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Verteidigung, denn eine Anklage: Der Sergeant
habe eine lange vorwurfsfreie Dienstzeit hinter
sich, er sei ein Bischen derb in seinen Aus-
drücken, auf keinen Fall rechtfertige sich eine
strenge Strafe. Und so dachten auch die Richter.
Drei Tage Mittelarrcst schienen ihnen eine ge-
nügende Sühne für das Vergehen des Sergeanten.
* *
Jahre waren vergangen. Längst schon hatte
der früher so elegante Reserveoffizier Kuhlkramm
seine Uniform im tiefsten Winkel des Kleider-
schranks verborgen. Als Hüter der Gerechtig-
keit — er war inzwischen Landgerichtsrath ge-
worden — amtirte er in Talar und Barett in
seiner Vaterstadt. Die Frische und Elastizität
von dazumal, als er noch als Sommerlieutenant
die Kasernenhöfe unsicher machen konnte, war
freilich längst dahin; dafür war aber das Ge-
fühl in ihm noch erstarkt, daß er eine der
wichtigsten Staatsstützen sei, berufen und aus-
erwählt, an seinem Theile mitzuarbeiten am
Schutze des Bestehenden gegen den frechen An-
sturm der „vaterlandslosen Rotte". Das that
er denn auch. Er war wirklich eine Respekts-
person, der Herr Landgerichtsrath Kuhlkramm.
Zur Zeit wurde ihm das Amt sauer ge-
macht; es gab viel zu thun für ihn, der den
Vorsitzenden der Strafkammer vertrat. In
der Stadt hatte Wochen lang ein erbitterter
Kampf zwischen den Bauarbeitern und den
Unternehmern getobt. Die Arbeiter, „die nie
zufrieden sind", wollten mehr Lohn und kürzere
Arbeitszeit, die Unternehmer verweigerten beides.
Auf welcher Seite das Recht war, lag doch
„sonnenklar" zu Tage — meinte Herr Kuhl-
kramm. Jetzt war die Justiz — das war er —
damit beschäftigt, die angeblichen oder wirk-
lichen Verstöße gegen Recht und Gesetz, die in
der Hitze des Gefechts begangen worden waren,
zu sühnen. Gottlob, das Schwerste war schon
vollbracht! Eine Reihe von Streikenden, die
sich unzart gegen die braven Arbeitswilligen
benommen hatten, waren schon hinter die schwedi-
schen Gardinen gebracht worden. Nur noch
einige Fälle waren zu erledigen. „Auch mit
denen werden wir noch fertig werden", dachte
der Herr Landrichter, als er gewichtig zu Ge-
richt schritt.
Mit eintöniger Geschäftigkeit wurden eilends
einige gleichgiltige Fälle erledigt. Dann rief
der Gerichtsdiener mit seiner trockenen Stimme
auf den Korridor hinaus: „Mörtelträger Else-
wein und die Zeugen zu diesem Falle!"
Durch die enge Thür zum Anklagebänkchen
schob sich die Gestalt eines kräftigen Mannes.
Die Kleidung war ärmlich und abgetragen;
sie schlotterte um den Körper, als ob sie dem
Manne zu weit geworden sei; das bärtige Ge-
sicht zeigte die deutlichen Spuren von Noch
und Harm. Straff richtete sich aber der Mann
empor, als er nach seinen Personalien gefragt
wurde, und sein Auge blickte ruhig und furcht-
los auf die Richter. Doch als er hinten, ganz
hinten aus dem Zuhörerraum das unterdrückte
Schluchzen eines Weibes vernahm, da überlief
ein Zittern seinen starken Leib, und die schwieligen
Hände preßten sich auf die Schranken, hinter
denen er stand, als wollte er das Holz zer-
brechen.
Die Formalien waren erledigt, das Zeugen-
verhör begann. Ein Schutzmann sagte aus,
daß der Angeklagte Elsewein, der zu den Führern
der streikenden Arbeiter gehört habe, eines Tages
einem Arbeitswilligen, der inzwischen abgereist
sei, drohend zugerufen habe: D u, Sakramenter
Du, wenn Du nicht aufhörst zu arbeiten,
dann schlage ich Dir alle Knochen im
Leibe entzwei!"
Der Angeklagte gab zu, mit einem Arbeits-
willigen einen Streit gehabt zu haben; „aber",
so begann er stockend und nach dem rechten
Worte mühsam suchend, „aber, hoher Gerichts-
hof, Sie können mir schon glauben, so war die
Sache damals nicht, wie hier gesagt wurde.
