wollen. Dazu kam, daß die deutsche
Bourgeoisie bei dein Geschäfte, das sie der preußi-
schen Krone vorschlug, sich den Löwenantheil sichern
wollte. Sie hatte die Reichsverfassung ganz nach
ihrem Herzen gemacht, und um dieser Verfassung
willen sollte das preußische König- und Junker-
thum Kopf und Kragen riskiren, in einem Kampf
auf Leben und Tod mit Oesterreich und Rußland,
den alten Bundesgenossen gegen alle revolutionären
Bestrebungen!

Demgemäß ist es ganz verkehrt, in allerlei
kleinen Jntriguen die Ursachen der Antwort zu
suchen, die Friedrich Wilhelm IV. von seinem
preußischen Throne herab gab, als ihm eine De-
putation die papierene Krone der Nationalversamm-
lung überbrachte. Es ist wahr, die Stimmungen
des Königs schwankten lange hin und her. Am
12. Dezember 1848 schrieb er an Bunsen: „Die
Krone, die ein Hohcnzoller annehmen dürfte, wenn
die Umstände es möglich machen könnten, ist keine,
die eine, wenn auch mit fürstlicher Zustimmung
eingesetzte, aber in die revolutionäre Saat ge-
schossene Versammlung macht, sondern eine, die
den Stempel Gottes trägt, die den, dem sie auf-
gesetzt wird, nach der heiligen Ordnung ,von Got-
tes Gnaden' macht, weil und wie sie mehr denn
34 Fürsten zu Königen der Deutschen von Gottes
Gnaden gemacht hat. Die Krone, welche die
Ottonen, die Hohenstaufen, die Habsburger ge-
tragen, kann natürlich ein Hohenzoller tragen;
sie ehrt ihn überschwänglich mit tausendjährigem
Glanze. Die aber, die Sie meinen, verunehrt
überschwänglich mit ihrem Ludergeruch der Re-
volution von 1848, der albernsten, dümmsten,
schlechtesten, wenn auch Gottlob nicht bösesten
dieses Jahrhunderts. Einen solchen imaginären
Reif, aus Dreck und Letten gebacken, soll ein le-
gitimer König von Gottes Gnaden und nun gar
der König von Preußen sich geben lassen, der den
Segen hat, wenn auch nicht die älteste, doch die
edelste Krone, die Niemandem gestohlen ist, zu
tragen? Soll die tausendjährige Krone deutscher
Nation, die 42 Jahre lang geruht hat, wieder
einmal vergeben werden, so bin ich es und meines
Gleichen, die sie vergeben werden, und wehe dem,
der sich anmaßt, was ihm nicht zukommt." Das
schrieb gewiß der verbohrte Legitimitätsfanatiker
und mittelalterliche Romantiker; als ob die pa-
pierene Krone der Nationalversammlung nicht
wenigstens in unschuldigem Weiß gestrahlt hätte
gegenüber dem von Blut und Schmutz und Ver-
rath triefenden Reif, den mehr denn 34 Fürsten
als „Könige der Deutschen von Gottes Gnaden"
getragen hatten! Aber wenig über einen Monat
später, als Bunsen von seinem Londoner Gesandt-
schaftsposten nach Berlin gekommen war, sagte
ihm sein königlicher Freund ganz nüchtern: „Hal-
ten Sie fest, wie überzeugt ich bin, daß die deutsche
Sache verloren ist, wenn Frankfurt untergeht
unb die Angelegenheit in die Hände der Fürsten
fällt". Das war eben die andere Seite der Sache,
und in den wechselnden Stimmungen des Königs
spiegelte sich nur die preußische Politik wieder,
die immer ein wunderliches Gemisch von ver-
zückten! Feudalismus und trockenster Geschäfts-
praxis gewesen ist.

