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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 20.1903

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https://doi.org/10.11588/diglit.6612#0280
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4208

Zweihunüm Kilometer.

Weinend greifen meine Fingerspitzen
jjn der alten Harfe Saiten ein,

Und aus meinen blauen Augenfchlitzen
Tropft die Träne patriot'scher Pein.

Trübe schreitet das Verhängnis weiter,
Das sich unfern Männerbrüsten naht;
Liner nur lacht roh und laut und heitere
Der verruchte rote Demokrat.

Dieser wohl, der Drachensaat entsprossen,
Dieser wohl, dem es vor nichts nicht graust
Freuet sich, daß von Berlin nach Zossen
Blitzgeschwind der Teufelswagen saust.

Zittre, Mensch! Zweihundert Kilometer
Rennt der Karren schon in einer Stund'
Und der Untertan, zur Seite steht er,
Aufgerissen seinen biedern Mund.

Und er denkt, wie alle Herzen denken,

Die von Treue annoch sind geschwellte
„wöge es der Himmel also lenken,

Daß der Karren irgendwo zerschellt!"

Solcher Wunsch im ersten Augenblicke
Scheinet uns nicht christ- und löblich zwar,
Denn es brächen sämtliche Genicke
Lin'ge Männer dabei ganz und gar.

Aber wenn wir gründlich es beleuchten,
Hat der Untertan doch völlig recht,

Und so singe ich in tränenfeuchten
Tönen jetzt: „Run geht Byzanz es schlecht!"

Sonsten, wenn ein braver Fürst auf Reisen,
Fuhr er im bequemen Lxtrazug;

Sein Gesicht dem treuen Volk zu weisen
Gab's Gelegenheit dabei genug.

Überall, wo so ein Fürst passierte,

Standen weißgewasch'ne Jungfern da,

Und des Bürgers treues Auge stierte
Und sein Maul schrie laut: Hurra!

Schöppenstedt, Dummsdorf und posemuckel
Schwelgten stolz in diesem Hochgenuß;
Fllrstentreu mit Herz und Maul und Buckel
Standen sie vor Serenissimus.

Und der Fürst am Wagenfenster zeigte
Seine majestätische Figur,

Die sich allergnädigst einmal neigte,

Weil der Zug natürlich weiterfuhr.

Diese flüchtige Minute brachte

Zn die Untertanenherzen Licht

Und als Mummelgreis noch freudig dachte

Zeder an des Fürsten Angesicht.

Doch die Zukunft muß mir duster scheinen,
Denn ich riech' die Revolution
Und ich seh' prophetisch mehr als einen
Umgestllrzten alten Zürstenthron.

Soweit nämlich wird und muß es kommen
Durch die große Fahrgeschwindigkeit,
Welche frevelhaft uns weggenommen
Zede Fürsten-Anblicks-Möglichkeit.

Mit zweihundert-Kilometer-Lile
Saust der Fürst an seinem Volk vorbei,
Sieht nicht die gebognen Rückenteile,

Hört nicht den spontanen Zubelschrei.

Auch der Untertan muß sich beklagen;
Seinen Fürsten sieht er ja nicht mehr.
Denn zu schnell vorüber fliegt der Wagen,
Als daß Grüßen dabei möglich wär'.

Dieses muß den brävsten Mann verdrießen
Und er knurrt in seinen Haby-Bart:
„Kann ich meinen Fürsten denn genießen
Bei zweihundert-Kilometer-Fahrt?"

verirrt,

„Nach Rom tarnt ich nicht, in Darmstadt ist nichts zu holeit und in Berlin wird nichts gegeben —
da kehre ich lieber zurück und fresse meine Russen."

-4*-

In einem Prozeß gegen die „Neunkirchener
Zeitung" beantragte der Staatsanwalt, die Öffent-
lichkeit während der Vernehmung eines Zeugen
auszuschließen. Wie leicht haben es doch heutzu-
tage die „Umstürzler", wenn selbst nach der
Meinung eines Staatsanwalts die bestehende
Staatsordnung schon durch eine einzige Zeugen-
aussage erschüttert werden kann.

Aus sotanen murrenden Gedanken
Sprießet geil die Demokraterei,

Und die festgefügten Throne wanken,
Brechen polternd allesamt entzwei.

Wo so schlimme, böse Folgen winken,

Bebt mein Herz als wie ein Lämmerschwanz.
Weinend lass' ich meine Harfe sinken ...
Untergehen sehe ich Byzanz! secundus.

Offene Srage an die Regierung.

Wenn jemand das unabweisbare Bedürfnis
hat, irgend einem Monarchen etwas zu sagen,
dabei aber jede Beleidigung im staatsamvaltlichen
Sinne durchaus vermeiden will, muß er dann
den betreffenden Monarchen ordentlich anlügen
oder muß er ihm ordentlich die Wahrheit sagen?

„Sagen Se mal, Frau Schmidt'», wat is denn
Ihr Schwicjersohn?"

„Der is Wanderrediter, Frau Müllern."

„Wat is denn bet?"

„91a, seine Mutter fährt init'n Laudwagen rum
un er looft mit und schreit aus."
 
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