Sehen Sie, der Mann, mit dem ich in Streit
kam, war lange mit mir befreundet gewesen;
wir hatten immer zusammen gearbeitet. Und,
hoher Gerichtshof, jetzt, wo wir doch nun streikten,
weil wir einfach nicht mehr auskommen konnten
mit dem Bischen Lohn, da hat ihn der Teufel
geritten, und da ist er hingegangen und hat den
Judas an uns gespielt. Jawohl, das hat er
gethan. Und da, wie ich ihn so traf auf der
Straße, da habe ich ihm das vorgestellt, was
er doch für ein schlechter Kerl sei, und daß wir
doch zusammenhalten müßten; da habe ich ihm
erzählt, daß mein Weib und meine Kinder zu
Hause Hunger leiden müßten, wenn wir nicht
bald siegen würden. Und was glauben Sie,
was er da gemacht hat? Ausgelacht hat er
mich, und einen Narren hat er mich geheißen
und hat mir gesagt, wenn ich so dumm wäre
und nichts verdiente, dann ... dann ... könnte
ja meine Frau ... aber nein, ... das kann ich
nicht wiedersagen! Und da ist's mir ganz schwarz
geworden vor den Augen aus lauter Wuth
über den Schimpf, den er mir angethan, und
ich hätt'n mögen am liebsten Niederschlagen, ja,
das gestehe ich ganz offen ein. Aber ich habe
an die zu Hause gedacht — und da habe ich
mich bezwungen. Und die Worte — das glaube
ich nicht, daß ich die gesagt habe, und wenn
mir in meinem Zorn vielleicht auch was über
die Lippen geflogen sein sollte, der Schutzmann
da kann gar nichts gehört haben davon, denn
der hat ja ein paar hundert Schritte davon ge-
standen . . ."
Mit zitternden Lippen und schwerathmend
hatte der Angeklagte diese Sätze hervorgepreßt.
Jetzt ertönte, kalt und geschäftsmäßig, die
Stimme des Richters: „Die Beweisaufnahme
ist geschlossen; ich bitte den Herrn Staats-
anwalt seinen Antrag zu stellen."
Schnell erhob sich der junge Staatsanwalt.
Das Feuer der sittlichen Entrüstung loderte ihm
aus den Augen, als er mit messerscharfen
Worten den Fall darlegte und die Einwen-
dungen des Angeklagten zerpflückte. Vor dem
Gericht stehe hier ein ganz gefährlicher Sünder;
nicht nur daß er durch eine schwere Bedrohung
einen arbeitswilligen, braven und getreuen Ar-
beiter an der Arbeit habe hindern wollen, wie
durch das Zeugniß des Schutzmanns unwider-
leglich bewiesen worden sei, nein, der Ange-
klagte habe sich sogar nicht einmal entblödet,
einen pflichtgetreuen Beamten, der eine lange
ehrenvolle Laufbahn im Dienste des Königs
hinter sich habe, in der gemeinsten Weise als
Lügner zu verdächtigen. Gleichermaßen habe
er sich erfrecht, hier vor dem Gericht das ab-
wesende Opfer seiner Bedrohung, den treu im
Dienste seines Brotherrn ausharrenden Arbeits-
willigen, zu beleidigen, indem er ihn einen
Judas und frechen Kerl geheißen habe. Um sich
mildernde Umstände zu ergattern, habe dann
der Angeklagte dem hohen Gerichtshof eine
rührselige Geschichte erzählt, an der natürlich
kein wahres Wort sei. Nachdrücklich müßte
jeder Arbeiter, der sich von dem Haufen der
Rebellen fernhalte und sich seine gute Gesinnung
bewahrt habe, vor dem Terrorismus der arbeits-
scheuen Streikbrüder geschützt werden. Wenn
vielleicht hie und da einmal mildernde Umstände
auch bei Streikvergehen zuzubilligen seien —
hier sei ein Fall von Frivolität zu verzeichnen,
wie er glücklicher Weise auch unter jenen Irre-
geleiteten selten vorkomme. Er hoffe deshalb,
daß der Gerichtshof ein Exempel statuiren werde
und beantrage, den Angeklagten nicht nach § 153
der Gewerbeordnung, sondern nach § 240 des
Strafgesetzbuchs mit einer Gefängnißstrafe von
zwölf Monaten zu belegen ....