Sie spiegelte sich nicht minder scharf wieder
in der „Kreuzzeitung", dein Organ des preußi-
schen Junkerthums. Einmal höhnte das Blatt:
„Was, eine Kaiserkrone bringt Ihr? Bettler seid
Ihr! Ihr habt kein Geld, kein Land, kein Recht,

keine Macht, kein Volk, keine Soldaten! Ihr seid
bankerotte Spekulanten in zurückgesetzter Volks-
souveränetät. Macht Euch nicht mausig und seid
froh, wenn man Euch freie Station in den Gast-
häusern giebt und Euch heinischickt mit Redens-
arten, wie Ihr mit Redensarten hergekommen seid."
Aber dann hieß es auch wieder in derselben
Zeitung: „Nicht ungnädig, wie an sich ihre
Dreistigkeit wohl verdiente, nicht einmal blos
negativ sollen die Männer der Paulskirche aus-
genommen werden, wenn sie aus deren märz-
errungenen Räumen in das altersgraue Schloß
in Berlin eintreten. Der König muß entschieden,
aber freundlich mit Frankfurt brechen, und so
Frankfurt vernichten." Wagener, der damals die
„Kreuzzeitung" leitete, war nichts weniger als
ein romantischer Kopf, und doch sprach er genau
ebenso, wie der König in seinen geheimen Ver-
handlungen mit Bunsen, die erst nach Jahrzehn-
ten bekannt geworden sind.

Derweil reiste die Deputation der National-
versammlung wohlgemuth, wenn auch langsam,
nach Berlin. Um nicht just am Narrentage des
ersten April an ihrem Ziel einzutreffen, und wo
möglich noch einige „Volksbegeisterung" für ihre
Machenschaft zu erwecken, vertrödelte sie unter-
wegs einige Tage, wenn auch nicht ganz mit dem
gewünschten Erfolge. In den demokratischen
Gegenden, namentlich am Rhein, ivurde sie übel
genug empfangen, in Köln sogar mit einer Katzen-
musik begrüßt. Auch die Berliner Bevölkerung,
die noch unter dem völlig ungesetzlichen Belage-
rungszustand litt, blieb kühl bis ans Herz hinan,
und als die Deputation am 3. April im „alters-
grauen Schlosse" an der Spree antrat, hatte sie
sogar unter den Frechheiten der Lakaien zu leiden.
Die Bedienten des Königs wollten dem Führer
der Deputation, dein „tönenden Rhapsoden" Sim-
son, nicht einmal ein Glas Wasser reichen, wo-
mit er seine Kehle zur feierlichen Ansprache an den
neuen Kaiser der Deutschen anzufeuchten gedachte.

In dieser Ansprache betonte Simson den Stand-
punkt der Nationalversammlung, wonach die An-
nahme der Kaiserkrone nur auf Grund der Ver-
fassung vom 28. März erfolgen könne, wonach
also der preußische König durch die Annahme der
Krone sich verpflichten sollte, diese Verfassung durch-
zuführen, wenn nöthig, mit dem Schwerte in der
Hand. Der König erwiderte, daß er das Anrecht
zu schätzen wisse, das ihm der Ruf der deutschen
Volksvertretung gewähre, aber dieser Ruf fordere
„unermeßliche Opfer" von ihm und lege ihm die
„schwersten Pflichten" auf. Er könne „ohne das
freie Einoerständniß der gekrönten Häupter und
der freien Städte Deutschlands" keine Entschlie-
ßung fassen, und „an den Regierungen der ein-
zelnen deutschen Staaten werde es jetzt sein, in
gcmeinsainer Berathung zu prüfen, ob die Ver-
fassung dem Einzelnen wie dem Ganzen fromme."
Dessen aber möge Deutschland gewiß sein und dies
möge die Deputation in allen deutschen Gauen ver-
künden: Gegen äußere und innere Feinde werde es
am preußischen Schilde und Schwerte nicht fehlen.

Mit dem Schlag an Schild und Schwert
wurde die betäubte Deputation entlassen. Was
diese Waffen gegen den „äußeren" Feind ver-
mochten, zeigte die schmachvolle Kriegführung in
Schleswig-Holstein; das Säbelgerassel galt that-
sächlich dem „inneren Feinde", wie denn auch der
König an Bunsen schrieb, er habe der Deputation
„zum Abschiede die Wahrheit" mitgegeben: Gegen
Demokraten helfen nur Soldaten. Adieu." Die
papierene Krone war zerrissen, mochten sich die
bürgerlichen Kaisermacher auch noch bemühen, bei
ihrer „freien Station" in den Gasthäusern die
Fetzen wieder zusammenzukleben. Einige von ihnen
dachten sogar würdelos genug, der Einladung des
Königs zu einem Mahle im Charlottenburger
Schlosse zu folgen, unter ihnen der jüdische Arzt
Rießer aus Hainburg, den der König mit den

Worten empfing: „Nicht wahr, Herr Doktor, Sie
sind auch überzeugt, daß ich die Verfassung nicht
unbeschnitten annehmen konnte?" Das wie-
hernde Gelächter, womit die höheren und niederen
Hoflakaien den schäbigen Witz des Königs be-
grüßten, beschloß würdig die Kaiserposse vom
3. April 1849.

