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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 21.1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.6365#0326
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4551

Der irerr general als ÄujMlsral.

Russische Geschichte

in Bülow's Sinne bearbeitet für deutsche Schulen.

Lin leuchtendes Beispiel aus dem zarischen
Familienleben.

Wie der Zar der Vater seiner Untertanen
ist und deshalb mit rührender Anhänglichkeit
im ganzen großen Russenreich als „Väterchen"
verehrt wird, so gibt auch die Zarenfamilie
in allen ihren Verzweigungen der Untertanen-
schaft stets und ständig leuchtende Beispiele
des lautersten Familiensinnes. Von der Treue,
welche die große Kaiserin Katharina ihrem
ach! viel zu früh verstorbenen Gatten über
das Grab hinaus bewahrte, haben wir schon
berichtet; ei» Beispiel innigster Kindesliebe soll
hier von dem Zaren Alexander I. erzählt werden.

Nichtswürdige Verunglimpfer des Zaren-
tums haben sich nicht gescheut, in Geschichts-
werken die Lüge auszustreuen, daß der Zar
Paul von einigen Generale» unter Mitwissen
seines Sohnes Alexander ermordet worden sei.
Jeder wahre russische Patriot wird beschwören,
daß das Verleumdung ist. Der Tod des hochseligen
Zaren Paul hat sich vielmehr so zugetragen:

Einige Generale des Hofstaats empfanden
eines Nachts das dringende Bedürfnis, sich
von dem Wohlbefinden ihres geliebten Landes-
vaters zu überzeugen, denn der wahre Patrio-
tismus wacht nicht nur bei Tage, sondern auch
bei Nacht über das Leben der geheiligten Person
des gesalbten Herrschers. Sie begaben sich des-
halb leise, um den erhabenen Herrn nicht zu
stören, in sein Schlafgemach. Da traf es sich,
daß der Zar Paul in der unablässigen Sorge
um das Wohl seines Volkes sich gerade mit
dem Kaminfegen befaßt hatte. Denn so weit
geht die Fürsorge der Zaren für das Volk,
daß sie die Arbeit adeln, indem sie höchsteigen-

händig irgend ein Handwerk betreiben. Wie
Peter der Große das Zimmermannshandwerk
und Alexander III. die Holzhauerei, betrieb
Kaiser Paul die Kaminfegerei. Auch in jener
Nacht — man staune über den Arbeitseifer
des erhabenen Herrschers, der die gesamte
Tageszeit mit Regierungsgeschäften hingebracht
hatte! — waren Seine Majestät höchsteigen-
händig in den Kamin gekrochen, um ihn zu
säubern. In seinem Eifer war der edle Herr-
scher zu weit vorgedrungen, so daß er, ein-
geklemmt, weder vor- noch rückwärts konnte.
Seine nackten Füße ragten aus dem Kamin
hervor. Die treuen Generäle erkannten mit
strategischem Scharfblick die Situation. Sie
eilten herzu, den geliebten Landesvater aus
seiner Übeln Lage zu retten. An den Beinen
zogen sie ihn aus dem Kamin heraus. Thrä-
uenden Auges sahen sie, daß Allerhöchstderselbe
sich den Hals blutig geschrammt hatte. Um
alles in der Welt galt es, die blutende Wunde
zu stillen. Opferbereit riß sich einer jener
Edelsten der russischen Nation die Offiziers-
schärpe vom Leibe und wickelte sie um den
Hals des erlauchten Landesvaters. Alle legten
Hand an beim Verbinden. Da wollte nun ein
unglücklicher Zufall, daß der eine der hilf-
reichen Samariter ein Schärpenende nach links,
ein anderer das andere nach rechts zog. Nur
diesem tiefbedauerlichen Zufall ist es zuzu-
schreiben, daß das Rettungswerk fehlschlug und
Zar Paul seine große Seele aushauchte.

Ein Beispiel rührendster Sohnesliebe ist es
aber, wie Pauls Sohn, der nunmehr als
Alexander I. den Thron bestieg, das Andenken
seines erhabenen Vaters ehrte. Allerhöchst-
dieselbe geruhten, die edlen Samariter, die
seinem Vater in allerhöchstdessen letzten Augen-
blicken beigestanden hatten, königlich mit hohen
Ehrenstellen für ihr Liebeswerk zu belohnen,

ohne es sie entgelten zu lassen, daß ein tückischer
Zufall diesen Samariterdienst zu einem un-
glücklichen Ausgang verkehrt hatte.

Und solche hilfsbereite Vasallentreue der
tapferen Stützen von Thron und Altar, die
die geheiligte Person des Zaren Paul umgaben
und schützten, jene in den schwersten Prüfungs-
stunden bewiesene innige Kindesliebe des Zaren
Alexander L wagt man in den Geschichtswerken
des verfaulten Westens umzudeuten in eine
Mordgeschichte!

Schade ist es, daß die Macht des Zaren
leider »och nicht so weit reicht, durch seine
Zensurgendarmen solche verruchte Schriften
konfiszieren und einstampfen zu lassen. Doch
hoffentlich sind wir bald so weit. Einen schönen
Anfang dazu hat ja schon Bernhard Karlo-
witsch Büloff in Deutschland gemacht.

Zerstreuter Verdacht.

Isidor Rosenbaum (JU seiner jungen Frau):
Dein Vater hat nu richtig Pleite gemacht. Siehste,
wie gut es is, daß wir schon vor 'nem Jahr
geheirat' haben? Sonst hätt's gleich geheißen, ich
hätt' dich aus der Masse verschleppt ...!

Vrosessoren.

„Es ist mir wirklich unbegreiflich, wie dieser
Studiosus Süffel sein Examen so glänzend be-
stehen konnte!"

„Lieber Kollege, was war da zu machen! Der
Kandidat brachte nach jeder an ihn gerichteten
Frage ein dreifaches Hurra auf Seine Majestät
aus. Da mußten wir natürlich stets mit ein-
stimmen und konnten ihn doch unmöglich durch-
fallen lassen. Das wäre uns sonst als Jlloya-
litätskundgebung schlecht bekonimen!"
 
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