Unwirsch blickte der Vorsitzende auf, als nach
diesen „markigen" Worten Unruhe und Ge-
dränge hinten im Gerichtssaale entstand, wo
eine Frau ohnmächtig geworden war. Als man
sie endlich hinausgeschafft hatte, fragte er kurz
den Angeklagten, ob er noch etwas zu erwidern
habe. Stumm schüttelte der Mann, dem jeder
Tropfen Blut aus dem Antlitz gewichen war,
und der sich offenbar nur mühsam aufrecht er-
hielt, den Kopf.
Der Gerichtshof zog sich zur Berathung
zurück. In vollem Einverständniß mit den
Ausführungen des Staatsanwalts hatten die
Richter auf die beantragten zwölf Monate
Gefängniß erkannt und zugleich wegen der
Höhe der Strafe die sofortige Verhaftung an-
geordnet.
Ein gebrochener Mann wankte Elsewein
hinaus; hinter ihm her trottete der Gerichts-
diener, der geräuschvoll seine Schlüssel ordnete.
Die Sitzung war beendet.
* *
*
Als nachher auf der Treppe der Schutzmann,
der als Zeuge vor den Schranken gestanden
hatte, dem Herrn Landgerichlsrath Kuhlkramm
begegnete, schaute ihn dieser scharf an und
sagte dann: „Ich glaube Sie schon früher ein-
mal gesehen zu haben, Schutzmann. Wo war
das doch?"
In strammer militärischerHaltung entgegnete
der Angeredete: „Ich heiße Fricke, Herr Land-
gerichtsrath, und diente als Sergeant in der
Kompagnie, in der der Herr Landgerichtsrath
vor neun oder zehn Jahren eine Uebung als
Reserveoffizier machten. Da haben der Herr
Landgerichtsrath auch schon einmal bei einem
Standgericht über mir zu Gericht gesessen. Der
Angeklagte heute, der war damals Rekrut und
hatte mich gemeldet, weil ich ihn beleidigt haben
sollte."
„Ach ja, ganz recht, jetzt erinnere ich mich",
sagte gnädig lächelnd der Herr Rath, „Na,
lieber Fricke, damals sind Sie ja ganz gut weg-
gekommen. N'Morgen!".
Verteidigung, denn eine Anklage: Der Sergeant
habe eine lange vorwurfsfreie Dienstzeit hinter
sich, er sei ein Bischen derb in seinen Aus-
drücken, auf keinen Fall rechtfertige sich eine
strenge Strafe. Und so dachten auch die Richter.
Drei Tage Mittelarrcst schienen ihnen eine ge-
nügende Sühne für das Vergehen des Sergeanten.
* *
Jahre waren vergangen. Längst schon hatte
der früher so elegante Reserveoffizier Kuhlkramm
seine Uniform im tiefsten Winkel des Kleider-
schranks verborgen. Als Hüter der Gerechtig-
keit — er war inzwischen Landgerichtsrath ge-
worden — amtirte er in Talar und Barett in
seiner Vaterstadt. Die Frische und Elastizität
von dazumal, als er noch als Sommerlieutenant
die Kasernenhöfe unsicher machen konnte, war
freilich längst dahin; dafür war aber das Ge-
fühl in ihm noch erstarkt, daß er eine der
wichtigsten Staatsstützen sei, berufen und aus-
erwählt, an seinem Theile mitzuarbeiten am
Schutze des Bestehenden gegen den frechen An-
sturm der „vaterlandslosen Rotte". Das that
er denn auch. Er war wirklich eine Respekts-
person, der Herr Landgerichtsrath Kuhlkramm.
Zur Zeit wurde ihm das Amt sauer ge-
macht; es gab viel zu thun für ihn, der den
Vorsitzenden der Strafkammer vertrat. In
der Stadt hatte Wochen lang ein erbitterter
Kampf zwischen den Bauarbeitern und den
Unternehmern getobt. Die Arbeiter, „die nie
zufrieden sind", wollten mehr Lohn und kürzere
Arbeitszeit, die Unternehmer verweigerten beides.