Ins Praktische übersetzt, hieß der Bescheid des
preußischen Königs an die deutsche Nationalver-
sammlung: Leichenraub an der Revolution, ja
wohl, aber nicht wie Ihr wollt, sondern wie ich
will, für mich der Löwenantheil und für Euch die
Abfälle. Die „freie Entschließung" der deutschen
Fürsten und freien Städte würde nimmermehr
die preußische Hegemonie anerkennen, das wußte
die preußische Politik sehr gut: so sollte denn die
„freie Entschließung" beeinflußt werden, einerseits
durch das „Anrecht", das der Ruf der National-
versammlung gab, andererseits durch den Schutz
gegen die „inneren Feinde", der den Mittel- und
Kleinstaaten süß ins Ohr klingen sollte und wirk-
lich auch süß ins Ohr klang. Sie haben keinen
Augenblick gezögert, diesen Schutz anzurufen, so-
bald sie ihn brauchten; nur daß sie sich deshalb
nicht von dem „Anrechte" imponiren ließen,
woraus die preußische Krone moralisches Kapital
für ihren dynastischen Ehrgeiz schlagen wollte.

In Wahrheit behandelten sie den Möchte-Gern-
Zukunftskaiser als ihren Büttel, der nach Ab-
leistung seines Bütteldienstes mit höhnischem Büttel-
lohne heimgeschickt wurde. Man mag die damalige
preußische Politik herzbrechend dumm nennen, aber
preußische Politik war sie schon: nach allen ihren
Ueberlieferungen konnte sie die papierene Krone
der Nationalversamnilung weder unbedingt an-
nehmen, noch unbedingt ablehnen. Und die Zeiten
sollten kommen, wo unter gänzlich veränderten
Verhältnissen die gleiche Politik keineswegs dumm,
sondern außerordentlich schlau war. Die deutsche
Kaiserkrone, die in Versailles geschmiedet wurde,
ist völlig frei von dem, was der romantische König
„Dreck und Letten" nannte; die Kaiserproklamation
vom 18. Januar 1871 richtet sich zwar „an das
deutsche Volk", aber in ihr selbst wird der Wille
des Volkes mit keiner Silbe erwähnt, sondern nur
der „einmüthige Ruf der deutschen Fürsten und
freien Städte", deren „freie Entschließung" 1871
ganz anders gekirrt werden konnte, als 1849, wo die
preußische Polittk noch nicht nach Versailles gelangte,
sondern nur erst nach Warschau und Olmütz.

Derselbe Simson aber, der im April 1849
als Führer einer parlamentarischen Deputation
eine über die Köpfe der deutschen Dynastien hin-
weg fabrizirte Krone nach Berlin trug, kam im
Januar 1871 nach Versailles, abermals als Führer
einer parlamentarischen Deputation, um in der
demüthigenden Haltung eines überflüssigen Sup-
plikanten den preußischen König um die Annahme
der Kaiserkrone zu bitten, die ihm die „freie Ent-
schließung" der deutschen Dynastien anbot. So
war für die deutschen Bourgeois der Ruhm der
Welt in dreimal sieben Jahren dahingeschwunden.
Die Kaisermacherei bekam ihnen spottschlecht: im
Frühling 1848 konnten sie allen deutschen Dy-
nastien die Stirn bieten, im Frühling 1849
brachen sie ohnmächtig zusammen, als ihnen der
preußische König zuherrschte: nicht Ihr regiert in
Deutschland, sondern die Fürsten. Was wollten
sie auch thun? Sie hatten, wie das Organ der
preußischen Junker zutreffend sagte, „kein Geld,
kein Land, kein Recht, keine Macht, kein Volk,
keine Soldaten"; sie hatten Alles, Alles verspielt
im Laufe eines kurzen Jahres. Auf ihre papierene
Krone hatte die deutsche Nationalversammlung ihre
letzten Hoffnungen gesetzt; als dieser Talisman
zerrissen war, starb sie selbst in kläglichen Agonien.

Die Ehre der deutschen Revolution rettete allein
eine Reihe von Volksaufständen, denen die Reichs-
verfassung nur den Namen, nicht aber den In-
halt gab. ,
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