Auf welcher Seite das Recht war, lag doch
„sonnenklar" zu Tage — meinte Herr Kuhl-
kramm. Jetzt war die Justiz — das war er —
damit beschäftigt, die angeblichen oder wirk-
lichen Verstöße gegen Recht und Gesetz, die in
der Hitze des Gefechts begangen worden waren,
zu sühnen. Gottlob, das Schwerste war schon
vollbracht! Eine Reihe von Streikenden, die
sich unzart gegen die braven Arbeitswilligen
benommen hatten, waren schon hinter die schwedi-
schen Gardinen gebracht worden. Nur noch
einige Fälle waren zu erledigen. „Auch mit
denen werden wir noch fertig werden", dachte
der Herr Landrichter, als er gewichtig zu Ge-
richt schritt.
Mit eintöniger Geschäftigkeit wurden eilends
einige gleichgiltige Fälle erledigt. Dann rief
der Gerichtsdiener mit seiner trockenen Stimme
auf den Korridor hinaus: „Mörtelträger Else-
wein und die Zeugen zu diesem Falle!"
Durch die enge Thür zum Anklagebänkchen
schob sich die Gestalt eines kräftigen Mannes.
Die Kleidung war ärmlich und abgetragen;
sie schlotterte um den Körper, als ob sie dem
Manne zu weit geworden sei; das bärtige Ge-
sicht zeigte die deutlichen Spuren von Noch
und Harm. Straff richtete sich aber der Mann
empor, als er nach seinen Personalien gefragt
wurde, und sein Auge blickte ruhig und furcht-
los auf die Richter. Doch als er hinten, ganz
hinten aus dem Zuhörerraum das unterdrückte
Schluchzen eines Weibes vernahm, da überlief
ein Zittern seinen starken Leib, und die schwieligen
Hände preßten sich auf die Schranken, hinter
denen er stand, als wollte er das Holz zer-
brechen.
Die Formalien waren erledigt, das Zeugen-
verhör begann. Ein Schutzmann sagte aus,
daß der Angeklagte Elsewein, der zu den Führern
der streikenden Arbeiter gehört habe, eines Tages
einem Arbeitswilligen, der inzwischen abgereist
sei, drohend zugerufen habe: D u, Sakramenter
Du, wenn Du nicht aufhörst zu arbeiten,
dann schlage ich Dir alle Knochen im
Leibe entzwei!"
Der Angeklagte gab zu, mit einem Arbeits-
willigen einen Streit gehabt zu haben; „aber",
so begann er stockend und nach dem rechten
Worte mühsam suchend, „aber, hoher Gerichts-
hof, Sie können mir schon glauben, so war die
Sache damals nicht, wie hier gesagt wurde.
Sehen Sie, der Mann, mit dem ich in Streit
kam, war lange mit mir befreundet gewesen;
wir hatten immer zusammen gearbeitet. Und,
hoher Gerichtshof, jetzt, wo wir doch nun streikten,
weil wir einfach nicht mehr auskommen konnten
mit dem Bischen Lohn, da hat ihn der Teufel
geritten, und da ist er hingegangen und hat den
Judas an uns gespielt. Jawohl, das hat er
gethan. Und da, wie ich ihn so traf auf der
Straße, da habe ich ihm das vorgestellt, was
er doch für ein schlechter Kerl sei, und daß wir
doch zusammenhalten müßten; da habe ich ihm
erzählt, daß mein Weib und meine Kinder zu
Hause Hunger leiden müßten, wenn wir nicht
bald siegen würden. Und was glauben Sie,
was er da gemacht hat? Ausgelacht hat er
mich, und einen Narren hat er mich geheißen
und hat mir gesagt, wenn ich so dumm wäre
und nichts verdiente, dann ... dann ... könnte
ja meine Frau ... aber nein, ... das kann ich
nicht wiedersagen! Und da ist's mir ganz schwarz
geworden vor den Augen aus lauter Wuth
über den Schimpf, den er mir angethan, und
ich hätt'n mögen am liebsten Niederschlagen, ja,
das gestehe ich ganz offen ein. Aber ich habe
an die zu Hause gedacht — und da habe ich
mich bezwungen. Und die Worte — das glaube
ich nicht, daß ich die gesagt habe, und wenn
mir in meinem Zorn vielleicht auch was über
die Lippen geflogen sein sollte, der Schutzmann
da kann gar nichts gehört haben davon, denn
der hat ja ein paar hundert Schritte davon ge-
standen . . ."
Mit zitternden Lippen und schwerathmend
hatte der Angeklagte diese Sätze hervorgepreßt.
Jetzt ertönte, kalt und geschäftsmäßig, die
Stimme des Richters: „Die Beweisaufnahme
ist geschlossen; ich bitte den Herrn Staats-
anwalt seinen Antrag zu stellen."
Schnell erhob sich der junge Staatsanwalt.
Das Feuer der sittlichen Entrüstung loderte ihm
aus den Augen, als er mit messerscharfen
Worten den Fall darlegte und die Einwen-
dungen des Angeklagten zerpflückte. Vor dem
Gericht stehe hier ein ganz gefährlicher Sünder;
nicht nur daß er durch eine schwere Bedrohung
einen arbeitswilligen, braven und getreuen Ar-
beiter an der Arbeit habe hindern wollen, wie
durch das Zeugniß des Schutzmanns unwider-
leglich bewiesen worden sei, nein, der Ange-
klagte habe sich sogar nicht einmal entblödet,
einen pflichtgetreuen Beamten, der eine lange
ehrenvolle Laufbahn im Dienste des Königs
hinter sich habe, in der gemeinsten Weise als
Lügner zu verdächtigen. Gleichermaßen habe
er sich erfrecht, hier vor dem Gericht das ab-
wesende Opfer seiner Bedrohung, den treu im
Dienste seines Brotherrn ausharrenden Arbeits-
willigen, zu beleidigen, indem er ihn einen
Judas und frechen Kerl geheißen habe. Um sich
mildernde Umstände zu ergattern, habe dann
der Angeklagte dem hohen Gerichtshof eine
rührselige Geschichte erzählt, an der natürlich
kein wahres Wort sei. Nachdrücklich müßte
jeder Arbeiter, der sich von dem Haufen der
Rebellen fernhalte und sich seine gute Gesinnung
bewahrt habe, vor dem Terrorismus der arbeits-
scheuen Streikbrüder geschützt werden. Wenn
vielleicht hie und da einmal mildernde Umstände
auch bei Streikvergehen zuzubilligen seien —
hier sei ein Fall von Frivolität zu verzeichnen,
wie er glücklicher Weise auch unter jenen Irre-
geleiteten selten vorkomme. Er hoffe deshalb,
daß der Gerichtshof ein Exempel statuiren werde
und beantrage, den Angeklagten nicht nach § 153
der Gewerbeordnung, sondern nach § 240 des
Strafgesetzbuchs mit einer Gefängnißstrafe von
zwölf Monaten zu belegen ....
Unwirsch blickte der Vorsitzende auf, als nach
diesen „markigen" Worten Unruhe und Ge-
dränge hinten im Gerichtssaale entstand, wo
eine Frau ohnmächtig geworden war. Als man
sie endlich hinausgeschafft hatte, fragte er kurz
den Angeklagten, ob er noch etwas zu erwidern
habe. Stumm schüttelte der Mann, dem jeder
Tropfen Blut aus dem Antlitz gewichen war,
und der sich offenbar nur mühsam aufrecht er-
hielt, den Kopf.
Der Gerichtshof zog sich zur Berathung
zurück. In vollem Einverständniß mit den
Ausführungen des Staatsanwalts hatten die
Richter auf die beantragten zwölf Monate
Gefängniß erkannt und zugleich wegen der
Höhe der Strafe die sofortige Verhaftung an-
geordnet.
Ein gebrochener Mann wankte Elsewein
hinaus; hinter ihm her trottete der Gerichts-
diener, der geräuschvoll seine Schlüssel ordnete.
Die Sitzung war beendet.
* *
*
Als nachher auf der Treppe der Schutzmann,
der als Zeuge vor den Schranken gestanden
hatte, dem Herrn Landgerichlsrath Kuhlkramm
begegnete, schaute ihn dieser scharf an und
sagte dann: „Ich glaube Sie schon früher ein-
mal gesehen zu haben, Schutzmann. Wo war
das doch?"
In strammer militärischerHaltung entgegnete
der Angeredete: „Ich heiße Fricke, Herr Land-
gerichtsrath, und diente als Sergeant in der
Kompagnie, in der der Herr Landgerichtsrath
vor neun oder zehn Jahren eine Uebung als
Reserveoffizier machten. Da haben der Herr
Landgerichtsrath auch schon einmal bei einem
Standgericht über mir zu Gericht gesessen. Der
Angeklagte heute, der war damals Rekrut und
hatte mich gemeldet, weil ich ihn beleidigt haben
sollte."
„Ach ja, ganz recht, jetzt erinnere ich mich",
sagte gnädig lächelnd der Herr Rath, „Na,
lieber Fricke, damals sind Sie ja ganz gut weg-
gekommen. N'Morgen!".